Pfarre und Schule. Zweiter Band.. Gerstäcker Friedrich
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Читать онлайн книгу Pfarre und Schule. Zweiter Band. - Gerstäcker Friedrich страница 8
Ein solcher Führer aber, wie er diesen Massen gerade fehlte, um sie zu dem gefährlichen Feind zu machen, der dem Absolutismus die trotzige Stirn geboten, wäre eben dieser Wahlert gewesen, den jetzt ein tückischer Zufall der Horneckschen Gerichtsbarkeit in die Hände gespielt; es mußte deshalb aber auch dem Ministerium, das ein rauher Wind hätte umstoßen können, besonders daran liegen, gerade diesen Menschen unschädlich zu machen und deshalb lautete auch der Befehl, den der Oberpostdirector in der durch Erpressen gesandten Depesche erhielt, so bestimmt und unumgehbar, den Gefangenen ohne weiteres Zögern und unter sicherer Bedeckung an das nächst gelegene, in Sockwitz bezeichnete, Militairpiket, spätestens bis zum nächsten Abend abzuliefern. Um Aufregung zu vermeiden, wollte man nicht gern Soldaten nach Horneck hineinschicken, und der Transport des Gefangenen sollte deshalb am liebsten in einer Kutsche bewerkstelligt werden.
Das wie und weshalb war Alles klar genug angegeben, aber wie stand es nachher in Horneck selbst? Würden sich die Bewohner des kleinen Ortes, denen der Gutsherr gestern Abend erst das feste Versprechen gegeben hatte, den Gefangenen nicht auszuliefern, bis seine Schuld als grobes Verbrechen auch wirklich erwiesen wäre, damit begnügen, und ließ sich nicht im Gegentheil erwarten, daß die Befolgung der erhaltenen Instruktionen gerade für den Gutsherrn von sehr fatalen Folgen sein konnte?
Der Herr von Gaulitz saß hier in einer recht unbequemen Klemme und sah auch in der That keinen Ausweg, der ihn hätte beide ihm drohende Schwierigkeiten gleich glücklich vermeiden lassen. Lieferte er den Verhafteten aus, so zog er sich den Haß eines großen Theils des Dorfes zu und in der jetzigen Zeit, wo die Leute doch einmal aufgeregt waren, und überall in der Nachbarschaft das böse Beispiel vor sich hatten, ließ es sich gar nicht bestimmen, wie weit das später führen würde und könnte. Lieferte er ihn aber nicht aus, oder ließ er ihn gar entkommen, so war auch Nichts wahrscheinlicher, als daß er für die Folgen zu haften hätte, die daraus entstünden – und welch fürchterlicher Art konnten diese Folgen sein – der fromme Oberpostdirector schauderte, wenn er daran dachte – Anarchie im ganzen Lande – den Rittergutsbesitzer »fortgejagt« wie der »gemeine Mann« in seiner politischen Unschuld meinte, die Königreiche zu Stücken geschlagen, und in ein großes deutsches Reich geschmolzen, kurz alles Bestehende umgedreht und durchgeschüttelt, wodurch alles Nicht-Bestehende natürlich oben hin kommen mußte, und eine Convulsion, in welcher die Gesetzlichkeit vernichtet und die Masse der »gutgesinnten« Staatsbürger, was gar nicht ausbleiben konnte, zum Besten der schlechteren, d. h. ärmeren, ruinirt wurde.
Es blieb, wie die Sachen einmal standen, wirklich keine Wahl, denn hiergegen erschien der Zorn der Hornecker, und vielleicht noch dazu eines nur kleinen Theils, gering – vielleicht ließen sich aber auch selbst diese noch beschwichtigen, und davon überzeugen, daß die Gefangenhaltung des gefährlichen Menschen selbst zu ihrem eigenen Nutzen mit geschehen sei und sich in ihren segensreichen Folgen offenbaren werde. Jedenfalls blieb der Versuch statthaft, und im allerschlimmsten Fall – ei da lag ja in Sockwitz Militair und zum »Schutz des Eigenthums« konnte das leicht und rasch heran beordert werden.
Herr von Gaulitz hatte seinen Entschluß gefaßt; noch heute – und sobald die einbrechende Nacht des Gefangenen Transport begünstigen konnte, sollte er fort – aber selbst der Geistliche durfte Nichts davon erfahren, denn wer weiß, welche Schritte dieser gethan hätte, um seines General-Superintendenten Sohn zu befreien, oder doch wenigstens jeden Schein der Mitwirkung von seinen Schultern abzuwälzen – der jetzt – und Herr von Gaulitz schien auch deshalb gar nicht böse zu sein, – noch jedenfalls darauf lastete. – Die nöthigen Vorkehrungen zu treffen war also das einzige was ihm vor der Hand übrig blieb, und diese auszuführen rief er den alten Poller zu sich in seine Studierstube und gab ihm dort die nöthigen Aufträge und Befehle.
