Pfarre und Schule. Zweiter Band.. Gerstäcker Friedrich
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»Oh ich danke, meine Gnädige – ich kann herrlich hier sehen – also ahem – wenn Sie denn Nachsicht mit mir haben wollen – ahem:«
Feodor rückte noch einige Male räuspernd auf dem Stuhl herum, hielt das Manuscript etwas gegen das Licht und begann dann mit ernster, feierlicher Stimme, die ein ernsthaft schmachtender Blick nach des Pastors Töchterchen hinüber aber Lügen strafte:
»Das Warum wird offenbar
Wenn die Todten auferstehen! –
Wer versetzt den Mantel muß,
Wenn es kalt, im Fracke gehn!« 1
»Hahaha.«
»Hahaha« lachten die Damen Seiffenberger und von Gaulitz und auch Poller, der in der Thüre stehn geblieben war, verzog den breiten Mund von einer Seite zur andern. Der humoristische Schriftsteller fuhr fort:
»Zwei Seelen und ein Gedanke
Zwei Herzen und ein Schlag –
Ich glaube Ritzebüttel
Ist kleiner doch als Prag.«
»Hahahaha – sehr gut vortrefflich!«
»Wo Muth und Kraft in deutscher Seele flammen
Fehlt nicht das blanke Schwert beim Becherklang –
Rauch nie Cigarrn zwei Stück für einen Dreier
Sie machen sicher nur Gestank.«
»Sehr wahr – sehr wahr« kicherten die Damen Seiffenberger – Feodor lächelte und fuhr fort:
»Alles war im Anfang gut auf Erden.
Alles wird durch Weisheit wieder gut –
Drum versäume ja nicht aufzukrämpeln
Deinen alten abgeschabten Hut.«
Ich will die Geduld des Lesers nicht durch noch mehr von diesen Versen auf die Probe stellen. – Die Damen, Fräulein Scheidler und Schütte ausgenommen, amüsirten sich übrigens vortrefflich und riefen, als der junge Mann das Gedicht seines sehr guten Freundes beendigt, wie im Chor: –
»O, das ist sehr drollig – das ist allerliebst!«
»So abgerissen,« lachte Fräulein Josephine – »erst glaubt man Wunder was für ein ernster wehmüthiger Vers kommt, und dann schließt es so pikant und reizend – ha ha ha ha!«
»Der Ernst verleiht dem Humor gerade den höchsten Reiz,« versicherte Feodor, während er das Gedicht in die Westentasche zurückschob. »So hätten Sie nur zum Beispiel sehen sollen, mit welchem unerschütterlichen Ernst das junge Mädchen heute mein – das humoristische Lied sang – es war zu komisch, und ich – ha wahrhaftig – da ist es – nun hab' ich es doch in allen Taschen gesucht –«
Ein paar angeschlagene Accorde ließen den Sehnsuchtswalzer ahnen – aber kurz abgebrochen wurden sie, als ob ein furchtbarer Schmerz selbst jedes Sehnen unterdrücke.
»Sie wollten uns ja ein Lied singen, mein Fräulein,« sagte aber jetzt der Oberpostdirector, der nicht mit Unrecht eine Fortsetzung solch literarischer Thätigkeit fürchtete.
»Ach ja, liebe Anna,« bat auch Sophie, zu ihr tretend, »Du kannst gewiß irgend ein kleines Lied auswendig, singe nur etwas.«
Feodor hatte die zweite Auflage seiner Humoristik schon wieder zum vollständigen Angriffe bereit, da aber die Bitte zum Singen auch von einer der Damen, noch dazu von Fräulein Scheidler unterstützt wurde, so konnte er dagegen doch nicht gut ankämpfen – er legte das Papier vor sich nieder, und nahm sein Taschentuch heraus.
»Ich weiß nicht – meine Stimme ist heute so belegt,« sträubte sich Anna, und Strohwisch fuhr bei den Lauten blitzesschnell herum – das war seine Hausgenossin mit ihrer gellenden Stimme – ha, selbst bis hierher verfolgte ihn sein Geschick.
»Es wird schon gehen,« ermunterte sie aufstehend der Oberpostdirector, und schien nur eine günstige Gelegenheit abzuwarten, um das Zimmer zu verlassen.
