Die rote Schlange. Carry Brachvogel
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Die rote Schlange
I
Der Kaiser von Byzanz ging in seinen Gärten am Bosporus spazieren und träumte. Tieftraurige Cypressen, heißduftende Rosenhecken wehrten ihm den freien Ausblick aufs Meer, aber durch das grüne Gewirre sah er doch die Kuppeln des Georgiosklosters herüberschimmern. Ins Georgioskloster hatte man Andronikus, des Kaisers Vorgängen gesteckt, nachdem man ihn zuvor geblendet. Mit leisem Kopfschütteln sah der Kaiser zu den weißen Mauern hinüber; Mitleid bewegte ihn nicht. Der Feldhauptmann Andronikus war ein Usurpator gewesen. Er hatte des Kaisers jungen Vater getötet, die Witwe mit ihrem kleinen Sohne vertrieben und blutig geherrscht, bis die alten Kaisertreuen ihn bezwangen und den rechtmäßigen Cäsar, der damals noch mit Kreisel und Glaskugeln spielte, wieder zurückbrachten nach Konstantinopel, in den Blachernenpalast. Immer noch sah der Kaiser hinüber zum Georgioskloster. Mitleid bewegte ihn nicht. Nur eins verstand er nicht: Warum hatten sie den Andronikus erst noch geblendet? Hieß denn im Kloster leben, nicht auch blind sein?!
Langsam schritt er weiter. Er freute sich seiner Freiheit und seiner hellen Augen Er liebte die schöne, funkelnde Welt vor den Klöstern hatte er, – so sündhaft es ihm selber schien – stets ein geheimes Grauen empfunden. Mit stillen Seufzern hatte seine Mutter bemerkt, daß der kaiserliche Sohn weniger kirchlich gesinnt war, als ihr frommer Sinn es wünschte.
Sie hatte es bemerkt, doch niemals darüber gesprochen. Es war als fürchtete sie, mit einem lauten Wort schlummernde Gespenster der Vergangenheit aufzuwecken. —
Der Kaiser träumte weiter. Er dachte an seines Vaters Vater, an die merkwürdige Geschichte die sie von ihm erzählten. Wie er, nachdem er dreißig Jahre lang ein frommer Christ gewesen, mit einem Mal, nach einer Reise durch den Archipel, nicht viel mehr von Priester und Kirche hören wollte, sondern lieber zur Jagd ritt, den Cirkusspielen zusah oder, in schweigendem Sinnen, stundenlang ein weißes Marmorbild – eine Heidengöttin – betrachten konnte, das er von seiner Reise mitgebracht hatte.
Noch eines anderen Ahnherrn mußte der Kaiser gedenken: jenes Julian, der abtrünnig geworden vom wahren Glauben, der den Göttern Roms wieder geopfert hatte. Von jeher hatte ihn dieser Julien interessiert. Über keinen anderen Cäsaren hörte und las er so gern wie über ihn. Viel hatte er über ihn nachgedacht, gegrübelt, geforscht, und immer bannender war der Reiz des Apostaten über ihn gekommen. Nicht etwa daß er ihn begriffen, seinen gottesleugnerischen Frevel gebilligt hätte! Seine Phantasie nur ward mächtig erregt durch die Erscheinung dieses kränklichen, schlechtrasierten Cäsaren, der keine anderen Götter erkennen wollte, als Schönheit und Lebensfreude. In manchem Zuge glich der Kaiser dem Apostaten, nur hatten Kultur und Erziehung an ihm verfeinert, gemindert, was bei jenem ursprünglich gewesen. Julian war ein griechischer Heide, – der Kaiser hatte es nur bis zum Ästhetiker gebracht. Nicht von sich selbst, von seiner Gottheit hatte Julian gebieterisch Schönheit und Kraft gefordert; der Kaiser betete demutsvoll vor dem Gekreuzigten und pflegte seinen äußeren Menschen. Er sah dem Apostaten etwas ähnlich. Es war dieselbe schmalschulterige Gestalt, der kurzsichtig-verschleierte Blick, das weiche, braune Haar, die nervöse, magere Hand. Er hing aber den Oberkörper nicht vor, wie Julian, sondern schritt mit jugendlicher Würde einher. Seinem sanften Munde fehlte das Spötterzucken, seine Augen waren nicht erhitzt und gerötet von Studium und Nachtwachen. Seine Haare fielen in leichten aber wohlbedachten Locken tief in die Wangen, auf das grünseidene Gewand herab. Auf diese Weise verbargen sie, was dem schönsinnigen Kaiser großes Leid bereitete: seine Ohrmuscheln entbehrten des Läppchens, waren mit dem Halse verwachsen. Die Hand, welche zuweilen spielend durch die Locken glitt, war wohlgepflegt und weiß. Ein kostbarer Ring zierte den Zeigefinger der Rechten.
Weiter, immer weiter war der Kaiser geschritten. Nun hielt er inne, sah aus seinen Träumen auf. Er befand sich in einem abgelegenen Teil der Gärten: an Julians Lieblingsplatz. Hier war er mit seinen Philosophen und Schülern disputierend hin und wieder gegangen. Ein Seufzer entquoll des Kaisers Brust, eine namenlose Sehnsucht überfiel ihn – jene Sehnsucht, welche die Lebenden töten und die Toten lebendig machen kann. Wenn jetzt, von jener halbverfallenen Steinbank her, Julian auf ihn zugeschritten wäre – es hätte ihn nicht Wunder genommen, obwohl der Apostat schon seit langem gestorben war. Alles blieb tot und leer. Flammend klomm der Mittag zu seiner steilen Höhe empor. Die Rosenhecken dufteten stark und schwül.
