Die Entstehung der Kontinente und Ozeane. Alfred Wegener

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Die Entstehung der Kontinente und Ozeane - Alfred Wegener

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aller Schichten die Zähigkeit von Stahl besitzt. Zu demselben Ergebnis gelangte man auch noch auf einem anderen Wege, nämlich aus der Diskussion der Polschwankungen. Diese zerfallen in zwei übereinanderliegende Perioden, nämlich eine „erzwungene“ Schwingung von Jahresperiode, welche nach Spitaler und Schweydar auf die jährliche Verlagerung der Luftmassen und die damit verbundene geringe Veränderung der Trägheitsachse der Erde zurückzuführen ist, und als Haupterscheinung eine „freie“ Schwingung von 14 Monaten, welche einem Kreisen des Rotationspoles um den Trägheitspol entspricht. Nach Eulers theoretischer Berechnung unter Annahme einer vollkommen starren Erde sollte die Periode dieser Schwingung nur 10 Monate betragen. Newcomb vermutete, daß sie durch die Plastizität der Erde verlängert sei, die eine teilweise Neuanpassung der Ellipsoidform der Erde an die jeweilige neue Rotationsrichtung gestattet, und Hough und Schweydar berechneten hieraus, daß sich die Erde dann wie Stahl verhalten müsse. Letzterer machte auch einen Versuch, die Schichtung im Erdkörper zu berücksichtigen, und fand für den von Wiechert aus Erdbebenbeobachtungen wahrscheinlich gemachten Eisenkern das Dreifache, für den 1500 km dicken Silikatmantel ein Achtel der Zähigkeit des Stahles49.

      Nun müssen wir indessen ein naheliegendes Mißverständnis beseitigen. Für unsere gewöhnlichen Begriffe ist Stahl durchaus ein „starrer Körper“. Wir wissen aber, daß er schon bei solchen Drucken, die wir technisch herstellen können, seine Starrheit verliert und plastisch wird. Wir können nicht eine beliebig hohe Säule aus Stahl errichten, sondern wir kommen an eine Grenze, bei welcher der Fuß dieser Säule anfängt zu „fließen“. Denken wir uns einen ganzen Kontinentalrand aus Stahl, so würde sein oberer Teil zwar starr bleiben, die tieferen Schichten würden aber unter dem Druck der darüber liegenden Massen plastisch werden und seitlich herausquellen. Für die großen Dimensionen des Erdkörpers ist also Stahl kein fester Körper mehr, sondern ein zähflüssiger. Und der Silikatmantel der Erde besitzt, wie erwähnt, nur ein Achtel der Zähigkeit des Stahles.

      Die Eigenschaften zähflüssiger Körper sind deswegen paradox, weil es bei ihnen viel mehr auf die Zeitdauer, als auf die Größe der deformierenden Kräfte ankommt. Deshalb fangen solche Körper, wenn man ihnen nur Zeit läßt, unter dem Einfluß der Schwere an zu fließen, auch wenn sie sich gegen Schlag und Stoß wie ein absolut fester Körper verhalten. Ein Stück Kork läßt sich mit Gewalt nicht durch eine Schicht Pech hindurchtreiben, aber wenn man ihm Zeit läßt, genügt sein geringer Auftrieb, um vom Boden eines Gefäßes langsam durch das Pech hindurch aufzusteigen. Einen noch besseren Vergleich bietet Siegellack bei Zimmertemperatur. Wirft man eine Stange Siegellack auf den Boden, so zerspringt sie in scharfkantige Stücke. Läßt man sie aber, an zwei Punkten unterstützt, in der Schwebe liegen, so kann man schon nach wenigen Wochen ein Durchhängen bemerken, und nach einigen Monaten hängen die nicht unterstützten Teile fast vertikal herab. Aus den Mondgezeiten im festen Erdkörper berechnete Schweydar, daß die Zähigkeit des Simas noch etwa 10000mal so groß ist wie die des Siegellacks. Was also beim Siegellack ein Monat, ist beim Sima nahezu ein Jahrtausend. Ein anderes, für die Bewegungen der Erdrinde besonders lehrreiches Beispiel für Zähflüssigkeit bildet das Gletschereis. Auch hier erscheint das Fließen auf den ersten Blick paradox, so daß man besondere Ursachen, wie z. B. Regelation (Wiedergefrieren) dafür annehmen zu müssen glaubte, bis durch Beobachtung der gleichfalls fließenden polaren Gletscher mit ihren tiefen Innentemperaturen in jüngster Zeit eine richtigere Auffassung von der Zähflüssigkeit dieser Gebilde gewonnen worden ist.

      Wir müssen nicht nur dem Sima, sondern auch dem Sial einen erheblichen Grad solcher Zähflüssigkeit zuschreiben, denn wir erkennen bei richtiger Deutung des Kartenbildes auch bei den Kontinentalschollen große Deformationen, die nicht immer in Faltungen ihr Äquivalent besitzen und also auf einem Fließen beruhen müssen. Da aber die Kontinentalschollen bis zu einem erheblichen Grade ihre Individualität trotz aller Deformationen im Laufe der Erdgeschichte bewahrt und sich nicht etwa wie eine flüssige Schicht wieder über die Simaoberfläche ausgebreitet haben, so ist doch ein deutlicher Unterschied in bezug auf den Flüssigkeitsgrad des Sials und des Simas festzustellen. Auch bei noch so langen Zeiten bedarf es anscheinend eines gewissen Schwellenwertes der verschiebenden Kräfte, um ein Fließen zu erzeugen, und dieser Schwellenwert scheint beim Sial wesentlich höher zu sein als beim Sima, so daß letzteres bereits unter dem Einfluß der Schwere fließt, während für ersteres doch größere Kräfte erforderlich scheinen.

