Die Nacht von Lissabon / Ночь в Лиссабоне. Книга для чтения на немецком языке. Эрих Мария Ремарк

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Die Nacht von Lissabon / Ночь в Лиссабоне. Книга для чтения на немецком языке - Эрих Мария Ремарк Moderne Prosa

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bei sich.

      „Wo wollen denn Sie hin, Herr Nachbar?“ fragte mich der Jäger.

      „Zurück, nach Bregenz*“, sagte ich – „Sie sind fremd hier, wie?“

      „Ja. Ich bin auf Ferien.“ – „Und woher kommen Sie?“

      Ich zauderte eine Sekunde. Hätte ich Wien gesagt, wie es im Pass stand, wäre den dreien vielleicht aufgefallen, dass ich nicht den weichen Wiener Dialekt sprach. „Aus Hannover“, sagte ich. „Ich wohne da schon über dreißig Jahre.“

      „Hannover! Das ist aber weit weg.“

      „Das ist es. Aber in den Ferien will man ja nicht zu Hause bleiben.“

      Der Jäger lachte. „Stimmt. Schönes Weiler haben Sie erwischt!“

      Ich fühlte, dass mein Hemd klebte. „Schön, ja“, sagte ich, „aber heiß, als wäre es bereits Hochsommer.“

      Die drei begannen wieder die Witwe Pfundner durchzuhecheln. Ein paar Stationen später stiegen sie aus, und ich blieb allein im Abteil. Der Zug fuhr jetzt durch eine der schönsten Landschaften Europas, aber ich sah sehr wenig davon. Ich hatte plötzlich einen fast unerträglichen Anfall von Reue, Furcht und Verzweiflung. Ich verstand einfach nicht mehr, weshalb ich die Grenze überschritten hatte. Ohne mich zu rühren, saß ich in meiner Ecke und starrte aus dem Fenster. Ich war gefangen, und ich hatte selbst die Tür hinter mir ins Schloss geworfen. Ein dutzendmal wollte ich aussteigen, um zu versuchen, nachts in die Schweiz zurückzukehren.

      Ich tat es nicht. Meine linke Hand hielt in meiner Tasche den Pass des toten Schwarz umklammert, als könne mir Kraft daraus zufließen. Ich sagte mir vor, dass es jetzt gleich sei, ob ich mich länger in der Nähe der Grenze aufhielte oder nicht, und dass ich sicherer sei, je weiter ich ins Land hineinführe. Ich beschloss auch, die Nacht durchzufahren. Im Zuge fragte man weniger nach Papieren als in einem Hotel.

      Es ist typisch, dass man glaubt, wenn man sich der Panik überlässt, überall seien Scheinwerfer auf einen gerichtet und die Welt habe nichts anderes zu tun, als einen zu suchen. Man hat das Gefühl, alle Zellen des Körpers wollten sich selbständig machen, die Beine wollten ein zuckendes Bein-Reich errichten, die Arme nichts als Abwehr und Schlagen sein, und sogar Lippen und Mund könnten nur noch zitternd den ungeformten Schrei zurückhalten.

      Ich schloss die Augen. Die Versuchung, der Panik nachzugeben, war größer, weil ich allein im Abteil war.

      Aber ich wusste, dass jeder Zentimeter, den ich jetzt nachgab, ein Meter werden würde, wenn ich einmal wirklich in Gefahr wäre. Ich erklärte mir, dass niemand nach mir suche; dass ich dem Regime so uninteressant sei wie eine Schaufel Sand in der Wüste und dass niemand mir etwas ansehen könne. Das war natürlich auch der Fall. Ich unterschied mich wenig von den Leuten um mich herum. Der blonde Arier ist eine deutsche Legende, keine Tatsache. Sehen Sie sich Hitler, Goebbels*, Heß* und den Rest der Regierung an – sie müssten sich alle eigentlich immerfort selbst als ihre eigene Illusion ausweisen.

      Ich verließ den Schutz der Bahnhöfe zum erstenmal in München und zwang mich, eine Stunde spazieren zugehen. Da ich die Stadt nicht kannte, war ich sicher, dass auch mich niemand kennen würde. Ich aß im Franziskanerbräu. Das Lokal war voll. Ich saß an einem Tisch allein und horchte. Nach ein paar Minuten setzte sich ein schwitzender dicker Mann zu mir. Er bestellte ein Bier und ein Rindfleisch und las eine Zeitung. Ich war bisher noch nicht daraufge kommen, deutsche Zeitungen zu lesen, und kaufte mir zwei. Es war Jahre her, dass ich deutsch gelesen hatte, und ich musste mich immer noch daran gewöhnen, dass jeder um mich herum es sprach.

