Bis an die Grenze. Grazia Deledda
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Читать онлайн книгу Bis an die Grenze - Grazia Deledda страница 4
»Ah, gut! Sag’ deiner Mutter, daß sie Kaffee macht.«
Eine des Weges kommende Frau mit einer Amphora auf dem Kopfe grüßte und lächelte. Signor Sulis bedeutete ihr, stehen zu bleiben und fragte, wie es ihrem Mann ginge.
»Immer noch das Fieber! Wir haben einen Knecht annehmen müssen für die Ernte. Ach! für uns gibt es keine Hoffnung mehr, wir sind ruiniert. Wenn Sie uns nicht helfen diesen Winter, wird man uns finden wie man Luca Gattu fand, erfroren und verhungert!«
»Still, still, Frau!« sagte der alte Sulis und legte sich einen Finger auf den Mund. »Die Vorsehung darf nicht so häßliche Worte hören.«
Und die Frau ging getröstet weiter.
Dann kam ein Hirt zu Pferde: auch er hielt an und gab schlechte Nachricht von seiner Herde; doch auch er vernahm Worte der Hoffnung. Alle Vorüberkommenden hielten bei dem alten Manne an, als ob er der Vertreter der Vorsehung wäre; alle lächelten ihm zu und richteten freundliche und schlaue Worte an ihn.
Gavina ordnete unterdes die Tassen auf dem Kaffeebrett. Als die beiden Domherren, von einem blassen, hochaufgeschossenen Seminaristen begleitet, am Fenster vorüberkamen, eilte sie, ihre Mutter zu benachrichtigen. Und Signora Zoseppa ging und legte ein reiches seidenes Kopftuch um.
Der Besuch wurde von Signor Sulis in dem Zimmer zu ebener Erde empfangen, das als Besuchzimmer diente. Es war das einzige des Hauses, das mit einem gewissen Luxus ausgestattet war. Die Fenster hatten Vorhänge, und vor dem Sofa lag ein Hirschfell. Auf der mit Perlmutter eingelegten antiken Konsole von Ebenholz stand eine kleine Venus aus Gips, der Signora Zoseppa ein blauseidenes Mäntelchen mit Goldfransen umgehängt hatte; und in einem verschlossenen Glasschrank waren gebundene Bücher zu sehen, die sich ein wenig unordentlich aneinanderlehnten, als ob sie müde oder schläfrig wären.
Die beiden Domherren, der Seminarist, Herr Sulis und Frau Zoseppa nahmen im Kreise Platz; auf die üblichen Begrüßungen folgte zunächst minutenlanges Schweigen. Gavina lauschte hinter der halboffenen Tür und wagte nicht einzutreten; aber sie sah doch das engelhafte, bleiche und sanfte Gesicht des Kanonikus Felix und hörte, wie er nach einigem Zaubern seinen gewohnten Scherz vorbrachte: »Heute war nicht eine Dame im Pelz in der Kirche zu sehen.«
Damit war ein Gesprächstoff gefunden, und man fing alsbald an, über die Hitze zu reden. Den Seminaristen jedoch interessierte die Unterhaltung offenbar nicht sehr: er blickte hierhin und dorthin, drehte den Kopf und sperrte die großen, schwarzen, ein wenig trüben Augen auf. Die Venus und die Bücher im besonderen zogen seinen unsicheren Blick an. Doch als Gavina mit dem Kaffee hereinkam, leuchtete sein ein wenig unstetes Auge auf, nahm eine bestimmte Richtung an und ließ von dem Gesicht des jungen Mädchens nicht mehr ab.
Sie aber wollte nicht so angesehen werden; nachdem sie den Kaffee herumgereicht, setzte sie sich neben ihre Mutter, so daß sie Priamo von der Seite sah, und er wagte nur dann und wann sich umzuwenden. Der Kanonikus Felix, der in einem Dorfe auf den Bergen geboren war, erzählte langsam und mit sanfter Stimme ein Abenteuer, das ihm vor vierzig Jahren widerfahren war. Das Geschichtchen mußte wohl sehr originell sein, denn Herr und Frau Sulis hörten aufmerksam zu und lachten; Gavina und dem Seminaristen indes erschien es vielleicht ein wenig zu alt für sie, denn wenn sie zuhörten, so lachten sie nicht übermäßig und nicht einmal zur rechten Zeit. Mehr als mit der Vergangenheit, schienen sie mit der Gegenwart beschäftigt, und Priamo kam plötzlich auf einen Gegenstand neuesten Datums; er wendete sich zu Gavina und fragte: »Und Luca? Läßt er sich nicht sehen?«
»Er ist auf das Land geritten,« erwiderte sie leise, ihn verstohlen anblickend. Im Profil sah er aus wie ein hl. Ludwig, sein Gesicht war bleich, von fast bläulicher Blässe, die Nase vom reinsten Schnitt, und die Lippen schön geschwungen und voll zugleich. Die gleich Fransen gerade geschnittenen, glänzend schwarzen Haare beschrieben einen Bogen über der Stirn. Die Arme über der schmalen Brust gekreuzt und die Hände unter die Achseln gesteckt, wiegte er sich beständig hin und her und schien von einer nervösen Unruhe befallen: seine großen Augenlider mit den langen Wimpern hoben und senkten sich unausgesetzt. Gavina beobachtete ihn, doch obwohl sich auch in ihr eine unbestimmte Unruhe regte, verharrte sie unbeweglich auf ihrem Platze, den Kopf stolz erhoben.
