Herr und Knecht: Novelle. Tolstoy Leo

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Herr und Knecht: Novelle - Tolstoy Leo

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ist denn? Was ist denn?“ fragte Nikita von neuem.

      „Ja, was ist denn, was ist denn?“ äffte Wasili Andrejitsch ihm ärgerlich nach. „Es sind keine Merkstangen zu sehen! Wir müssen vom Wege abgekommen sein!“

      „Dann halten Sie doch; ich will den Weg wieder suchen,“ sagte Nikita. Er sprang behende aus dem Schlitten, zog die Peitsche aus dem Stroh heraus und ging nach links zu, nach der Seite, auf der er gesessen hatte.

      Der Schnee lag in diesem Jahre nicht tief, so daß man überall gehen konnte; aber an einzelnen Stellen reichte er doch bis ans Knie und füllte von oben her einen Stiefel Nikitas voll. Nikita ging hin und her und tastete mit den Füßen und mit der Peitsche; aber ein Weg war nirgends.

      „Nun, wie steht's?“ fragte Wasili Andrejitsch, als Nikita wieder zum Schlitten herankam.

      „Auf dieser Seite ist kein Weg. Ich muß nach der anderen Seite suchen gehen.“

      „Da nach vorn zu ist etwas Schwärzliches; geh doch mal dahin und sieh zu,“ sagte Wasili Andrejitsch.

      Nikita ging dorthin und näherte sich dem, was schwärzlich aussah: dieses Schwärzliche war Erde, die von entblößten Wintersaatfeldern durch den Wind über den Schnee getrieben war und den Schnee schwarz gefärbt hatte. Nachdem Nikita dann auch noch auf der rechten Seite umhergegangen war, kehrte er zum Schlitten zurück, klopfte sich den Schnee ab, schüttelte ihn auch aus dem Stiefel aus und setzte sich wieder in den Schlitten.

      „Wir müssen rechts fahren,“ sagte er in entschiedenem Tone. „Vorher bekam ich den Wind in die linke Seite und jetzt gerade ins Gesicht. Fahren Sie nach rechts,“ sagte er mit aller Bestimmtheit.

      Wasili Andrejitsch befolgte seine Weisung und hielt nach rechts. Aber auf einen Weg kamen sie dennoch nicht. So fuhren sie eine Zeitlang. Der Wind hatte nicht nachgelassen, und es schneite immer noch.

      „Wir sind offenbar ganz und gar vom Wege abgekommen, Wasili Andrejitsch,“ sagte Nikita auf einmal, wie es schien, mit einer Art von Vergnügen. „Was ist das da?“ fuhr er fort und zeigte auf schwarzes Kartoffelkraut, das aus dem Schnee hervorragte.

      Wasili Andrejitsch hielt das Pferd an, das schon ganz in Schweiß geraten war und mit den Flanken heftig atmete.

      „Was willst du damit?“ fragte er.

      „Ich will sagen, daß wir auf dem Felde von Sacharowka sind. Nun seh mal einer, wohin wir geraten sind!“

      „Quatsch!“ erwiderte Wasili Andrejitsch, der jetzt in durchaus ungekünstelter, bäuerlicher Sprache redete, ganz anders als zu Hause.

      „Das ist kein Quatsch, Wasili Andrejitsch, sondern was ich sage, ist richtig,“ antwortete Nikita. „Auch am Schlitten ist es zu hören, daß wir über ein Kartoffelfeld fahren; und da sind auch Haufen, da haben sie das Kartoffelkraut zusammengeworfen. Das ist das Feld, das zur Brennerei von Sacharowka gehört.“

      „Ei ei, wohin haben wir uns verirrt!“ sagte Wasili Andrejitsch. „Was sollen wir nun machen?“

      „Wir müssen geradeaus fahren, weiter nichts; irgendwohin werden wir schon kommen,“ erwiderte Nikita. „Kommen wir nicht nach Sacharowka, dann kommen wir nach der herrschaftlichen Meierei.“