      Eine Wirkung der Zähigkeit des Simas ist das schon besprochene Nachhinken der isostatischen Ausgleichsbewegungen. Noch viele tausend Jahre nach Abschmelzen der Eisbedeckung steigt der herabgedrückte Krustenteil empor. Es ist nicht ohne Interesse, daß der früher für Skandinavien erwähnte Wert von 1 m in 100 Jahren – gleichförmigen Verlauf vorausgesetzt – zu der Annahme führt, daß die Gesamterhebung um 250 m etwa 25000 Jahre gebraucht hat. Da der wirkliche Verlauf aber wohl nicht gleichförmig ist, sondern sich asymptotisch dem Stillstande nähert, ist diese Zahl jedenfalls noch erheblich zu verkleinern. Wir kommen damit auf eine Zeitdauer, die zu unseren Vorstellungen vom Alter der letzten Eiszeit sehr gut paßt.

      Erscheinungen der Kontinentaltafeln

Fig. 7.

      Karte der Kontinentalschollen in Merkatorprojektion.

      Da unsere ganzen Betrachtungen sich nicht auf die Form der heutigen Küstenlinien, sondern auf die der Kontinentaltafeln einschließlich der Schelfe bezieht, so ist es notwendig, sich von dem gewohnten Bilde der Erdkarte etwas frei zu machen und eine gewisse Vertrautheit mit der Form der vollständigen Kontinentaltafeln zu gewinnen. Es sei deshalb in Fig. 7 eine Erdkarte der Kontinentalblöcke gegeben. In der Regel gibt die 200 m-Tiefenlinie am besten den Rand dieser Tafeln wieder, doch erreichen einige Teile, die noch sicher zu den Kontinentaltafeln gehören, auch 500 m Tiefe. Die größten Abweichungen von den Küstenlinien treten auf in der Umgebung der britischen Inseln, auf der Neufundland-Bank, im Nördlichen Eismeer, wo Spitzbergen, Franz Josef-Land und neusibirische Inseln mit Eurasien verbunden erscheinen, in der Umgebung der Falklandsinseln, die auf dem südamerikanischen Schelf liegen, bei den Sunda-Inseln, die einen großen, mit Asien zusammenhängenden Lappen bilden, und zwischen Australien und Neuguinea, die als eine einzige große Tafel erscheinen. Auch die nordamerikanische Scholle hängt durch den Schelf der Beringstraße unmittelbar mit der asiatischen zusammen.

      Es ist von Wichtigkeit, den Prozeß der Gebirgsfaltung etwas näher ins Auge zu fassen. Er ist es ja, welcher den Zusammenschub der Lithosphäre zu immer größerer Dicke vorzugsweise bewirkt und damit die Kontinente aus dem Meere auftauchen läßt. Auch Tafelländer lassen ja die Faltung des Urgesteins meist noch deutlich erkennen, durch welche sie dem Urmeere entstiegen sind. Erst nachträglich sind diese anfangs als echte Kettengebirge entstandenen Faltungen durch Verwitterung oder Abrasion wieder eingeebnet worden, so daß man bisweilen aus dem Grade dieser Einebnung bereits einen rohen Schluß auf das Alter der Faltung ziehen kann. Deshalb ist es wichtig, ein möglichst klares Bild von dem Faltungsvorgang zu gewinnen.

       James Hall wurde zuerst auf die unbestreitbare Tatsache aufmerksam, daß die Mächtigkeit der Sedimente gerade in Faltengebirgen viel größer ist als in den benachbarten ungefalteten Gebieten. Da es sich meist um kilometermächtige Schichten handelt, die gleichwohl alle in flacher See abgelagert sind, deutete Hall die Erscheinung ganz richtig in der schon oben besprochenen Weise, daß am Orte des Gebirges anfangs eine Mulde (Geosynklinale) bestanden habe, deren Aufschüttung mit Sediment durch ein isostatisches Sinken der Scholle fast kompensiert wurde. Man kam so zu dem Gesetz: Kettengebirge entstehen aus Schelfen50. Daß gerade die Schelfe hier bevorzugt werden, kann verschiedene Gründe haben. Reade wies darauf hin, daß durch die kilometerdicken Ablagerungen das Urgestein in das Gebiet der höheren Temperatur hinabgedrängt und hierdurch plastischer gemacht würde, so daß beim Zusammenschub diese Stelle zuerst nachgeben muß. Vielleicht darf man auch annehmen, daß solche Geosynklinalen von Anfang an durch eine besonders hohe Lage der Isotherme der Schmelztemperatur

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Benndorf, Über die physikalische Beschaffenheit des Erdinnern. Mitt. d. Geol. Ges. Wien 3, 1908. – Pockels, Die Ergebnisse der neueren Erdbebenforschung in bezug auf die physikalische Beschaffenheit des Erdinnern. Geolog. Rundsch. 1, 249-268, 1910.