      Die Leitartikel der Zeitungen waren entsetzlich. Sie waren verlogen, blutrünstig und arrogant. Die Welt außerhalb Deutschlands erschien in ihnen degeneriert, heimtückisch, dumm und zu nichts anderem nütze, als von Deutschland übernommen zu werden. Die beiden Zeitungen waren keine Lokalblätter, sie hatten früher einmal einen guten Namen gehabt. Nicht nur ihr Inhalt, auch ihr Stil war unglaublich.

      Ich betrachtete den Zeitungsleser neben mir. Er aß, trank und las mit Genuß. Ich blickte mich um. Nirgendwo sah ich unter den Lesern Zeichen des Abscheus; sie waren an ihre tägliche geistige Kost gewöhnt wie an das Bier.

      Ich las weiter, bis ich unter den kleinen Nachrichten eine über Osnabrück*n fand. Ein Haus an der Lotterstraße war abgebrannt. Ich sah die Straße vor mir. Man kam über die Wälle zum Hegertor und von da zur Lotterstraße, die hinaus aus der Stadt führte. Ich legte die Zeitung zusammen. Ich fühlte mich plötzlich einsamer als je zuvor außerhalb Deutschlands.

      Langsam gewöhnte ich mich daran, dass Schock und fatalistische Apathie abwechselten. Ich gewöhnte mich auch daran, mich sicherer zu wähnen als bisher. Die Gefahr würde größer werden, wenn ich mich Osnabrück näherte, das wusste ich. Dort gab es Leute, die mich von früher kannten.

      Ich kaufte mir einen billigen Koffer und etwas Wäsche und die Dinge, die für eine kurze Reise notwendig sind, um in Hotels nicht aufzufallen. Dann fuhr ich weiter. Ich wusste noch nicht, wie ich mich meiner Frau nähern sollte, und änderte meine Pläne jede Stunde. Ich musste es auf den Zufall ankommen lassen; ich wusste ja nicht einmal, ob sie nicht ihrer Familie nachgegeben hatte – die stramm für das Regime war – und jemand anderen geheiratet hatte. Nachdem ich die Zeitungen gelesen hatte, war ich nicht mehr sicher, dass jemand lange brauchen würde, um das zu glauben, was er las, besonders dann, wenn er keine Möglichkeit zum Vergleich hatte. Ausländische Blätter waren in Deutschland unter strenger Zensur.

      In Münster ging ich in ein mittleres Hotel. Ich konnte nicht immer nachts aufbleiben und tagsüber irgendwo schlafen; ich musste riskieren, von einem Hotel in Deutschland bei der Polizei angemeldet zu werden. Kennen Sie Münster?“

      „Flüchtig“, erwiderte ich. „Ist es nicht eine alte Stadt mit vielen Kirchen, in der der Westfälische Frieden* geschlossen wurde?“ Schwarz nickte. „In Münster und Osnabrück, 1648. Nach dreißig Jahren Krieg. Wer weiß, wie lange dieser dauern wird!“

      „Wenn er so weitergeht, nicht lange. Die Deutschen haben vier Wochen gebraucht, Frankreich zu erobern.“

      Der Kellner kam und erklärte, das Lokal würde geschlossen. Wir wären die letzten Gäste. „Gibt es kein anderes, das noch offen ist?“ fragte Schwarz.

      Der Kellner erklärte, Lissabon sei keine Stadt für viel Nachtleben. Als Schwarz ihm ein Trinkgeld gab, wusste er ein Lokal, ein geheimes, sagte er, einen russischen Nachtklub. „Sehr elegant“, erklärte er.

      „Wird man uns hineinlassen?“ fragte ich.

      „Natürlich, mein Herr. Ich wollte nur sagen, dass es elegante Frauen dort gibt. Alle Nationen. Deutsche auch.“

      „Wie lange ist der Klub offen?“

      „Solange Gäste da sind. Jetzt sind immer Gäste da. Viele Deutsche jetzt, mein Herr.“

      „Was für Deutsche?“

      „Deutsche.“

      „Mit Geld?“

      „Natürlich, mit Geld.“ Der Kellner lachte. „Das Lokal ist nicht billig. Aber sehr unterhaltend. Könnten Sie sagen, dass Manuel von hier Sie geschickt hat? Sie brauchten dann weiter nichts anzugeben.“

      „Muss man denn irgend etwas angeben?“

      „Nichts. Der Portier schreibt einen Phantasienamen für Sie als Mitglied ein. Nur eine Formsache.“

      „Gut.“

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