Die Nilbraut. Georg Ebers

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Die Nilbraut - Georg  Ebers

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schafft mir dann die Freude, Dich hier wieder zu sehen? Ehrlich gestanden, hatt’ ich nicht auf Deine Rückkehr gehofft.«

      »Und warum nicht?«

      »Erlaß mir die Antwort. Die Menschen hören nicht gern unliebsame Dinge. Hält unsereins jemand für nicht völlig gesund...«

      »Wenn das auf mich gehen soll,« versetzte das Mädchen, »kann ich Dir sagen: das Einzige, was mir an mir noch gefällt, ist gerade meine Gesundheit. Sprich Dich nur aus. Sag meinetwegen das Schlimmste. Ich brauch’ heut etwas, das mich aus der Erschlaffung herausreißt, selbst wenn es mich aufbringt.«

      »Gut denn,« entgegnete Philipp, »doch ich begebe mich da in ein gefährliches Wasser. — Um die Gesundheit — was die Leute so nennen — kann jeder Fisch Dich beneiden, aber die höhere Gesundheit, die der Seele, mit der kannst Du, fürcht’ ich, nicht prahlen.«

      »Das fängt bedenklich an,« erwiderte das Mädchen. »Aus Deinem Vorwurf scheint hervorzugehen, daß ich Dir oder irgend einem andern unrecht gethan habe.«

      »Hättest Du’s doch!« rief der Arzt. »Nichts, gar nichts ist uns von Deiner Seite begegnet. Ich bin, der ich bin, denkst Du von Dir selbst, und was sind Dir die anderen?«

      »Es fragt sich, was Du unter diesen ›anderen‹ verstehst.«

      »Nicht weniger als alle, die Dich hier im Hause, in dieser Stadt, auf dieser Welt gegenwärtig umgeben. Sie sind Luft für Dich und weniger als das; denn die Luft ist ein Körper, dessen Kraft Segel füllt und Schiffe gegen den Strom treibt, dessen wechselnde Natur auf das Wohl oder Uebelbefinden des Körpers einwirkt...«

      »Meine Welt ist hier drinnen,« versetzte Paula und legte die Hand auf das Herz.

      »Ganz recht. Die ganze Kreatur hätte auch Platz da; denn was man gemeinhin ein Menschenherz nennt, wie viel kann es umfassen! Je mehr man ihm in sich zu schließen zumutet, desto williger nimmt es alles auf. Gefährlich ist’s, das Schloß daran rosten zu lassen; denn sobald das geschehen ist, und man will es öffnen, hilft kein Ziehen und Zerren. Und dann... aber ich will Dich nicht verletzen... Du hast Dich gewöhnt, immer nur rückwärts zu schauen...«

      »Was liegt denn Erfreuliches vor mir? Dein Tadel ist hart, und dabei wenig gerecht. Woher weißt Du überhaupt, wohin ich schaue?«

      »Weil ich Dir mit den Blicken des Freundes gefolgt bin. Wahrlich, Paula, Du hast verlernt, um Dich her und vorwärts zu sehen. Was hinter Dir liegt, was Dir verloren ging, das ist Deine Welt. Ich habe Dir einmal auf einer bröckeligen Papyrusrolle meines alten Pflegevaters Horus Apollo einen heidnischen Dämon gezeigt, der vorwärts schreitet, während ihm der Kopf so auf dem Halse sitzt, daß das ganze Gesicht und die Augen rückwärts schauen.«

      »Ich erinnere mich wohl.«

      »Nun, solch einem Dämon gleichst Du schon lange. Alles fließt, sagt Heraklit, und Du bist gezwungen, mit dem großen Strom vorwärts zu schwimmen, oder ändern wir das Bild, Du mußt auf der Landstraße des Lebens vorwärts, dem allgemeinen Ziele entgegenschreiten; doch Dein Auge blickt dabei nach hinten, wo es sich an einem schönen, reichen Vaterhaus, vieler Liebe und Zärtlichkeit, großen und freundlichen Gestalten, einem glücklichen, aber leider vergangenen Dasein weidet. Dabei schreitest Du weiter, und was muß nun erfolgen?«

      »Daß ich stolpere, denkst Du, und falle...«

      Paula hatten die Vorwürfe des Arztes um so schärfer getroffen, je weniger sie sich verhehlen konnte, daß sie viel Wahres enthielten. Sie war gekommen, um sich aufmuntern zu lassen, aber nun trübten ihr diese Anklagen selbst das Gefühl der Gesundheit. Warum ließ sie sich von diesem keineswegs betagten Manne ins Gebet nehmen wie eine Schülerin? Ging das so fort, so sollte er zu hören bekommen... Aber schon erfolgte seine Antwort, und sie erfrischte sie wieder und bestärkte ihre Ueberzeugung, daß er ihr wahrer, wohlmeinender Freund sei.

