Bissula. Felix Dahn

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Bissula - Felix  Dahn

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verständnisscharfen Blick auf den Oheim.

      »Oder: wenn du lieber willst — einen Traum, eines Traumes Erfüllung. Ich halte viel auf Träume!« »Natürlich,« lächelte der Tribun, »wie alle Poeten! — Ich halte mehr auf wache Gedanken.« — »Als ich mit dem Heere drüben in Bindonissa angelangt war, stieg mir lebhaft empor eine liebe, holde Erinnerung an ein Kind: ein an Leib und Seele gleich reizendes Kind, das ich vor einigen Jahren hier kennen gelernt und liebgewonnen habe.«

      »Einen Knaben?« — »Nein, ein Mädchen.« »Ei, ei, Pädagoge des Kaisers!« scherzte der Tribun. Der Neffe scherzte nicht; schweigend beobachtete er jede Miene des Oheims.

      »O beruhige dich! Bissula ist ein Ding von etwa zwölf Jahren, — das heißt — sie war es damals. Sie brachte mit einem sarmatischen Knecht jede Woche die Fische nach Arbor, die ihr Oheim hier am Nordufer gefangen. Und wie anmutig plauderte sie! Ihr barbarisches Latein sogar klang zierlich aus dem kirschroten Mund! Wir wurden die besten Freunde. Ich schenkte ihr — Geld nahm sie nicht und nicht kostbaren Schmuck — geringen Zierat und vor allem: Sämereien von gallischem Edelobst und Blumen von der Garumna für ihren kleinen Hausgarten. Sie aber erzählte mir wundersame Geschichtlein von den Sylvanen und Faunen der Wälder, von den Nymphen des Sees und der Quellen hier im Lande: — aber ganz anders benannte sie die Kleine! — und von den Berg-Giganten da drüben, deren weiße Häupter im Abendgolde glänzten. Und ich — ich —« — »Du lasest ihr natürlich die Mosella vor!« lachte Saturninus. »Allerdings!? Und die kleine Barbarin zeigte mehr Geschmack dabei als der große römische Feldherr! Nicht die Fische gefielen ihr am besten ...—« — »Glaub‘ es gern. Sie hatte ja selbst bessere, rühmtest du vorhin.« — »Sondern die Schilderungen der Rebgelände und der Villen an jenem Fluß. Und als ich ihr nun erzählte, wie in meiner Heimat, an der Garumna, noch viel, viel schönere, reichere Häuser voll Marmor, Gold, Erz und Elfenbein, mit bunt bemalten Wänden und Mosaiken prangten, wie mir selbst die schönsten Paläste gehörten, und herrliche Gärten voll springender Wasser, voll fremdländischer Hirsche und Rehe und singender oder farbenschillernder Vögel: und als ich sprach von dem tiefen Blau des Himmels und dem goldenen Glanz der Sonne in Aquitaniens herrlichen, fast winterlosen Gefilden, — da konnte sie gar nicht genug hören in Versen und Prosa von der Schönheit unsres Landes und von der Pracht und Kunst unsres Lebens. Und einmal patschte sie die kleinen Händchen zusammen vor Staunen und vor Vergnügen und rief: ›O Väterlein, das möchte ich auch einmal sehen. Nur einen Tag.‹ Ich aber hatte das heitere, holde Kind so lieb gewonnen, daß ich, von dem Gedanken freudig durchzuckt, sprach: ›Ei, so komm, mein Töchterchen! Aber nicht für einen Tag: — für immer. Willigt dein Vormund ein, nehm‘ ich dich an Kindesstatt an und führe dich mit nach Burdigala. Wie wird sich meine treffliche Frau deiner freuen! Als liebe Schwester nehmen dich meine Töchter auf: — eine Römerin sollst du mir werden!‹«

      »Aber da sprang sie, erschrocken wie ein aufgescheuchtes Reh, von meinem Schos auf, lief weg, hüpfte in ihr Boot, fuhr eilfertig über den See, und kam nicht wieder — viele Tage lang. Mich verzehrte die Sehnsucht, ja die Sorge, sie für immer verscheucht zu haben. Endlich ließ ich mich — es war ja damals tiefer Friede — an das Nordufer fahren und an ihre Waldhütte führen. Kaum ward sie meiner ansichtig, als sie mit lautem Aufschrei, rasch wie ein Baumspecht, eine riesige Eiche hinaufkletterte, und sich im dichtesten Geäst verbarg. Sie kam erst wieder herunter, als ich ihr feierlich, vor Oheim und Großmutter, gelobt hatte, sie nicht mitnehmen und nie wieder ein solches Wort auch nur sprechen zu wollen: ›denn,‹ klagte sie, Thränen in den Augen, ›in jenem heißen Lande müßt‘ ich elend verschmachten vor Heimweh nach den Meinen, nach den Nachbarn, ja nach Berg und Hag und See, der Waldblume gleich, welche man aus ihrem Moorgrund in trocknen Sand verpflanzte.‹« »Ein sinnig Kind,« sprach, nachdenklich geworden, der Tribun, seinen schönen braunen Vollbart streichend. »Sie ist also hübsch?« »Das will ich meinen!« fiel Herculanus ein: — laut, fast grimmig klang dies Lob. — »Ei, Neffe, du hast sie ja nie gesehen.« — »Du hast sie uns aber oft genug beschrieben! Ich könnte sie malen: — mit ihrem hellroten Haar.« »Und Bissula heißt sie?« fragte Saturninus weiter. »Ja, ›die Kleine‹,« erklärte Ausonius, »denn sie ist gar zierlich und zartgliedrig. Ich sah sie nun wieder regelmäßig, hielt aber streng mein Wort, sie nicht mehr einzuladen. Als ich Abschied nahm, weinte sie so kindliche, herzliche Thränen! ›Mit dir scheidet,‹ sagte sie, ›eine warme, goldighelle, schönere Welt, in die ich wie auf den Zehen stehend über einen Vorhang hineingeguckt.‹« —

