Hamburgische Dramaturgie. Gotthold Ephraim Lessing

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Hamburgische Dramaturgie - Gotthold Ephraim Lessing

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Kunst des Schauspielers stehet hier zwischen den bildenden Kuensten und der Poesie mitten inne. Als sichtbare Malerei muss zwar die Schoenheit ihr hoechstes Gesetz sein; doch als transitorische Malerei braucht sie ihren Stellungen jene Ruhe nicht immer zu geben, welche die alten Kunstwerke so imponierend macht. Sie darf sich, sie muss sich das Wilde eines Tempesta, das Freche eines Bernini oefters erlauben; es hat bei ihr alle das Ausdrueckende, welches ihm eigentuemlich ist, ohne das Beleidigende zu haben, das es in den bildenden Kuensten durch den permanenten Stand erhaelt. Nur muss sie nicht allzu lang darin verweilen; nur muss sie es durch die vorhergehenden Bewegungen allmaehlich vorbereiten und durch die darauf folgenden wiederum in den allgemeinen Ton des Wohlanstaendigen aufloesen; nur muss sie ihm nie alle die Staerke geben, zu der sie der Dichter in seiner Bearbeitung treiben kann. Denn sie ist zwar eine stumme Poesie, aber die sich unmittelbar unsern Augen verstaendlich machen will; und jeder Sinn will geschmeichelt sein, wenn er die Begriffe, die man ihm in die Seele zu bringen gibet, unverfaelscht ueberliefern soll.

      Es koennte leicht sein, dass sich unsere Schauspieler bei der Maessigung, zu der sie die Kunst auch in den heftigsten Leidenschaften verbindet, in Ansehung des Beifalles nicht allzuwohl befinden duerften.—Aber welches Beifalles?—Die Galerie ist freilich ein grosser Liebhaber des Laermenden und Tobenden, und selten wird sie ermangeln, eine gute Lunge mit lauten Haenden zu erwidern. Auch das deutsche Parterre ist noch ziemlich von diesem Geschmacke, und es gibt Akteurs, die schlau genug von diesem Geschmacke Vorteil zu ziehen wissen. Der Schlaefrigste rafft sich, gegen das Ende der Szene, wenn er abgehen soll, zusammen, erhebet auf einmal die Stimme und ueberladet die Aktion, ohne zu ueberlegen, ob der Sinn seiner Rede diese hoehere Anstrengung auch erfodere. Nicht selten widerspricht sie sogar der Verfassung, mit der er abgehen soll; aber was tut das ihm? Genug, dass er das Parterre dadurch erinnert hat, aufmerksam auf ihn zu sein, und wenn es die Guete haben will, ihm nachzuklatschen. Nachzischen sollte es ihm! Doch leider ist es teils nicht Kenner genug, teils zu gutherzig, und nimmt die Begierde, ihm gefallen zu wollen, fuer die Tat.

      Ich getraue mich nicht, von der Aktion der uebrigen Schauspieler in diesem Stuecke etwas zu sagen. Wenn sie nur immer bemueht sein muessen, Fehler zu bemaenteln, und das Mittelmaessige geltend zu machen: so kann auch der Beste nicht anders, als in einem sehr zweideutigen Lichte erscheinen. Wenn wir ihn auch den Verdruss, den uns der Dichter verursacht, nicht mit entgelten lassen, so sind wir doch nicht aufgeraeumt genug, ihm alle die Gerechtigkeit zu erweisen, die er verdienet.

      Den Beschluss des ersten Abends machte "Der Triumph der vergangenen Zeit", ein Lustspiel in einem Aufzuge, nach dem Franzoesischen des Le Grand. Es ist eines von den drei kleinen Stuecken, welche Le Grand unter dem allgemeinen Titel "Der Triumph der Zeit" im Jahr 1724 auf die franzoesische Buehne brachte, nachdem er den Stoff desselben, bereits einige Jahre vorher, unter der Aufschrift "Die laecherlichen Verliebten", behandelt, aber wenig Beifall damit erhalten hatte. Der Einfall, der dabei zum Grunde liegt, ist drollig genug, und einige Situationen sind sehr laecherlich. Nur ist das Laecherliche von der Art, wie es sich mehr fuer eine satirische Erzaehlung, als auf die Buehne schickt. Der Sieg der Zeit ueber Schoenheit und Jugend macht eine traurige Idee; die Einbildung eines sechzigjaehrigen Gecks und einer ebenso alten Naerrin, dass die Zeit nur ueber ihre Reize keine Gewalt sollte gehabt haben, ist zwar laecherlich; aber diesen Geck und diese Naerrin selbst zu sehen, ist ekelhafter, als laecherlich.