      »Das vielleicht nicht,« lautete seine Entgegnung, »weil — weil — nun, die Schickung hat Dich eben mit dem schönsten Gleichmaß gesegnet, und als eines Helden Tochter bewegst Du Dich selbstbewußt vorwärts. Vergessen wir nicht, daß ich von Deiner Seele rede, auch sie erhält ihr angeborener, vornehmer Sinn unter so vielem Kleinen und Niedrigen aufrecht.«

      »Warum brauch’ ich mich dann vor dem Rückwärtsschauen, das mir wohl thut, zu fürchten?« unterbrach sie ihn lebhaft und blickte ihm neu ermuntert ins Antlitz.

      »Weil Du dabei den anderen leicht auf den Fuß trittst! Das thut weh, sie werden Dir gram, sie lernen Dir, die Du liebenswerter bist als sie alle, sie lernen Dir grollen!«

      »Mit Unrecht, denn ich bin mir bewußt, so lange ich lebe keinen Menschen geflissentlich betrübt oder beleidigt zu haben.«

      »Ich weiß; aber unbewußt ist es tausendmal geschehen.«

      »So war’ es am besten, ich flöhe sie gänzlich.«

      »Nein, tausendmal nein! Wer sich von den anderen zurückzieht und sich der Einsamkeit ergibt, denkt etwas Großes zu thun, und sich über ein Dasein zu stellen, das er verachtet. Aber forsche nur näher nach: der Eigennutz, die Selbstliebe treibt ihn in die Höhle und Klause; in jedem Falle vernachlässigt er, um das zu erringen, was er für sein Heil hält, die höchsten Pflichten gegen die Menschheit, oder sagen wir nur gegen die Gesellschaft, zu der wir gehören. Sie ist ein großer Körper, und jeder Einzelmensch soll sich als Glied desselben betrachten, ihm dienlich und nützlich zu sein suchen und sogar, wo es not thut, sich bereit zeigen, ihm Opfer zu bringen. Die schwersten sind nicht zu schwer. Aber wer sich auf sich selbst stellt, aber Du — nein, bitte, höre mich zu Ende; denn ich wage es vielleicht nicht zum zweitenmal, mich der Gefahr auszusetzen, Dich zu erzürnen — Du willst ein Körper für Dich sein. Was Paula erlebt und besessen, das hält sie im Schatzhause ihrer Erinnerungen hinter Schloß und Riegel versteckt. Was Paula ist, das meint sie eben sein zu müssen, und wofür? Wieder nur für dieselbe Paula. Sie hat großes Leid erfahren, und davon lebt ihre Seele; aber diese Kost ist verwerflich, ist ungesund und schlecht!«

      Da wollte sie sich erheben, er aber beugte sich, ganz Eifer und voll überzeugt, sich nicht unterbrechen lassen zu dürfen, ihr entgegen, berührte flüchtig ihren Arm, als wollte er sie auf dem Diwan festhalten und fuhr unbeirrt fort:

      »Du nährst Dich von altem Leid! Recht schön! Hundertmal hab’ ich’s gesehen: der Schmerz kann veredeln. Er kann wackere Seelen befähigen, anderer Weh tiefer zu empfinden, er kann in ihnen die Sehnsucht wecken, anderer Leiden mit schöner Opferfreude zu lindern. Wer Schmerz und Unlust kennt, der genießt Wohlsein und Lust mit doppelter Freude; der Leidende lernt auch die kleinen Güter des Lebens mit Dank genießen. Aber Du? Schon lange hab’ ich nach Mut gerungen, es Dir zu sagen, doch Du ziehst aus dem Schmerz keinen Nutzen, weil Du ihn in Dich verschließest wie kostbaren Samen, den man in einer silbernen Kapsel mit sich herum trägt. In die Erde soll man ihn senken, damit er aufkeimt und Frucht trägt! Doch ich will ja nicht tadeln, ich möchte nur raten, raten als Dein treuster, ergebenster Freund! Lerne Dich doch als Glied des Körpers fühlen, dem das Schicksal Dich hier nun einmal beigesellt hat, mag er Dir gefallen oder auch nicht. Denke darauf, ihm zu gewähren, was Deine Befähigung ihm zuzuführen gestattet. Du wirst es finden, es wird Dir gelingen, ihm etwas zu sein, und gleich öffnet sich die Kapsel, und mit Erstaunen und Freude nimmst Du wahr, daß der Samen, den Du auf die Erde streust, aufgeht, daß sich Blüten entfalten und Früchte bilden, aus denen sich Brot gewinnen läßt oder Arznei für Dich und für andere! Dann lässest Du, wie es in der Bibel heißt, die Toten ihre Toten begraben und widmest den Lebenden die reichen Kräfte und schönen Gaben, welche sich von einem hohen Vater und einer edlen Mutter, ja von einer hervorragenden Ahnenreihe auf die würdige Enkelin vererbt haben. Dann wirst

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