      »Neulich nun, in Bindonissa angelangt — auf dem Wege durch das Land hatte ich viel der Anmutreichen gedacht — sah ich sie in der ersten Nacht im Traum vor mir, umringelt von einer giftigen Schlange: — die Kinderaugen waren hilfesuchend aufgeschlagen zu mir. Ich erwachte mit einem Aufschrei, und schwer fiel mir auf das Herz: was kann nicht widerfahren dem holden Mädchen — denn schön mag sie seither erblüht sein! — wenn unsre Kohorten nun bald alle Schrecken des Krieges tragen in jene Ufergehölze! Und ich gesteh‘ es: ganz besonders um jenes Kind wiederzusehen — vielleicht es zu schützen, bis der Krieg sich verzogen — bat ich den Kaiser, mich diesem Streifzug anschließen zu dürfen.«

      Zwölftes Kapitel

      »Du aber, Herculanus,« forschte der Tribun, »glaubtest wohl des Oheims Leben nicht sicher genug unter meinem Schutz, daß du dich so eifrig herzu drängtest?« Bevor der Neffe erwidern konnte, fiel Ausonius ein: »Aber — Dank den Göttern! unser Feldzug bleibt unblutig. Die Barbaren haben das Land geräumt. Wohin mögen sie gewichen sein? Was hast du durch deine Kundschafter erfahren von dem Treiben der Feinde?« — »Nichts! Das ist das Unheimliche. Es ist, als hätte die Erde sie eingeschluckt! — Sie sollen auch wirklich viel unterirdische Gänge und Keller haben, in welchen sie ihre Vorräte und sich selbst bergen in Zeiten der Gefahr. — Nur sehr schwer sind unsere Colonen auf dem Südufer als Späher zu gewinnen. Sie wissen recht gut: wir Römer kommen und gehen, die Alamannen bleiben im Land: und sie fürchten deren Rache. Und Überläufer giebt es nicht mehr! Ja, in früheren Kriegen wird oft davon erzählt. Aber daß die Überläufer ausbleiben, zeigt, daß drüben das Selbstvertrauen steigt und die Furcht vor Rom oder auch die Hoffnung auf Rom sinkt. Nur ein Paar Freiwillige gewann ich, — für schweres Geld! — auf Kundschaft sich weit voraus zu wagen: der nach Ost gewanderte kam wieder, ohne eine Spur vom Feinde gesehen zu haben: der nach Norden gesandte kam — bisher — gar nicht wieder. Und leider auch nicht einen Gefangenen haben wir gemacht! Nicht die Spur eines Menschentrittes haben wir gesehen auf dem ganzen Marsch entlang dem See. Einmal meinte ich freilich, ich sähe aus dem dichten Schilf, das stundenweit in den See hineinreicht, eine kleine Rauchsäule aufsteigen: — ich befahl, zu halten mit dem ganzen Heer: aber gleich war das einsame Wölklein wieder verschwunden.«

      »Ich begreife die Strategie unseres trefflichen Feldherrn doch nur,« spottete der Führer der Panzerreiter, zu Ausonius gewendet, »wenn ich ihm ein fast beleidigendes Maß von Vorsicht zumesse. Beim Herkules! Wo sie auch stecken, — nicht einen Tagmarsch können die Barbaren von uns entfernt sein.« — »Ja,« bestätigte Ausonius. »Ich sollte doch meinen, wir wären stark genug, sie aufzusuchen und zu verscheuchen aus ihrem Versteck.« Saturninus furchte nur leise die Brauen: »Was dein Neffe von meinem Mut urteilt, ist gleichgültig. Du aber, Präfekt, hast schon wieder vergessen, daß wir die Barbaren, nach des Kaisers Befehl, gerade nicht verscheuchen, sondern umfassen und zur Unterwerfung zwingen sollen. Zu dieser Umzingelung sind wir zu schwach und müssen wir die Schiffe abwarten. Wenn unsere Flotte nicht ihnen den See versperrt, entkommen sie abermals auf ihren Kähnen, wie schon oft. — Bleibe, pierischer Freund, bei deinen Hexametern und überlasse mir die Barbaren: es ist besser für alle Beteiligten.« »Ausgenommen die — Barbaren!« lächelte Ausonius, dem Freund die Hand reichend. »Wer sind wohl die Führer der Feinde?«

      »Die Römer auf dem Südufer nennen zwei Namen. Die übrigen alamannischen Gaue haben meist Könige —« »Soweit Germanen Königsherrschaft tragen, sagt Tacitus,« nickte der gelehrte Präfekt. »Mögen sie doch immer so fortleben, in zahllose Gaue zerklüftet, unter ihren Zaunkönigen und Dorfrichterlein, denen jeder nur gehorcht, soweit es ihm

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