Adams Söhne. Adolf von Wilbrandt

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Adams Söhne - Adolf von Wilbrandt

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allein vorwärts rannte, hielt an und blickte zurück.

      »Warum steh’n Sie still?« wiederholte er.

      Wittekind lächelte wieder.

      »Weil Sie – bei dieser Hitze – so gewaltige Schritte machen. Kurz, weil Sie, der Sie ›in den Wald geh’n‹ – weil Sie mir zu jung sind! —«

      Einen Augenblick flog eine herzliche Heiterkeit über des Alten Gesicht. Plötzlich zog er aber die zerpflückten Brauen zusammen und stieß die eiserne Spitze seines Stocks mit solcher Gewalt zu Boden, dass sie in der trocknen, spröden Erde zitternd steckenblieb.

      »Zum Teufel hinein!« dröhnte seine Bassstimme. »Das ist ja der Unsinn, dass wir nicht alt werden, wie es sich gehört; dass wir keine Hindus sondern unvernünftige Germanen sind! ›Gewaltige Schritte‹…Nun ja, ich kann keine Damenschritte machen. Ich bin ein Bergsteiger, und ein Wandersmann. Und das alte Mark in den Knochen – das ist wie der Saft in so ‘nem alten Eichbaum; wächst und steigt immer wieder nach. Wo bleibt da die Philosophie! —«

      Mit einem komisch grimmigen Gesicht rief der Alte so laut, dass die Luft erbebte:

      »Herr, ich bin manchen Tag noch wie ein junger Mensch!«

      »Ist das ein Unglück?« fragte Wittekind, der zu lachen anfing.

      »Herr, ich sage ja nicht, dass es ein Unglück ist! Aber dabei kommt man nicht zur Ruhe, zur Weisheit, zur Beschaulichkeit … Wir Germanen, mein’ ich! Seh’n Sie doch nur unsre Deutschen an; ein merkwürdiges Volk —« er begann zu lächeln und seinen Stock in der Erde hin und her zu drücken – »ein unvernünftiges, übersaftiges, ewig junges Volk! Wenn sie siebzig sind, so fangen sie von vorne an; so liefern sie erst ihr Stück Weltgeschichte ab! Der alte Blücher – da seh’n Sie’s – der alte Wilhelm – der alte Moltke; und so manches alte Haus, das mir nicht gleich einfällt. —«

      Er schlug auf seinen Schenkel und auf seine Brust:

      »Da geh’ einer in den Wald, mit solchen Muskeln – und mit so ‘nem dummen, affenjungen Herzen!«

      »Nun, so geh’n Sie noch nicht«, sagte Wittekind.

      Der Alte warf ihm einen Blick von der Seite zu, zog seinen Stab aus der Erde und schritt wieder weiter.

      »Verehrter Herr«, sagte er im Gehen, den Stock leise schwingend, – »seh’n Sie, ich mag nicht mehr. Hab’ wohl zu viel erlebt. Das Leben ist ja eine gute Sache, aber ein Kinderspiel ist es nicht. Und dann – dieses Sterben! Rechts fällt einer, links fällt einer; all’ die alten Bekannten, die Freunde – Weib und Kind … Man marschiert immer weiter; endlich sieht man sich um und sieht lauter fremdes Volk. Für wen soll man schaffen? – Ja, wenn man gezwungen wird – durch das große Schicksal, wie diese Alten, von denen ich eben sprach – oder auch durch die Not … Beides trifft mich nicht. Mit dem großen Schicksal hab’ ich leider nichts zu schaffen. Gegen die Not schützt mich mein bisschen Hab und Gut. Na, da leb’ ich so hin; seh’ dem Weltlauf zu, denke mir das Meine – und bereite mich vor auf – —.«

      Er brach ab. In seine Augen war ein tiefer Ernst, ein gesteigerter Glanz gekommen; es schien aber, dass er ihn verbergen wollte. Sie hatten, aus dem Wald hervortretend, eine freiere Stelle von großer und stimmungsvoller Einsamkeit erreicht: von der hohe Mauer des Untersberges senkten sich die waldigen Vorberge bis zu einer finsteren, schwarzgrauen Felsmasse herab, die man vielfach zerschlagen und zerrissen hatte, um den nutzbaren Stein zu brechen. Geformte und ungeformte Trümmer lagen überall umher; die schwärzliche Farbe des Gesteins machte das ganze Bild düster und ernst; nur ein paar rohe Holzhütten standen in der Nähe, Menschen sah man nicht. Der Alte blickte umher, zog die Stirn herunter, und seine Lippen drängten sich zusammen. Er schien in Erinnerungen zu versinken. Nach einer Weile legte er dem andern seine lange, schöngeformte, auffallend wohlerhaltene Hand leicht auf den Arm und sagte:

      »Das ist der Veitl-Bruch. Wie man mit der Natur doch zusammenwächst, wenn man viel erlebt. Hier hab’ ich einmal – es ist gar nicht so lange her – einer jungen Dame gesagt, die ich recht gut kannte: ›Gib Acht, nimm den nicht. … Es wird dein Unglück: glaub mir’s…‹«

      Er lächelte ein wenig und stieß einen kurzen Laut aus, durch den verhaltener Schmerz hindurchklang.