Auch Signor Sulis erzählte nun sein Geschichtchen, das nicht gerade eben so alt, aber auch nicht neu genug war, die beiden jungen Menschen zu interessieren. Es handelte von einem Banditen, der seinerzeit den Wegebauer mitten im dichten Walde angehalten hatte.
»Ich trug zweiundzwanzigtausend Lire bei mir. Die Begegnung machte mir somit keineswegs Vergnügen; aber zu meinem großen Erstaunen sagte der Mann ganz höflich: ›Signor Sulis, lieber Herr Gevatter, habt ihr die kleine Gevatterin bei euch? Ich möchte ihr gerne einen Kuß geben.‹
Wohl bekomm’s, Bruder; da hast du die kleine Gevatterin: küsse sie soviel du magst.«
Alle lachten. Sie wußten, daß die »kleine Gevatterin« die Kürbisflasche mit Wein war, die der Unternehmer auf seinen Reisen stets bei sich trug.
»Ja, mein Lieber, gestehe es nur, du bist immer zu gut gewesen gegen solche Leute. Zu, zu gut,« sagte der Bruder Kanonikus in leicht vorwurfsvollem Tone.
Um das Gespräch abzulenken, schlug der Hausherr vor: »Ach, nun könnten wir auch einmal in den Keller gehen, wenn Signora Zoseppa es erlaubt.« Er stützte beide Hände auf das Sofa, um sich aufzurichten. Signora Zoseppa warf ihm einen strengen Blick zu: ihr erschien es unpassend, den Kanonikus Felix in den Keller zu führen; aber die Herren hatten sich bereits erhoben und lächelten ganz zufrieden.
Sie mußte also ein gleiches tun. Auch die jungen Leute waren aufgestanden; Priamo ließ Signora Zoseppa vorangehen, statt ihr aber zu folgen, kehrte er sich um und blickte auf Gavina, die die Tassen auf das Teebrett zurückstellte.
»Kommst du nicht mit?« fragte er.
»Doch, jetzt gleich.«
Er trat näher, und da sah sie etwas Seltsames, das sie verwirrte und gleichzeitig aufbrachte: er hob das Mäntelchen der Venus auf und sagte: »Aber nehmt es doch ab! Sieh nur, wie schön sie ist!«
Auch er war schön in diesem Augenblick: rot bis unter seine schwarzen Haare; seine Lippen streckten sich bebend vor, als ob sie nach einem Kusse verlangten.
Gavina schlug die Augen nieder und ging schnell hinaus, ohne ein Wort zu sprechen.
Luca kam gegen Abend zurück und war kaum vom Pferde gestiegen, als er anfing über den Knecht loszuziehen, der auf ihrer Besitzung arbeitete. Am Fenster ihres Zimmers lehnend, dachte Gavina noch an Priamo, als sie die erregte Stimme und die heftigen Worte ihres Bruders vernahm. Es schien, daß er wieder getrunken hatte. Ihrer Träumerei so rauh entrissen, erbebte sie vor Zorn und lief die Treppe hinunter, um Luca zurechtzuweisen. Doch im selben Augenblick kam Signor Sulis von seinem gewohnten Spaziergang heim, und alle waren still. Mit seinem breitrandigen schwarzen Hut und einem mächtigen schwarzseidenen Halstuch sah der ehemalige Wegebauer aus wie ein Quäker. Und seine Gegenwart verbreitete ein Gefühl von Ruhe und Frieden.
Man ging zu Tisch und das Abendbrot verlief, wie immer, sehr still. Nur als Gavina und Signora Zoseppa aufstanden, bedeutete der Vater Luca, zu bleiben, und fragte ihn: »Ich möchte wissen, was dir letzte Nacht passiert ist.«
Luca verteidigte sich bescheiden und suchte dann das Gespräch abzulenken, indem er von seinem Ritt nach der Besitzung redete: der Knecht tat nichts; in