Der Kaiser ließ sich auf der Steinbank nieder. Sie stand unfern dem Strand, unter einem alten Magnolienbaum; freier als in den anderen Gärten sah man hier aufs Meer hinaus. Blauschimmernd kamen die Wellen einhergezogen. Jede von ihnen trug ein weißes Schaumkrönlein, – sie neigte es zu Füßen des jungen Kaisers, bis es zerstob.
Dem Cäsar ward seltsam weich und weit ums Herz. Gern hätt’ er mit der Spitze seines goldenen Schuh’s einen Namen in den weichen Sand der Düne gezogen; einen süßen, geliebten Namen . . .
Er wußte keinen. —
Des Kaisers Herz stand leer. Die schlanken Cir-kassierinnen, die melancholischen Jüdinnen, die blassen Byzantinerinnen welche sein sachverständiger Haushofmeister ihm zuführte, sättigten nur seine Begier, nicht seine Sehnsucht – — Er war jung und unvermählt Das schwäbische Fürstenkind, das die Mutter ihm zur Gattin ausersehen, reizte ihn nicht. Hager, unanmutig fand er ihr Bild, wie ihren Namen: Wiltrudis. Da er keinen Namen wußte, den er mit der Spitze seines goldenen Schuhs in den Sand hätte graben können, so schlug er die Beine übereinander und sah träumend hinaus aufs Meer – —
Still war’s hier, heiß und lautlos still. Kein Tier, kein Lüftchen regte sich. Und doch mitunter ein Rascheln im Laub ein Beben in den Zweigen . . . Die Einsamkeit schlummerte nur unruhig, wie in Fieberzucken Der hohen Stunde brütende Hitze weckte sie auf. Der Kaiser war nicht mehr allein. Von allen Wegen, aus allen Hecken kamen lustige Gestalten gezogen. Er sah sie nicht, aber er fühlte ihre Nähe. Er wußte, daß neben ihm eine zarte Nymphe goldschimmernde Käfer in ihr dunkles Haar setzte. Er hörte hinter sich, von jenem Hügel herab, wieherndes Männerlachen und das talpernde Getrabe der Bocksfüßigen – — Um ihn her eine bunte, schillernde Welt, die spricht, flüstert, grüßt, schäkert . . . Zwischen all dem buntflügeligen, gehörnten, halbnackten Pack er, im langen, grünen Seidengewand, ernsthaft ein schwerfälliger Riese. Zuerst bemerken sie ihn gar nicht, – dann umdrängen sie ihn neugierig, lachend, necken ihn mit gutmütig-überlegenem Spotte. »Schon wieder so ein Menschlein! Wie es aufhorcht! Natürlich, es kann ja nichts sehen! Und hat doch solch große Augen! Blöde Augen, wie alle seiner Art! Es ist dumm! Und ungelenk! Wir wollen um ihn her tanzen! Ja, ja! Das wird ihn völlig verwirren!« Ein lachender, wirbelnder, flutender Reigen. Keine Körper mehr, – nur Farbe und Bewegung . . . Ein einsames, grünes Nixchen hält eine lange Binse in der Hand, spitzbübisch kitzelt es ihn damit von hinten am Halse. Schalkhaft wirft ihm ein anderes eine Handvoll Magnolienblätter in die Locken. Dann laufen sie schnell davon, werfen sich mit gespieltem Schrecken in die Arme der Bocksfüßigen, lachen übermütig – — – Riesengroß, leuchtend, beängstigend in seiner steinernen Ruhe ragt am tiefblauen Himmel ein weißes Ungetüm über dem lustigen Spuk auf. Löwentatzig, blickt aus leeren Marmoraugen die Sphinx über die glühende Welt hin – —
Der Kaiser war nicht erschrocken Er kannte das Mittagsgespenst. Öfters schon hatte es ihn angefallen; gerade in diesem abgelegenen Teil der Gärten. Er schlug das Kreuz, betete den Spruch, den ein heiliger Bischof eigens gegen solche Gespenster gefertigt hatte. Das Licht der Erkenntnis war damals noch nicht sonnenhell aufgegangen. Wie eine Dämmerung, die nicht weichen wollte, hielt noch das Heidentum die Welt umfangen. So fromm Byzanz auch schien, so endloses wiederhallte von Psalmen und Kyrie eleison, – bei Nacht flocht manch Einer zum Dionysosopfer den Epheu ins Haar, der bei Tag die Wundmale des Gekreuzigten geküßt. Der süße Irrwahn des klassischen Göttergesindels war, trotz Messe und Weihrauch, noch nicht aus den Köpfen hinausgewirbelt. Selbst die Aufgeklärtesten glaubten an heidnische Kobolde, die kamen, die Gläubigen zu versuchen.
Des Kaisers Lippen beteten. Seine Gedanken wußten nichts davon. Weiter, immer weiter schritten sie, ungehemmt durch Raum und Zeit. Allmählich versanken sie in süß-schmerzliches Erinnerungsdämmern – — Nicht immer hatten die Menschen sich vor dem großen Pan bekreuzigt.