      Sechstes Stueck Den 19. Mai 1767

      Noch habe ich der Anreden an die Zuschauer, vor und nach dem grossen Stuecke des ersten Abends, nicht gedacht. Sie schreiben sich von einem Dichter her, der es mehr als irgendein anderer versteht, tiefsinnigen Verstand mit Witz aufzuheitern, und nachdenklichem Ernste die gefaellige Miene des Scherzes zu geben. Womit koennte ich diese Blaetter besser auszieren, als wenn ich sie meinen Lesern ganz mitteile? Hier sind sie.

      Sie beduerfen keines Kommentars. Ich wuensche nur, dass manches darin nicht in den Wind gesagt sei!

      Sie wurden beide ungemein wohl, die erstere mit alle dem Anstande und der Wuerde, und die andere mit alle der Waerme und Feinheit und einschmeichelnden Verbindlichkeit gesprochen, die der besondere Inhalt einer jeden erfoderte.

Prolog(Gesprochen von Madame Loewen)

          Ihr Freunde, denen hier das mannigfache Spiel

          Des Menschen in der Kunst der Nachahmung gefiel:

          Ihr, die ihr gerne weint, ihr weichen, bessern Seelen,

          Wie schoen, wie edel ist die Lust, sich so zu quaelen;

          Wenn bald die suesse Traen', indem das Herz erweicht,

          In Zaertlichkeit zerschmilzt, still von den Wangen schleicht,

          Bald die bestuermte Seel', in jeder Nerv' erschuettert,

          Im Leiden Wollust fuehlt und mit Vergnuegen zittert!

          O sagt, ist diese Kunst, die so eur Herz zerschmelzt,

          Der Leidenschaften Strom so durch eur Inners waelzt,

          Vergnuegend, wenn sie ruehrt, entzueckend, wenn sie schrecket,

          Zu Mitleid, Menschenlieb' und Edelmut erwecket,

          Die Sittenbilderin, die jede Tugend lehrt,

          Ist die nicht eurer Gunst und eurer Pflege wert?

          Die Fuersicht sendet sie mitleidig auf die Erde,

          Zum Besten des Barbars, damit er menschlich werde;

          Weiht sie, die Lehrerin der Koenige zu sein,

          Mit Wuerde, mit Genie, mit Feur vom Himmel ein;

          Heisst sie, mit ihrer Macht, durch Traenen zu ergoetzen,

          Das stumpfeste Gefuehl der Menschenliebe wetzen;

          Durch suesse Herzensangst, und angenehmes Graun

          Die Bosheit baendigen und an den Seelen baun;

          Wohltaetig fuer den Staat, den Wuetenden, den Wilden

          Zum Menschen, Buerger, Freund und Patrioten bilden.

          Gesetze staerken zwar der Staaten Sicherheit

          Als Ketten an der Hand der Ungerechtigkeit;

          Doch deckt noch immer List den Boesen vor dem Richter,

          Und Macht wird oft der Schutz erhabner Boesewichter.

          Wer raecht die Unschuld dann? Weh dem gedrueckten Staat,

          Der, statt der Tugend, nichts als ein Gesetzbuch hat!

          Gesetze, nur ein Zaum der offenen Verbrechen,

          Gesetze, die man lehrt des Hasses Urteil sprechen,

          Wenn ihnen Eigennutz, Stolz und Parteilichkeit

          Fuer eines Solons Geist den Geist der Drueckung leiht!

          Da lernt Bestechung bald, um Strafen zu entgehen,

          Das Schwert der Majestaet aus ihren Haenden drehen:

          Da pflanzet Herrschbegier, sich freuend des Verfalls

          Der Redlichkeit, den Fuss der Freiheit auf den Hals.

          Laesst den, der sie vertritt, in Schimpf und Banden schmachten,

          Und das blutschuld'ge Beil der Themis Unschuld schlachten!

          Wenn der, den kein Gesetz straft oder strafen kann,

          Der schlaue Boesewicht, der blutige Tyrann,

          Wenn der die Unschuld drueckt, wer wagt es, sie zu decken?

          Den sichert tiefe List, und diesen waffnet Schrecken.

          Wer ist ihr Genius, der sich entgegenlegt?—

          Wer?

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