      Wasili Andrejitsch gehorchte und ließ das Pferd gehen, wie es Nikita geheißen hatte. So fuhren sie ziemlich lange. Manchmal fuhren sie über entblößte Wintersaat, wo die beschneiten Raine und die Schneewehen obenauf mit Erdstaub bedeckt waren. Dann wieder kamen sie auf Stoppelfeld, bald von Wintergetreide, bald von Sommergetreide, wo Beifußstauden und Strohhalme aus dem Schnee hervorragten und im Winde schwankten. Dann wieder kamen sie in tiefen, überall gleichmäßig weißen, eben daliegenden Schnee, aus dessen Oberfläche nichts mehr hervorschaute. Schnee rieselte von oben herab, und Schnee stiebte von unten auf. Manchmal glaubten sie bergauf, manchmal bergab zu fahren; bisweilen hatten sie die Vorstellung, als ständen sie still auf einem Fleck und das Schneefeld liefe neben ihnen vorbei. Beide schwiegen sie. Das Pferd war offenbar sehr ermattet, infolge des Schweißes am ganzen Leibe rauh geworden und von Reif bedeckt; es ging im Schritt. Plötzlich sank es ein und blieb in einer Vertiefung stecken, mochte dies nun eine vom Wasser ausgespülte Stelle oder ein Graben sein. Wasili Andrejitsch wollte anhalten, aber Nikita schrie ihm zu:

      „Wozu sollen wir halten? Sind wir hineingefahren, so müssen wir auch wieder hinausfahren. Hü, mein lieber Freund, hü, hü, du lieber Kerl!“ rief er in heiterem Tone dem Pferde zu; er sprang aus dem Schlitten und sank selbst tief in die Höhlung hinein.

      Das Pferd zog kräftig an und arbeitete sich sofort auf einen gefrorenen Damm hinauf. Augenscheinlich war es also ein von Menschenhand hergestellter Graben.

      „Wo sind wir denn?“ fragte Wasili Andrejitsch.

      „Das werden wir schon erfahren!“ antwortete Nikita. „Fahren Sie nur einfach zu. Irgendwohin werden wir schon kommen.“

      „Das wird da wohl der Wald von Gorjatschkino sein?“ sagte Wasili Andrejitsch und zeigte auf etwas Schwarzes, das vor ihnen durch den Schnee hindurch sichtbar wurde.

      „Wenn wir herankommen, werden wir sehen, ob das ein Wald ist und was für einer,“ antwortete Nikita.

      Nikita hatte bemerkt, daß aus der Gegend, wo sich dieser schwarze Gegenstand befand, trockene, längliche Weidenblätter vom Winde herübergetrieben wurden, und wußte daher, daß da kein Wald war, sondern menschliche Wohnungen; aber er wollte es nicht sagen. Und wirklich waren sie nach dem Graben noch nicht dreißig Schritt weitergefahren, als sie zweifellos dunkle Bäume vor sich hatten, und ein neues, melancholisches Geräusch vernahmen. Nikita hatte richtig vermutet: es war kein Wald, sondern eine Reihe hoher Weidenbäume, an denen noch hier und da Blätter im Winde raschelten. Die Weidenbäume waren augenscheinlich an dem Graben, der eine Tenne umgab, gepflanzt.

      Als sie sich den Bäumen näherten, die im Winde so schwermütige Töne von sich gaben, hob sich das Pferd auf einmal mit den Vorderfüßen über die Höhe des Schlittens hinaus, arbeitete sich dann auch mit den Hinterfüßen hinauf und ging nun nicht mehr bis an die Knie im Schnee. Das war ein Fahrweg.

      „Da sind wir nun glücklich angekommen,“ sagte Nikita. „Ich weiß bloß nicht, wo wir sind.“

      Das Pferd schritt auf dem verschneiten Fahrwege, ohne von ihm abzukommen, dahin, und sie waren auf ihm noch nicht hundert Schritte weit gefahren, als sie wie eine dunkle Masse das Flechtwerk einer Getreidedarre vor sich hatten, von der unaufhörlich Schnee herunterrieselte. Als sie an der Darre vorbei waren, machte der Weg eine Biegung, so daß sie nun den Wind hinter sich hatten, und sie fuhren in eine Schneewehe hinein. Aber darüber hinaus sahen sie vor sich eine Gasse zwischen zwei Häusern, so daß offenbar die Schneewehe auf dem Fahrwege zusammengeweht war und sie hindurchfahren mußten. Und wirklich kamen sie, sobald sie durch die Schneewehe hindurch waren, in die Dorfstraße. Auf dem ersten Gehöfte flatterte steifgefrorene Wäsche, die an einer Leine aufgehängt war, wild im Winde: zwei Hemden, ein rotes und ein weißes, ein Paar Unterhosen, Fußlappen und ein Unterrock. Das weiße Hemd bewegte sich besonders wild und schlug, an den Ärmeln festgesteckt, heftig umher.

      „Na, das muß ein faules Weib sein, wenn sie nicht etwa im Sterben liegt; hat die Wäsche zum Fest nicht abgenommen!“ sagte Nikita beim Anblicke der flatternden Wäschestücke.

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