Große und kleine Welt . Honore de Balzac

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Große und kleine Welt  - Honore de Balzac

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unser Magus ist ein höchst talentierter Bilderhändler!" meinte der Maler, der nun endlich begriff, warum seine Bilder im Laden des Elias ein so merkwürdiges Aussehen bekamen und weshalb der Alte immer so sonderbare Motive von ihm verlangt hatte.

      Wollte man nun annehmen, daß Herr von Fougčres – auf diesen Namen bestand seine Familie – bei seinen Bewunderern an Hochachtung eingebüßt hätte, so irrte man darin. Sein Ansehen stieg über alles Maß. Die Porträts der Familie Vervelle führte der Glückliche aber nun unentgeltlich aus und brachte sie seinem Schwiegervater, seiner Schwiegermutter und seiner jungen Gattin als Geschenk dar… Pierre Grassou, der heute bei keiner Ausstellung fehlt, gilt in der Welt der Kleinbürger als ein guter Porträtmaler. Er hat ein Einkommen von zwölfhundert Francs im Jahre und bekleckst für fünfhundert Francs Leinwand. Seine Frau hat eine jährliche Rente von sechstausend Francs als Mitgift bekommen und die Eheleute wohnen im Hause der Schwieger- eltern. Die Vervelles und die Grassous verstehen sich ganz ausgezeichnet miteinander; sie halten sich eine gemeinsame Equipage und sind die glücklichsten Menschen von der Welt. Wo Pierre Grassou in bürgerlicher Sphäre eine Gesellschaft besucht, wird er als der größte Künstler seiner Zeit gefeiert. Von der Barričre du Trône bis zur Rue du Temple wird kein Familienbild in Auftrag gegeben, das nicht dieser große Maler ausführt und sich mit mindestens fünfhundert Francs bezahlen läßt. Fragt man die Bürger, warum sie gerade ihm den Vorzug geben, so antworten sie: "Man mag sagen, was man will, er ist ein Mann, der im Jahre seine zwanzig- tausend Francs zum Notar bringt!"

      Da Grassou sich bei den Aufständen am 12 Mai trefflich gehalten hatte, wurde er zum Offizier der Ehrenlegion ernannt. Er ist Bataillonschef der Nationalgarde. Es blieb nicht aus, daß das Museum von Versailles einem so ausgezeichneten Staatsbürger ein Schlachtengemälde in Auftrag gab. Fougčres trug seine Freude vor ganz Paris zur Schau und erzählte seinen ehemaligen Kameraden, die ihm begegneten, mit gleichgültiger Miene: "Der König hat ein Schlachtengemälde bei mir bestellt."

      Frau von Fougčres, die ihren Gatten mit zwei Kindern beschenkt hat, betet ihn an. Ein ausgezeichneter Gatte und guter Vater ist dieser Maler, aber er kann nicht den schmerzlichen Gedanken verwinden, daß die Künstler sich über ihn lustig machen, sein Name in den Ateliers nur als abschreckendes Beispiel genannt wird, die Presse sich nicht mit seinen Werken beschäftigt. Doch er arbeitet unentwegt weiter und hegt die Hoffnung, daß man ihn in die Akademie aufnehmen werde. Und, ein Akt herzerfreuender Rache, den berühmten Malern kauft er, wenn sie in Geldverlegenheit sind, ihre Bilder ab. Auf diese Weise tauscht er die elenden Schinken der Galerie in Ville d'Avray aus gegen wirkliche Meisterwerke, die nicht von ihm stammen.

      DIE BÖRSE

      Es gibt eine köstliche Stunde für Herzen, die sich leicht öffnen, für frische Herzen, die stets jung und zärtlich bleiben, und diese Stunde, die unbestimmteste und veränderlichste von allen, aus denen ein Tag besteht, beginnt in dem Augenblick, wo es noch nicht Nacht und nicht mehr Tag ist. Die Abenddämmerung wirft ihre matten Färbungen und wunderlichen Beleuchtungen auf alle Gegenstände, und süße Träumereien entstehen dann, während Licht und Dunkelheit miteinander kämpfen. Das Schweigen, das fast stets während dieses an Inspirationen reichen Augenblickes herrscht, macht ihn besonders den Dichtern, Malern und Bildhauern teuer. Sie sammeln sich, treten ein wenig von ihren Werken zurück, und da sie nicht mehr daran arbeiten können, so beurteilen sie sie und berauschen sich mit Wonne an ihren Schöpfungen, deren ganze Schönheit sich vor dem inneren Auge ihres Genius entfaltet.

      Derjenige, der noch nie während dieses Augenblicks in poetische Träumereien versunken neben einem Freunde saß, wird nur schwer die unnennbaren Wohltaten desselben begreifen. Infolge des Halbdunkels verschwindet der materielle Trug, den die Kunst anwendet, um an die Wirklichkeit des Lebens glauben zu machen. Der Schatten wird dann Schatten, Licht ist Licht, das Fleisch wird lebendig, die Augen leuchten, Blut fließt durch die Adern und die Gewänder der gemalten Figuren scheinen zu rauschen. Die Einbildungskraft kommt auf wundersame Weise zu Hilfe, um an die Natürlichkeit der Einzelheiten glauben zu machen; man sieht nur noch die Schönheit des Werks, und wenn es sich um ein Gemälde handelt, so scheint es uns, als ob die dargestellten Personen redeten und sich bewegten.

