Soll und Haben. Gustav Freytag

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Soll und Haben - Gustav Freytag

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Herrn Liebold kriegslustig auf seine Fensterecke, dann kamen die Mäkler und erzählten von der gelben Blüte der Ölfrucht draußen im Freien, und endlich erschien Herr Braun und trug die erste Rose in der Hand. Ein Jahr war vergangen, seit Anton mit den Schwänen über den See gefahren war. Er hatte das ganze Jahr hindurch an die Fahrt gedacht.

      8

      Noch immer besaß Veitel Itzig seine Schlafstube in der stillen Karawanserei, wo er sich am Tage seiner Ankunft einquartiert hatte. Wenn nach den Behauptungen der Polizei jeder Mensch irgendwo zu Hause sein muß und nach der Ansicht aller verständigen Frauen vorzugsweise da zu Hause ist, wo sein Bett steht, so war Veitel merkwürdig wenig zu Hause. Sooft er aus dem Geschäft des Herrn Ehrenthal entschlüpfen konnte, trieb er sich auf den Straßen umher, sah lauernd auf jeden jungen Herrn, welcher ihm geneigt schien, etwas zu kaufen oder zu verkaufen, und wußte aus der Haltung des Vorübergehenden genau zu erkennen, ob dieser für die Reize eines kleinen Handels empfänglich sei oder nicht. Stets hatte er einige Paradetaler in der Tasche, mit welchen er in anmutiger Nachlässigkeit so lockend zu klappern verstand, daß nur ein fühlloser Mensch gleichgültig gegen diese Zahlungsfähigkeit sein konnte. Er wußte mit einem einzigen schnellen Blick die geheimsten Fehler eines Rockes oder einer Weste zu erkennen, er hatte für seine Kunden eine bezaubernde Fülle von verbindlichen Redensarten, er sprach aus Grundsatz zu keinem halbwüchsigen Primaner anders als: »Wenn der gnädige Herr mir allergnädigst erlauben«, er verstand, was ewig für das Höchste in diesem Geschäft gelten wird, seiner Untertänigkeit einen skurrilen Anstrich zu geben, und war Meister darin, die allerabgeschmacktesten Bücklinge zu machen. Er besaß die Wissenschaft, altes Messing durch Katzensilber blendend zu machen und altem Silber den allerhöchsten Glanz zu geben; er war stets bereit, abgelegte schwarze Fracks zu kaufen – was von allen Eingeweihten als Symptom einer kühnen und waghalsigen Natur betrachtet wird –, er wußte das fasrige Tuch derselben durch einen eigentümlichen Bürstenstrich mit einem Schein von Neuheit zu überziehen, der gerade lang genug dauerte, um seine Käufer zu verblenden, welche er in armen Schulmeistern, hoch aufgeschossenen Konfirmanden und freigesprochenen Lehrlingen zu finden bemüht war. Mit jedem Gange, welchen er für Herrn Ehrenthal tat, suchte er einen andern zu seinem eigenen Nutzen zu verbinden und erwarb dadurch schnell eine Kundschaft, welche den Neid graubärtiger Trödler erregte. Er beschränkte sein Geschäft aber nicht auf gebrauchte Gegenstände, obgleich er hierin seine ersten und zahlreichsten Erfolge durchgesetzt hatte. Er wurde Agent von Pferdehändlern, trat in Verbindung mit verschwiegenen Geldverleihern und trieb solchen Ehrenmännern Kunden zu; ja er lieh sein eigenes Geld aus und hatte das ungewöhnliche Zartgefühl, nie mehr als fünfzig vom Hundert zu nehmen; er lieh aber nur auf kurze Fristen und nahm am Zahlungstermin statt des baren Geldes mit großer Bereitwilligkeit jede Art von verkäuflichen Dingen zu einer Taxe, welche er als Sachverständiger am besten selbst machte. Dabei hatte er die Tugend, nie zu ermüden, er war den ganzen Tag auf den Beinen, lief um einige Groschen zehnmal denselben Weg, freute sich wie ein König um einen eroberten Taler, schüttelte jedes rauhe Wort – und er mußte oft welche hören – ab, wie der Pudel seine Schläge. Er gönnte sich selbst keine Stunde des Genusses, seine einzige Erquickung war, an den Fingern die Geschäfte abzuzählen, welche er gerade im Gange hatte, und seinen Gewinn zu berechnen. Es war merkwürdig, wie wenig er brauchte, er aß am Abend ein Stück Brot, welches er zu Mittag aus Ehrenthals Küche in seine Tasche praktiziert hatte; ein Glas Dünnbier gönnte er sich im ersten Jahre nur einmal, und zwar an einem heißen Tage, wo er einem Gutsbesitzer behilflich gewesen war, einen Wagen zu verkaufen, und durch eine Tätigkeit von zwei Stunden ebenso viele Taler verdient hatte. Seine Kleider gewährte ihm sein Geschäft. Sommer und Winter ging er deshalb in schwarzem Frack und den entsprechenden Pantalons; ja er fand es nützlich, über einer schwarzen Samtweste eine vergoldete Kette zu tragen, und erschien stets als Gentleman unter seinesgleichen, weil er mit Recht behauptete, jeder Geschäftsmann müsse so auftreten, daß sich kein Mensch zu schämen brauche, mit ihm ein Geschäft zu machen. Aus allen diesen Gründen genoß er schon nach Ablauf des ersten Jahres die Freude, seine sechs Dukaten um das dreißigfache vermehrt zu sehen.

