Kindheit. Tolstoy Leo

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Kindheit - Tolstoy Leo

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für welches Karl Iwanowitsch beim Tischler Kondratius extra eine Form bestellt, an dem er mit besonderer Sorgfalt und Liebe gearbeitet hatte – dieses Futteral lag zerdrückt, verbogen hinter dem Ofen zwischen Staub und neben der Dielenbürste auf dem Fußboden – wahrscheinlich hatte Karl Iwanowitsch es in einem Augenblick des Ärgers selbst dorthin geworfen.

      Es kam mir sonderbar vor, daß Wolodja darüber lachen konnte.

      Karl Iwanowitsch blieb vor der Tür stehen und begann auf dem oberen Balken mit Kreide Buchstaben und Ziffern zu malen. Er führte seinen Kalender auf dieser Tür; da aber der ganze Monat nicht auf das obere Gesims hinaufging, so wischte er an gewissen Tagen das Geschriebene aus und schrieb neue Zeichen hin.

      Während er damit beschäftigt war, trat ich zum letzten Fenster. Die Aussicht von dort war folgende: gerade unter dem Fenster ein großer Fliederbusch, hinter dem Busch eine geschorene Lindenallee, durch die man die Wiese sah, mit der Tenne auf der einen Seite und dem Wald auf der anderen und gegenüber. Im Walde sah man die Wärterhütte. Es läßt sich nicht beschreiben, wie schön das alles war.

      Aus dem Fenster rechts war ein Teil der Veranda sichtbar, auf welcher meistens alles bis zum Mittagessen saß. Bisweilen, während Karl Iwanowitsch das Diktat korrigierte, blickte ich nach jener Seite, sah dann das schwarze Köpfchen der Mutter, einen Rücken und hörte undeutliches Gespräch und Lachen. Ich war recht ärgerlich, daß ich nicht dabei sein konnte! Ich dachte: wann werde ich groß sein, aufhören zu lernen und immer bei denen sein, die ich liebhabe? Ärger überkam mich, und Gott mag wissen, an was ich so sehr dachte, daß ich gar nicht hörte, wie Karl Iwanowitsch über die Fehler böse war und schalt.

      Wolodja durfte aufstehen und wir gingen hinunter, um die Mutter zu begrüßen.

      2. Mama

      Mama saß im Gastzimmer und goß Tee ein; mit einer Hand hielt sie die Teekanne, mit der anderen den Samowarhahn, aus dem das Wasser über den Rand der Teekanne auf das Teebrett floß. Obgleich sie unverwandt auf diese Stelle blickte, bemerkte sie nichts, bemerkte nicht einmal, daß wir eintraten.

      Wenn man versucht, die Züge eines geliebten, längst verstorbenen Wesens in Gedanken wachzurufen, tauchen so viele traurige Erinnerungen an die Vergangenheit auf, daß man durch diese Erinnerungen wie durch Tränen sieht. Das sind die Tränen der Erinnerung.

      Wenn ich mich bemühe, mir meine Mutter so vorzustellen, wie sie damals war, sehe ich nur ihre wunderbaren braunen, stets gleichmäßige Güte und Liebe ausdrückenden Augen, das Muttermal am Halse, ein wenig unterhalb der Stelle, wo sich die kleinen Härchen kräuseln, das gestickte weiße Bäffchen und die magere, weiße, zarte Hand, die ich so oft küßte und die mich so oft gestreichelt hat.

      Links vom Sofa an der Wand stand ein alter englischer Flügel, an dem mein schwarzbraunes Schwesterchen Ljubotschka saß und mit ihren rosigen, soeben in kaltem Wasser gewaschenen Fingerchen mit deutlich sichtbarer Anstrengung die Etüden von Clementi übte. Sie war elf Jahre alt, trug ein kurzes Leinenkleid und weiße, spitzenbesetzte Höschen. Die Oktaven konnte sie nur »Arpeggio« greifen. Neben ihr, halb seitwärts, saß Maria Iwanowna in einer rosa bebänderten Haube, blauen Jacke und mit rotem, bösem Gesicht, das einen noch böseren Ausdruck annahm, wenn Karl Iwanowitsch das Zimmer betrat. Sie maß ihn mit drohenden Blicken, grüßte nicht, sondern fuhr noch lauter und gebieterischer als vorhin fort zu zählen; un, deux, trois … un, deux, trois …

      Karl Iwanowitsch achtete nicht darauf, ging gewöhnlich mit seinem deutschen Gruß direkt auf die Mutter zu, um ihr die Hand zu küssen. Dann fuhr sie auf, schüttelte das Köpfchen, wie um die traurigen Gedanken zu vertreiben, reichte Karl Iwanowitsch die Hand und küßte ihn auf die runzelige Schläfe, während er ihre Hand mit den Lippen berührte.