Hatte sich aber auch am letzten Abend das Dorf mit der vom Rittergutsbesitzer erhaltene Auskunft hinsichtlich des Gefangenen begnügt, und war selbst Levi, der sonst stereotype »Vorkämpfer der Freiheit« wie er sich selber nannte, durch die erlittene Mishandlung außer Stand gesetzt augenblicklich für die gute Sache zu wirken, ja vielleicht auch – und wer hätte ihm das verdenken können, beleidigt ob solchen Undanks des souverainen Volkes, so lebte doch noch ein Wesen in Horneck, das mit thätigem Eifer nach dem Schicksal des jetzt wirklich Bedrohten forschte, und zu seiner Rettung selbst entschlossen schien das Aeußerste zu wagen.
Es war dieß aber Niemand Anderes, als die Tochter des armen alten Musikanten Meier, die bekannter mit den Leuten auf dem Gut, besonders mit dem Charakter des Gutsbesitzers selbst war, als es sich von der armen Tochter eines herumziehenden Spielmanns hätte erwarten lassen sollen. Sie wußte aber auch deshalb, in wie gefährlichen Händen der Unglückliche wäre und daß sie keine Zeit mehr zu versäumen habe, seinem Schicksal nachzuforschen.
Ein Vorwand, auf das Gut hinunter zu gehn, wäre allerdings leicht gefunden gewesen; sie sah sich mit ihrer Existenz überhaupt einzig und allein auf weibliche Arbeiten angewiesen, und hätte leicht eine Entschuldigung gehabt, zu diesem Zweck die Damen des Rittergutes aufzusuchen. Dennoch zögerte sie in eigentlicher Scheu, den Schritt zu thun, ja mied sogar, als sie am nächsten Morgen dort unten vorüber ging, die Nähe des Gutes; als sie Pferdegetrappel hinter sich hörte. Sie trat zur Seite und warf fast unwillkürlich den Blick zurück – es war der Oberpostdirector, der rasch, und ohne auf sie niederzusehn, an ihr vorüber und zwar in das Dorf hineinsprengte, und wie von einem plötzlichen Entschluß bestimmt blieb sie stehn, zögerte sinnend einen Augenblick, schien noch zu schwanken, und kehrte dann, raschen Schrittes, den Weg zurück, den sie eben gekommen, bog links, die erst gemiedene Straße in das Schloß selbst hinein und betrat, immer noch wie furchtsam, aber doch nicht unschlüssig mehr, die herrschaftliche Wohnung. Welche Mühe sie sich aber auch gab, die ersehnten Erkundigungen einzuziehen, es gelang ihr nicht. – Herr von Gaulitz hatte entweder seine Pläne sehr geheim gehalten, oder die arme Fremde fand, selbst bei der Dienerschaft, die sich sonst freundlich genug gegen sie betrug, kein Zutrauen. Auch die gnädige Frau, die sie endlich um Arbeit ansprach, schien ihre versteckten Fragen nicht zu verstehn, und hielt sie dabei mit rasch herbeigeholter Arbeit und verschiedenen Aufträgen weit länger zurück, als sie überhaupt beabsichtigt haben mochte, im Schloß zu weilen.
Da wurden unten, auf dem Pflaster, die klappernden Hufe des rückkehrenden Oberpostdirectors laut – Marie wollte sich rasch entfernen – ehe sie aber einen schicklichen Vorwand fand, hörte sie im nächsten Zimmer eine Thür aufgehn und eine heftige Stimme rief:
»Ich sage Dir, Poller, die Kutsche muß bis heut Abend neun Uhr fertig sein und angespannt im Hofe stehn – Du haftest mir dafür; und jetzt fort – keinen Widerspruch weiter – ich will den Burschen noch in dieser Nacht aus meinen vier Pfählen haben, sonst stürmen sie am Ende das Nest und stecken es mir über dem Kopfe an. Nimm die alten Glieder ein wenig zusammen, und rühre Dich.«
In dem Augenblick wurde die Thüre aufgerissen, Herr von Gaulitz trat hastig herein und wollte durch das Zimmer seiner Frau gehn, als er nur eben noch sah, wie sich die Gestalt der Fremden rasch aus der gegenüberliegenden Thür entfernte.
»Was für ein Frauenzimmer war das?« frug der gestrenge Herr, indem er, den finsteren Blick auf seine Frau geheftet stehen blieb – »was wollte sie hier, und was hat sie da zu horchen?«
»Es ist das