»Vielleicht könnten Sie uns irgend ein geistliches Lied singen?« schlug mit gewinnendem Lächeln der Pastor vor.
Feodor war bei der Nachfrage nach einem Liede fast unwillkührlich wieder mit der Hand an die Tasche gefahren, die aller Wahrscheinlichkeit nach noch einen Schatz von solchen in ihren Falten barg, dieser letzte Vorschlag ließ ihn aber in Verzweiflung davon abstehen. Weiteres Ueberlegen half jedoch auch gar Nichts, denn Fräulein Schütte schien plötzlich zu einem Entschluß gekommen zu sein; sie rückte sich wenigstens den Stuhl zurecht – präludirte ein wenig, und –
»Robert, Robert, mein Geliebter,
Mein Herz lebt nur – lebt allein durch Dich«
schwoll mit steigender Bewegung durch die stillen Räume des Saales.
Die Gnadenarie stöhnte Strohwisch leise vor sich hin, und sank vernichtet in seinen Stuhl zurück. Und die Gnadenarie war es auch wirklich, die Anna, trotz der belegten Stimme, in schmetternden Tönen, bald einen Viertelton zu hoch, bald einen halben zu tief, aber regelmäßig aus dem Tact, und fast bei jedem Satze stecken bleibend, vortrug.
»Wenn ich nur meine Noten hätte,« entschuldigte sie sich fortwährend dabei – Feodor aber nahm gar keine Entschuldigung an – bleich und lautlos saß er am Tisch, und nur einmal flüsterte er leise mit unter der Decke gefalteten Händen: »Ich leide unschuldig!«
Unten im Hof aber war es indessen lebhaft geworden, und der Oberpostdirector an's Fenster getreten, wo er hinter den zur Seite geschobenen Rouleaux hervor hinabsah. Dunkle Männergestalten schritten dicht bei einander über den gelben Kies.
»Sie haben ihn,« sagte er, die Gesellschaft ganz vergessend, gegen den Pastor gewandt, wenn aber auch Sophie Scheidler den Kopf wandte, so schien doch sonst Niemand die Bemerkung gehört zu haben, der Pastor aber verließ rasch mit dem Gutsherrn das Zimmer.
»Sie haben ihn?« flüsterte Sophie, und unwillkührlich überlief ein kaltes Frösteln ihre Glieder – »wen? – großer Gott, wenn es möglich wäre.«
Sie glitt rasch an's Fenster, und sah hinaus – gegenüber, wo das kleine Gebäude stand, in welchem zu Zeiten, obgleich sehr selten, Missethäter eingesperrt wurden, standen eine kleine Gruppe Menschen, ihr Vater trat mit dem Oberpostdirector eben zu ihnen; dieser gab einige Befehle.
»Das ist Tyrannei, und wird seine Strafe finden – der Tag des Gerichts ist nahe!« donnerte eine Stimme vom Hofe aus, daß sie selbst hinter dem geschlossenen Fenster die Worte deutlich verstehen konnte. Auch die Uebrigen mußten etwas davon vernommen haben, denn die Fräulein Seiffenberger drehten sich rasch nach dem Fenster um, und Frau von Gaulitz trat zu Sophien, um hinaus zu sehen. Nur Anna Schütte ließ sich nicht stören.
»Wie? Dein Herz, wie? Dein Herz hat vergessen,
Was Du heiß, was Du heiß einst mir schwurst!«
tönte ihre gellende Stimme durch das ganze Haus; selbst die Mägde, die eben mit den Aeschen, in denen sie ihre Abendsuppe geholt, aus der Küche kamen, blieben erstaunt stehen, und horchten hinauf, »wem denn da oben etwas fehle.« Feodor aber saß noch immer in dumpfes düsteres Brüten versenkt.
Gleich darauf schloß sich die Thür wieder drüben, Schlüssel klapperten, und der Oberpostdirector kam mit dem Pastor in das Haus zurück.
»Ach
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Diese un↑d die nachstehenden Verse sind wörtlich einem kleinen Liederbuche entnommen: »Faxen aus Sachsen, zweites Heft« Englische Kunstanstalt von A. H. Payne in Leipzig.