Salambo: Ein Roman aus Alt-Karthago. Gustave Flaubert
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Keiner aber sah sie so unverwandt an wie ein junger numidischer Häuptling, der am Tische der Hauptleute unter den Soldaten seines Volkes saß. Sein Gürtel starrte dermaßen von Wurfspießen, daß er unter dem weiten Mantel, der mit einem Lederriemen um seine Schläfen befestigt war, einen Höcker bildete. Der Mantel bauschte sich auf seinen Schultern und beschattete sein Gesicht, so daß man nur das Feuer seiner beiden starren Augen gewahrte. Er wohnte zufällig dem Feste bei. Es war Brauch, daß die afrikanischen Fürsten, um Bündnisse anzuknüpfen, ihre Kinder in punische Patrizierhäuser schickten. So ließ ihn sein Vater in der Familie Barkas leben. Doch Naravas hatte Salambo in den sechs Monden seines Aufenthalts noch keinmal zu Gesicht bekommen. Jetzt nun, auf den Fersen hockend, den Bart in den Schäften seiner Wurfspieße vergraben, blickte er auf sie mit geblähten Nüstern, wie ein Leopard, der im Bambusdickicht kauert.
Auf der andern Seite des Tisches saß ein Libyer von riesenhaftem Wuchse, mit kurzem schwarzem Kraushaar. Er trug nichts als seinen Küraß, dessen eherne Schuppen den Purpurstoff des Polsters aufschlitzten. Ein Halsband aus silbernen Monden verwickelte sich in die Zotteln seiner Brust. Blutspritzer befleckten sein Antlitz. Auf den linken Ellbogen gestützt, lächelte er mit weit geöffnetem Munde.
Salambo hatte den heiligen Sang beendet. Aus weiblichem Feingefühl redete sie nun die Barbaren in ihren eigenen Sprachen an, um ihren Zorn zu besänftigen. Zu den Griechen sprach sie griechisch, dann wandte sie sich zu den Ligurern, den Kampanern und Negern. Ein jeder, der sie so verstand, fand in ihrer Stimme die süßen Laute seiner Heimat wieder.
Von der Erinnerung an Karthagos Vergangenheit begeistert, sang sie nun von den alten Schlachten gegen Rom. Man klatschte ihr Beifall. Sie berauschte sich am Glanze der nackten Schwerter. Sie schrie, die Arme weit geöffnet. Die Lyra entfiel ihr. Sie verstummte …
Indem sie beide Hände gegen ihr Herz preßte, stand sie eine Weile mit geschlossenen Augenlidern da und weidete sich an der Erregung aller der Männer vor ihr.
Matho, der Libyer, neigte sich zu ihr hin. Unwillkürlich trat sie auf ihn zu und füllte, von ihrem befriedigten Ehrgeiz getrieben, eine goldene Schale mit Wein. Dies sollte sie mit dem Heere versöhnen.
»Trink!« gebot sie.
Er ergriff die Schale und führte sie zum Munde, als ein Gallier – jener, den Gisgo niederschlagen hatte – ihm auf die Schulter klopfte und mit vergnügter Miene einen Scherz in seiner Muttersprache machte. Spendius stand in der Nähe. Er bot sich als Dolmetsch an.
»Rede!« sprach Matho.
»Die Götter sind dir gnädig! Du wirst reich werden! Wann ist die Hochzeit?«
»Was für eine Hochzeit?«
»Deine!« entgegnete der Gallier. »Wenn nämlich bei uns ein Weib einem Krieger einen Trunk spendet, so bietet sie ihm damit ihr Bett an.«
Er hatte noch nicht zu Ende gesprochen, als Naravas aufsprang, einen Wurfspieß aus seinem Gürtel riß, den rechten Fuß auf den Tischrand stemmte und die Waffe gegen Matho schleuderte.
Sausend pfiff der Speer zwischen den Schalen hin, durchbohrte den Arm des Libyers und nagelte ihn mit solcher Wucht an die Tischplatte, daß der Schaft in der Luft vibrierte.
Matho riß ihn rasch heraus. Doch er war ohne Waffen und nackt. Da hob er mit beiden Armen den beladenen Tisch hoch und schleuderte ihn gegen Naravas, mitten in die Menge, die sich dazwischenwarf. Die Söldner und die Numidier standen so dicht, daß sie ihre Schwerter nicht ziehen konnten. Matho brach sich Bahn, indem er gewaltsam mit dem Kopfe gegen die Menge stieß. Als er wieder aufblickte, war Naravas verschwunden. Er suchte ihn mit den Augen. Auch Salambo war fort.
