Die Colonie: Brasilianisches Lebensbild. Zweiter Band.. Gerstäcker Friedrich

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Die Colonie: Brasilianisches Lebensbild. Zweiter Band. - Gerstäcker Friedrich

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als in Brasilien – kam langseit. Die Bootsleute aber faßten, wie an anderen Orten, so auch hier, ohne Umstände auf, was sie an Gepäck fanden, um es in ihre kleinen Fahrzeuge zu schaffen und sich die dazu gehörigen Passagiere zu sichern.

      Günther fuhr natürlich sogleich mit an Land, denn der Aufenthalt auf diesen kleinen brasilianischen Dampfern ist nicht angenehm genug, um den Reisenden länger, als unumgänglich nöthig ist, darauf zu fesseln, und ging dann gleich an der Wohnung des Präsidenten vor, wo er sich wenigstens anmelden wollte. Er hatte sich kaum Zeit genommen, nur die nothwendigste Toilette zu machen, aber die Abende sind in allen jenen Ländern überhaupt die Zeit, in der man Besuche macht oder empfängt.

      Der Deutsche fand übrigens heute ausnahmsweise eine größere Gesellschaft versammelt, und als die Frau Präsidentin seinen Namen hörte, ließ sie ihn bitten augenblicklich einzutreten. Kam er doch von Santa Clara, und sie nahm selber das größte Interesse daran, von dieser Colonie Näheres und Neues zu hören.

      Günther wurde in das große Empfangszimmer geführt und fand hier schon sechs oder acht Herren und eben so viele Damen versammelt.

      Der Präsident selber saß in einem Lehnstuhle etwas bei Seite, es war ein kleiner ältlicher Herr, mit einem unendlich gutmüthigen Gesichte und ein Paar großen, klugen Augen; aber er schien sehr leidend. Er sah blaß und angegriffen aus, mit eingefallenen Wangen und einem eigenen schmerzlichen Zuge um den feingeschnittenen Mund.

      »Ah, mein lieber Eswartsau2,« nickte er ihm freundlich zu und streckte ihm die dünne, fast durchsichtige Hand entgegen; »schon fertig in Santa Clara? Das ist rasch gegangen.«

      »Noch nicht, Senhor,« sagte Günther, die Hand nehmend und herzlich drückend – »ich muß wieder zurück und erzähle Ihnen nachher, weshalb ich herüber gekommen bin – Senhora, erlauben Sie, daß ich Sie begrüßen darf.«

      »Es freut uns sehr,« sagte die Dame mit huldvollem Lächeln, »Sie wieder einmal auf Santa Catharina zu sehen. – Aber setzen Sie sich. Sie kommen wie gerufen, um uns recht viele Neuigkeiten von Ihrer Colonie zu erzählen – es soll ja fürchterlich da zugehen!«

      »Fürchterlich?« lächelte Günther; »davon habe ich nun allerdings Nichts gemerkt.«

      »Nichts? – Aber erlauben Sie mir, Sie meinen Freunden vorzustellen.« – Und die Senhora machte jetzt die gewöhnliche Formel der Introduction durch, die einen Fremden zur Verzweiflung bringen könnte, wenn die Sache an sich selbst nicht so unbedeutend wäre. Eine Masse von fremden Namen wurden ihm genannt, die er zum großen Theil nicht einmal verstand oder doch in demselben Moment wieder vergaß; die Leute verbeugten sich gegen einander und die Sache war damit abgemacht.

      Nur ein Name war Günther aufgefallen, und zwar der eines deutschen Barons von Reitschen. Er gehörte einem ältlichen Herrn von stattlichem Aussehen, mit schon etwas grau gemischten Haaren, aber vollkommen glatt rasirtem Gesicht und einer sehr zierlichen goldenen Brille, der aber, anstatt den Landsmann etwas herzlicher zu begrüßen, sich ebenfalls damit begnügte nur aufzustehen, und eine steife Verbeugung zu machen.

      »Und wie weit sind Sie mit Ihrer Vermessung gekommen, lieber Freund?« fragte der Präsident, als die langweilige Ceremonie vorüber war. »Schon Etwas ausgerichtet?«

      »Allerdings, Senhor,« erwiederte Günther; »mit Hülfe des Directors Sarno, der mich wacker dabei unterstützte, haben wir es möglich gemacht, genügendes Land für sämmtliche sich jetzt dort befindliche Einwanderer zu vermessen. Ich kehre von hier aber gleich wieder nach Santa Clara zurück, um noch einen andern District in Angriff zu nehmen; denn da jeden Tag ein neues Schiff eintreffen kann, wird es immer besser sein einige vermessene Strecken in Vorrath zu haben.«

      Der Präsident nickte beistimmend mit dem Kopfe, schwieg aber, und die Frau Präsidentin sagte:

      »Also hat sich der Herr Director doch endlich herbeigelassen, wenigstens in dieser Hinsicht seine Pflicht zu thun. Da muß ihm das Feuer tüchtig auf den Nägeln gebrannt haben!«

      »Ich weiß nicht,« sagte Günther, während er einem der mit Erfrischungen herumgehenden Diener ein Glas Limonade abnahm – »in welcher Beziehung Director Sarno seine Pflicht versäumt haben kann, Senhora; so lange ich mich aber in der Colonie aufgehalten, kann ich ihm nur das rühmlichste Zeugniß geben, da er sich der Einwanderer mit wahrhaft eisernem Fleiße angenommen. Sarno scheint mir ein sehr tüchtiger Mann, und besitzt außerdem auch die nöthige Energie, etwaigen Übergriffen fest entgegen zu treten.«

      »Energie!« lächelte die Dame; »er ist der reine Unterofficier, und wir haben von der ganzen Colonie Klagen auf Klagen hören müssen, die zuletzt selbst die Geduld eines Heiligen ermüden könnten!«

      »Klagen über Sarno?« sagte Günther erstaunt.

      »Sie glauben es wohl etwa nicht?« lachte die Dame, indem sie ein Papier von dem nächsten Tische nahm; wollen Sie so gut sein und das einmal lesen.«

      Günther nahm das Papier und überflog es flüchtig. Es waren in der That eine Menge Anklagen gegen den Director, in denen besonders sein rauhes und rücksichtsloses Betragen »gegen den gebildeten Theil der Gesellschaft« hervorgehoben und zuletzt gebeten wurde, den Director seiner Stelle zu entheben und einen würdigeren dafür hinzusenden. Unterschrieben war das Document von einer Anzahl ihm unbekannter Namen: einige davon kannte er aber doch, und unter den erstgezeichneten standen die Frau Gräfin Baulen, Baron Jeorgy, Pastor Beckstein und Arno von Pulteleben. Ein Name besonders fiel ihm seiner Kürze und Anspruchslosigkeit wegen auf: Bux, Künstler.

      »Nun,« sagte die Dame, während er das Papier langsam wieder zusammenfaltete und zurückgab, »was sagen Sie nun?«

      »Daß es in jeder Colonie eine Menge unzufriedenes Volk giebt,« erwiederte Günther, »das sich mit keinem Director wird befreunden können, es sei denn, er befriedige alle ihre Wünsche. Ich halte Sarno für den passendsten Mann für einen solchen Posten, den Sie in ganz Brasilien finden könnten.«

      »O, Sie sind wahrscheinlich ein besonderer Freund von ihm!« lachte die Frau Präsidentin.

      »Ich weiß nicht, ob ich auf den Titel Anspruch machen darf,« sagte Günther ruhig; »bei meinem Aufenthalt in Santa Clara habe ich mit dem Director allerdings freundschaftlich, aber nur in meinen Geschäften verkehrt. Wen auch immer ich aber über ihn gesprochen, war der Meinung, daß er für die Stelle passe.«

      »So?« lächelte die Dame geringschätzig – »freilich die Bauern müssen das am Besten beurtheilen können. Was halten Sie aber von einer Colonie, in der Gewaltthätigkeiten, Raub und Plünderung zu den allergewöhnlichsten Dingen gehören?«

      »Von einer solchen Colonie würde ich sehr wenig halten, gnädige Frau,« lächelte Günther – »ich kann aber doch nicht vermuthen, daß Sie glauben ein solches Verhältniß finde in Santa Clara statt; denn während der fünf Wochen, die ich mich dort aufhielt, ist nichts dem Ähnliches vorgefallen, und ich habe sogar nicht einmal von einem einzigen solchen Falle sprechen hören – eine Entführungs-Geschichte ausgenommen.«

      »Wenn Sie im Wald bei Ihrer Arbeit waren, mein lieber Herr von Schwartzau,« mischte sich Herr von Reitschen in das Gespräch, »so ist es wohl erklärlich, daß Sie die einzelnen Vorfälle in der Stadt selber nicht beachten konnten. Sie hatten dafür zu viel zu thun. Der Herr Präsident hier hat aber so authentische Nachrichten über derartige wirklich geschehene Dinge erhalten, daß sogar der Entschluß gefaßt ist, mit diesem zurückgehenden Dampfer Militär nach Santa Clara zu schicken.«

      »Militär nach Santa Clara?« rief Günther erstaunt – »eingeborene Soldaten, um etwa einmal eine gelegentliche Streitigkeit zwischen den Deutschen

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<p>2</p>

Portugiesen und Spanier können nie ein Sp, St oder Sch mit einem Consonanten dahinter am Anfang eines Wortes aussprechen, und setzen jedes Mal ein E vor.