      Despotisch herrscht in dieser Stunde die Illusion; sie erhebt sich mit der Nacht. Und ist sie für den Verstand nicht eine Art von Nacht, an die wir so gern glauben? Die Illusion hat dann Schwingen, sie führt den Geist in die Welt der Phantasien, in eine Welt, die fruchtbar an wollüstigen Launen ist, und in welcher der Künstler ganz und gar die wirkliche Welt vergißt, die Vergangenheit, die Zukunft, sogar sein Elend.

      In dieser magischen Stunde war es, als ein junger Maler, ein talentvoller Mann, der in der Kunst nur die Kunst selbst erblickte, die Doppelleiter bestiegen hatte, deren er sich bediente, um ein großes und hohes Gemälde zu entwerfen, das bereits zu einem großen Teile vollendet war. Er beurteilte sich jetzt selbst, bewunderte sich aufrichtig, überließ sich dem Strome seiner Gedanken und versank in eine jener Ueberlegungen, die das Herz entzücken und erheben, die ihm schmeicheln und es trösten. Seine Träumerei dauerte ohne Zweifel lange Zeit; die Nacht erschien, und sei es nun, daß er von seiner Leiter herabsteigen wollte, sei es, daß er eine unvorsichtige Bewegung machte, indem er sich auf ebener Erde glaubte, denn das Ereignis erlaubte ihm nicht, sich genau an die Ursachen seines Unglücks zu erinnern… Er fiel.

      Sein Kopf schlug gegen einen Sessel, so daß er das Bewußtsein verlor und eine Zeit lang regungslos liegen blieb. Wie lange er in diesem bewußtlosen Zustande verblieb, konnte er selbst nicht angeben. Eine sanfte Stimme erweckte ihn aus der Betäubung, in die er versunken war. Als er die Augen aufschlug, drang ein so lebhaftes Licht durch die Lider, daß er sie sogleich wieder schließen mußte. Nun vernahm er durch den Schleier hindurch, der seine Sinne gewissermaßen umhüllte, das Gespräch zweier weiblichen Personen, und fühlte jugendliche schüchterne Hände sein Haupt betasten. Als er dann sein Bewußtsein vollkommen wiedergewonnen, vermochte er beim Schein einer altmodischen Lampe das wonnigste Köpfchen eines jungen Mädchens zu unterscheiden, das er je gesehen hatte, einen von jenen Köpfen, die man oft für eine Laune des Pinsels halten möchte, der aber für ihn sein schönes Ideal plötzlich verwirklichte, denn jeder Künstler hat ein Ideal, und daher eben entspringt sein Talent.

      Das Antlitz der Unbekannten gehörte gewissermaßen zu dem feinen und zarten Typus der Schule von Prudhon und besaß überdies jene phantastische Poesie, mit der Girodet seine Gestalten bekleidet hat. Die Frische der Schläfen, die Regelmäßigkeit der Brauen, die Reinheit der Linien, die in allen Zügen dieser Physiognomie kräftig ausgeprägte Jungfräulichkeit machten gewissermaßen eine vollendete Schöpfung aus dem jungen Mädchen. Es hatte einen schlanken und geschmeidigen Wuchs, hatte zarte Formen. Die einfache und saubere Kleidung deutete weder auf Reichtum noch auf Armut.

      Als der junge Maler die Besinnung wiedererlangt hatte, drückte er seine Bewunderung durch einen Blick der Überraschung aus und stotterte verlegene Worte des Dankes. Er fand seine Stirn mit einem Taschentuch umwunden und erkannte trotz des Geruchs, der den Malerwerkstätten eigen ist, den starken Duft des Äthers, der ohne Zweifel angewandt war, um ihn aus seiner Ohnmacht zu wecken. Dann bemerkte er endlich auch noch eine alte Dame, die den Marquisen des Ancien Regime glich, die eine Lampe hielt und der jungen Dame Ratschläge gab.

      "Mein Herr," antwortete das junge Mädchen auf eine der Fragen, die der Maler an sie richtete, während seine Gedanken noch von dem Falle verwirrt waren, "meine Mutter und ich, wir hörten den dumpfen Fall eines Körpers in Ihrem Zimmer und glaubten darauf, ein Seufzen zu unterscheiden; die schreckliche Stille, die darauf folgte, veranlaßte uns, zu Ihnen herauf zu eilen. Wir fanden den Schlüssel in der Tür und erlaubten uns, einzutreten, worauf wir Sie bewegungslos auf der Erde liegen sahen. Im ersten Augenblick fürchteten wir für ihr Leben. Meine Mutter holte sogleich alles, was für eine Kompresse und zu Ihrer Wiederbelebung nötig war. Sie sind an der Stirn verletzt … hier … fühlen Sie's?"

      "Ja … jetzt …" sagte er.

      "O! es hat nichts zu sagen …" versetzte die alte Mutter.

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