      »Ich danke Ihnen, lieber Karl Iwanowitsch,« sagte sie und fragte weiter deutsch: »Haben die Kinder gut geschlafen?«

      Karl Iwanowitsch war auf einem Ohr taub und konnte jetzt wegen des Lärms am Flügel gar nichts hören. Er beugte sich, eine Hand auf den Tisch gestützt und auf einem Bein stehend, näher zum Sofa, lüftete mit einem Lächeln, das mir damals als Gipfelpunkt feiner Sitte erschien, sein Käppchen und sagte: »Entschuldigen, was meinten Natalie Iwanowna?«

      Karl Iwanowitsch nahm, um sich den kahlen Kopf nicht zu erkälten, niemals das rote Käppchen ab, bat aber jedesmal, wenn er das Gastzimmer betrat, deswegen um Entschuldigung.

      »Bleiben Sie bedeckt, Karl Iwanowitsch. Ich frage, ob die Kinder gut geschlafen haben?« sagte die Mutter, sich zu ihm beugend, ziemlich laut.

      Aber er hatte wieder nichts gehört, bedeckte seine kahle Platte mit dem Käppchen und lächelte nur.

      »Hört einen Augenblick auf, Mimi,« sagte Mutter freundlich lächelnd zu Maria Iwanowna: »man kann nichts verstehen.«

      Mutter hatte ein Lächeln, durch das, so hübsch ihr Gesicht auch war, es doch noch hübscher wurde und ringsum alles verklärte. Wenn ich in schweren Augenblicken des Lebens auch nur flüchtig dieses Lächeln sehen könnte, wüßte ich nicht, was Kummer ist. Mir scheint, daß im Lächeln eigentlich die Schönheit des Gesichtes liegt; wenn das Lächeln dem Gesicht mehr Reiz gibt, ist dieses schön; wenn es das Gesicht nicht verändert: gewöhnlich; wenn es entstellt: häßlich.

      Nachdem Mama Wolodja begrüßt, küßte sie nach althergebrachter Gewohnheit in unserer Familie meine Hand; nahm dann meinen Kopf zwischen beide Hände, beugte ihn zurück, sah mich unverwandt an und fragte: »Du hast heute geweint?« Dann küßte sie mich auf die Augen und fragte deutsch: »Worüber hast du geweint?«

      Wenn sie freundschaftlich mit uns sprach oder scherzte, bediente sie sich stets des Deutschen. Sie beherrschte diese Sprache vollkommen.

      »Ich hab' im Traum geweint, Mama,« erwiderte ich, dachte dabei an meinen erfundenen Traum mit allen Einzelheiten und zitterte in Gedanken unwillkürlich. Karl Iwanowitsch bestätigte meine Worte, schwieg aber von dem Traum.

      Nachdem man noch vom Wetter gesprochen, an welcher Unterhaltung auch Mimi sich beteiligte, legte Mama für einige bevorzugte Dienstboten sechs Stücke Zucker auf das Teebrett, stand auf und ging zum Stickrahmen am Fenster.

      »Nun, Kinder, geht zum Vater und sagt ihm, daß er zu mir kommt, eh' er zur Tenne geht. Vous pouvez reprendre votre leçon, chère Mimi.«1

      Wieder Musik, Zählen, drohende Blicke, und wir gingen zu Papa.

      Wir gingen durch das Zimmer, das noch von Großvater her »Dienerzimmer« hieß und traten in das Arbeitszimmer des Vaters.

      3. Papa

      Er stand am Schreibtisch und war, auf verschiedene Papiere, Kuverts und Geldpäckchen deutend, in lebhafter Unterhaltung mit dem Verwalter Jakob Michailow begriffen, der mit auf dem Rücken verschränkten Händen auf seinem gewöhnlichen Platz zwischen Tür und Barometer stand und die Finger sehr schnell nach verschiedenen Richtungen drehte. Je lebhafter Papa sprach, um so schneller bewegten sich die Finger; wenn er verstummte, ruhten auch die Finger; wenn aber Jakob selbst das Wort nahm, kamen auch die Finger wieder in starke Bewegung. Und aus ihren Bewegungen konnte man die geheimsten Gedanken Jakobs erraten, während sein Gesicht stets den Ausdruck von Würde und Unterwürfigkeit zeigte: »Ich habe recht, aber natürlich ganz wie es Ew. Gnaden beliebt.«

      Bei unserem und Karl Iwanowitschs Anblick sagte Papa nur: »Einen Augenblick; sofort,« und deutete durch eine Kopfbewegung an, daß jemand von uns die Tür schließen sollte.

      »Ach, lieber Gott! Was hast du heute nur, Jakob?« fuhr er, seiner Gewohnheit nach achselzuckend, zum Verwalter gewandt

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Sie können weiterspielen, liebe Mimi.