      Im Geschäft des Herrn Ehrenthal war er schnell ein unentbehrliches Mitglied geworden, seinem Scharfsinn entging keine Person, kein Pferd, kein Getreidewagen; jedes Gesicht, das er einmal gesehen, erkannte er wieder; jeden Tag wußte er den Kurszettel der Börse auswendig, als ob er selbst vereideter Sensal gewesen wäre. Noch bekleidete er die mehr nützliche als erhabene Stelle eines Laufburschen, noch putzte er Bernhards Stiefel und aß vor der Küchentür; aber es war ersichtlich, daß ihm ein Schreibpult und ein Lederstuhl in dem kleinen Kontor, welches Herr Ehrenthal der Form wegen hielt, nicht fehlen würden. Dieser Stuhl war das Ziel seiner Sehnsucht, es war für ihn ein Sitz im Paradiese. Denn noch war er nicht eingeweiht in die Tiefen des Geschäfts, noch wurde er weggeschickt, sooft irgendein wichtiger Kunde mit Herrn Ehrenthal verhandelte. Sehr bald sah er ein, daß ihm selbst noch einiges fehle, um dies Glück zu verdienen; er gebrauchte die deutsche Sprache mit vieler Fertigkeit, aber es war ein östlicher Hauch darin, mehr Kehlkopf als höhere Grammatik; er schrieb wohl auch Geschäftsbriefe und Rechnungen, aber es war keine Glätte, kein Strich dabei, die Buchstaben waren sozusagen widerhaarig, und die Perioden waren löchrig und geflickt; und was vollends die Geheimnisse der Buchhaltung betraf, so war er darin wie ein unschuldiges Kind. Dieser Mangel drückte ihn sehr.

      In seiner Herberge war er unterdes ein angesehener Mann geworden, selbst Löbel Pinkus behandelte ihn mit ungewöhnlicher Vertraulichkeit. Dies schöne Verhältnis verdankte Veitel seinem Scharfblick. Jene Bretterwand in der Gaststube und der hohle Klang des Holzes hatten ihn seit dem Tage seines Einzuges beunruhigt, wochenlang hatte er auf eine Gelegenheit gewartet, seine Untersuchungen fortzusetzen. Endlich an einem Sonnabend schützte er Unwohlsein vor und blieb zu Hause, als der Hauswirt und seine Gäste mit würdigem Schritt nach der Synagoge zogen. Da endlich glückte ihm, einen Ritz in der Hinterwand seines Schrankes zu erweitern und etwas zu erblicken, was ihn aufs höchste überraschte. Er sah in eine große schmutzige Stube, welche ganz angefüllt war mit Koffern und Kisten und einem Chaos begehrenswerter Artikel. Herren- und Damenkleider, Betten, Wäsche, Stoffe, bunte Vorhänge lagen in großen Haufen durcheinander, auch metallene Geräte, ein Kruzifix, Kelche, Kronleuchter glänzten in dem Halbdunkel und noch andere lockende Spekulationen, welche auch sein scharfes Auge nicht erkennen konnte. Als Aladin den ersten Schritt in die Zauberhöhle tat, geriet er schwerlich in so große Aufregung wie Junker Itzig bei seiner Entdeckung. Er lief immer wieder zu dem Ritz zurück und starrte in das staubige Dämmerlicht der geheimnisvollen Niederlage, bis die Gäste aus der Synagoge nach Hause kamen. Er behielt die Entdeckung für sich, aber er lag seit dem Tage auf der Lauer, wie das Wiesel vor einem Mauseloch. Einigemal hörte er bei Nacht Geräusch in der geheimnisvollen Stube des Nebenhauses; einmal gelang es ihm, ein Geflüster zu vernehmen, bei welchem die tiefe Stimme des würdigen Pinkus unverkennbar war; einst, als er spät nach Hause kam, sah er am Nachbarhause Fässer, Kisten und Bündel in eine kleine Britschka laden, welche schamhaft mit weißer Leinwand verhüllt war, eine Maßregel, welche schon Sulamith im Hohenliede Salomonis als nützlich empfiehlt, damit man nicht von den Wächtern des Königs in den Weinbergen angehalten werde. In derselben Nacht verschwanden zwei schweigsame Gäste seines Herbergsvaters, welche offenbar aus Polen stammten, und kamen nicht wieder. Aus alledem zog er den Schluß, daß sein Wirt eine Art Kommissions- und Speditionsgeschäft von allerlei merkwürdigen Waren hielt, welche er aus guten Gründen lieber am Abend als bei Tage fortschaffte. – Wie ein Licht ging es unserm Veitel auf. Die Waren fuhren nach dem Osten, wurden über die Grenze geschmuggelt und verbreiteten sich bis tief in das russische Reich, bis an die asiatische Grenze, wo zuletzt der strebsame Kirgise die Hemden und Schnürröcke aufträgt, welche vom deutschen Schneider genäht sind. Alles nach dem Grundsatz, was in Deutschland defekt wird, fällt den Russen zu. Veitel benutzte seine Entdeckung mit der Mäßigung eines Geschäftsmannes und machte seinem Hauswirt gerade nur so viele Andeutungen, daß Pinkus sich bewogen fühlte, ihn mit besonderer Rücksicht zu behandeln.

      Nach einem tatenreichen Tag schritt Veitel nachdenkend in seine Herberge zurück und betrat mit dem üblichen Gruß die Gaststube. Er setzte sich still in eine Ecke und suchte in seinen Gedanken nach einem Schriftgelehrten, welcher geeignet war, ihn in die Geheimnisse eines guten Stils und der Buchführung einzuweihen, gegen möglichst geringes

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