Da wandte er den Blick nach dem Schlosse und bemerkte, wie sich ganz oben die rote Tür mit dem schwarzen Kreuze eben schloß. Er stürzte hinauf.
Man sah ihn zwischen den Schiffsschnäbeln laufen, dann auf den drei schrägen Treppen hinaufeilen und schließlich oben gegen die rote Tür mit der Wucht seines ganzen Körpers anrennen. Schwer atmend lehnte er sich an die Mauer, um nicht umzusinken.
Ein Mann war ihm nachgefolgt, und in der Dunkelheit – der Lichterschein des Festes wurde durch die Ecke des Palastes abgeschnitten – erkannte er Spendius.
»Weg!« rief Matho.
Ohne etwas zu erwidern, begann der Sklave seine Tunika mit den Zähnen zu zerreißen. Dann kniete er neben Matho nieder, faßte behutsam dessen Arm und befühlte ihn, um im Dunkeln die Wunde zu finden.
Ein Mondstrahl glitt aus einer Wolkenspalte, und Spendius erblickte in der Mitte des Armes eine klaffende Wunde. Er verband sie mit dem Stück Stoff. Doch der andre rief zornig:
»Laß mich! Laß mich!«
»Nein, nein!« antwortete der Sklave. »Du hast mich aus dem Kerker befreit. Ich bin dein, und du bist mein Gebieter! Befiehl!«
Matho tastete sich an der Mauer hin, die ganze Terrasse entlang. Bei jedem Schritte horchte er auf und tauchte seinen Blick durch die vergoldeten Gitterstäbe hinein in die stillen Gemächer. Endlich blieb er verzweifelt stehen.
»Höre!« redete der Sklave ihn an. »Verachte mich nicht wegen meiner Armseligkeit! Ich habe in diesem Palast gelebt. Wie eine Schlange kann ich durch die Mauern schlüpfen. Komm! In der Ahnengruft liegt ein Goldbarren unter jeder Steinfliese. Ein unterirdischer Gang führt zu den Gräbern …«
»Was kümmert das mich!« antwortete Matho.
Spendius schwieg.
Sie standen auf der Terrasse. Eine ungeheure Schattenmasse breitete sich vor ihnen in phantastischer Gliederung aus, wie die gigantischen Wogen eines schwarzen versteinerten Meeres.
Da glühte im Osten ein lichter Streifen auf. Und tief unten begannen die Kanäle von Megara mit ihren silbernen Windungen im Grün der Gärten aufzublitzen. Allmählich reckten die kegelförmigen Dächer der siebenseitigen Tempel, die Treppen, Terrassen und Wälle ihre Umrisse aus dem bleichen Morgengrau heraus. Rings um die karthagische Halbinsel brodelte ein weißer Schaumgürtel. Das smaragdgrüne Meer schlief noch in der Morgenfrische. Je höher die Röte am Himmel emporstieg, um so deutlicher wurden die hohen Häuser, die sich an die Hänge klammerten oder wie eine zu Tal ziehende Herde schwarzer Ziegen abwärts drängten. Die menschenleeren Straßen schienen endlos lang. Palmen, die hier und da die Mauern überragten, standen regungslos. Die bis an den Rand gefüllten Zisternen in den Höfen glichen silbernen dort liegen gelassenen Schilden. Das Leuchtturmfeuer auf dem hermäischen Vorgebirge glimmte nur noch. Im Zypressenhain oben auf dem Burgberge setzten die Rosse Eschmuns, des Tages Nahen witternd, ihre Hufe auf die Marmorbrüstung und wieherten der Sonne entgegen.
Sie tauchte auf. Spendius erhob die Arme und stieß einen Schrei aus.
Alles war von Rot überflutet. Der Gott goß wie in Selbstopferung den Goldregen seines Blutes in vollen Strömen über Karthago aus. Die Schnäbel der Galeeren blitzten, das Dach des Khamontempels schien ein Flammenmeer, und im Innern der andern Tempel, deren Pforten sich nun auftaten, schimmerten matte Lichter. Große Karren, die vom Lande hereinkamen, rollten und rasselten über das Straßenpflaster. Dromedare, mit Ballen beladen, schwankten die Abhänge hinab. Die Wechsler in den Gassen spannten die Schutzdächer über ihren Läden auf. Störche flogen dahin. Weiße Segel flatterten. Im Haine der Tanit erklangen die Schellentrommeln der geheiligten Hetären, und auf der Höhe der Mappalierstraße begann der Rauch aus den Öfen zu wirbeln, in denen die