      »Nun, natürlich hat sie mir nicht geglaubt! Und ich – — ich hab’ leider Recht behalten. – Ja, hier war’s! Das ist der Veitl-Bruch!«

      Plötzlich winkte er, wie um sich loszureißen, seinem Begleiter stumm mit dem Kopf und ging mit seinen großen Schritten über die Steine weg, bis er auf einem kleinen Vorhügel stehenblieb. Über eine waldige Senkung hinweg tauchte hier in der Ferne, im leuchtenden Sonnenlicht, die Festung von Salzburg auf. Es war ein überraschender Anblick, wie ein Gruß aus einer andern, reizenden Welt in diese finstere Öde hinein. Die herrlichen Formen der Festung, auch in dieser Entfernung noch wirkend, wenn auch sonderbar zierlich, fast zum Spielzeug geworden, schimmerten in zartem Duft und zogen die Seele auf einmal wie an einem Faden ins ebene Land hinaus. Wittekind ward zu einem Ausruf der Überraschung und Bewunderung hingerissen, der den Alten ergötzte.

      »Ja, ja!« sagte dieser. »Das ist unser Salzburg! Da liegt’s! – Die schönste von allen deutschen Städten; und ein wahres Wunder, wie sie daliegt in der abgestimmten Natur. Alles im großen Stil: der Fluss, die Ebene, das Hochgebirg’, die beiden Berge, in die sie sich hineinschmiegt. Da fehlt nur eins … Wissen Sie, was da fehlt?«

      Wittekind sann und schwieg; der Alte rief aus:

      »Ein See fehlt! Weiter nichts! – Und seh’n Sie, die Natur hätte nichts dagegen, so ein See wäre noch zu machen: da unten das flache Land zwischen Glanegg und Salzburg, grün und eben wie ein Billardtuch! Sie können’s von hier nicht seh’n – das war ja einmal ein See, und heißt noch das ›Moos‹ – oder ›Moor‹, wie ihr sagt – und z stäche man die Erdrinde wieder ab, so wäre das Wasser da! Herr, das gäb’ einen See – bis Leopoldskron und so weiter – zwischen dem Glanbach und dem Almkanal – der sich anseh’n ließe! Mehr als halb so groß wie der Mondsee oder der Wolfgangsee; und bei dieser Stadt und bei diesen Bergen; bis an die Wurzel unseres Untersbergs, Ihrer ›alten Liebe‹!«

      Es war ein Feuer über den Alten gekommen, das nun wieder Wittekind ergötzte; die bronzenen Wangen fingen sacht an zu glühen, und der lange, weiße Bart, von der linken Hand ergriffen, stieg bis zu den Lippen hinauf.

      »O ja«, murmelte Wittekind. »Wohl ein schöner Traum!«

      »Geben Sie mir Macht und Geld«, rief der Alte aus, »und ich mache Ihnen Wahrheit aus dem Traum! – Seh’n Sie, das könnte mich noch wieder ins Leben zieh’n, verjüngen: wenn ich der Herzog von Salzburg wäre —, oder, wie er nun heißen soll – und könnte graben und graben, ein umgekehrter Faust, um Land zu Wasser zu machen – aber was für ein Wasser dann! Der ›Untersberger See‹. Da würden bald die Landhäuser aller Nationen an den Ufern stehen, um sich in dem See zu spiegeln und dies Paradies zu bevölkern; weiße Segel wie die Schmetterlinge; Wälder, Dörfer und Gärten; und die Salzburger Veste sähe in den See hinein – und der Untersberg. Und zuletzt würden die klugen Leute noch sagen: Der Saltner war gar nicht dumm, das Geld, das er da hineingegraben hat, das kommt auch wieder heraus. Der See trägt noch Zinsen. Und die ›dankbaren Salzburger‹ würden dem Saltner ein Denkmal bauen, nachdem sie im Anfang gesagt hätten: ›Der muss ins Narrenhaus‹, und ich – — ich wollte mich dann ganz zufrieden aufs Ohr legen und zu meinem Sterbekissen sagen: ich bin bereit, es war gut, ich hab’ doch gelebt!«

      Wittekind war still. Er blickte von der Seite, in einer eigentümlichen Bewegung, auf den verjüngten Alten. Nach einer Weile fuhr dieser, wie zu sich kommend, fort, indem er ein Auge schloss

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