Das Kleid des Witwers. Grazia Deledda

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Das Kleid des Witwers - Grazia Deledda

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      Das Kleid des Witwers

      Ohne Hast ging die Fahrt, weil die junge Frau bei schlechter Gesundheit war und großer Schonung bedurfte. Zusammengekauert, mitunter lang ausgestreckt, ruhte sie auf dem von zwei schwarzen, schläfrigen kleinen Ochsen gezogenen Karren. Der junge Gatte hingegen war ein schöner, kräftiger Mann mit frischem rotem, manchmal allzurotem Gesicht: wann ihm das Blut bis in die von krausem Gelock bedeckte Stirn stieg. Aber wenn er so – bald vor Zorn, bald vor Freude – bei jedem Anlaß errötete, erschien er noch schöner, und seine leuchtenden schwarzen Augen strahlten dann wie die eines Kindes. Eines Kindes Lächeln schien es auch, wenn zwischen den vollen roten Lippen die festen, elfenbeinweißen Zähne hindurchschimmerten. Im Vergleich zu ihm sah die Frau wie eine Alte aus, doch wie eine Kind gebliebene Alte mit braunem, spitzem Gesicht, in dem die bläulichen, schweren Lider über den großen, traurig blickenden Augen sich nur mühsam hoben und senkten. Taten diese Augen sich aber wirklich einmal auf, so betrachteten sie wie erstaunt die Schönheit der Natur; sie füllten sich mit Licht und Leben, und das ganze Gesicht ward überraschend hell und jung.

      Der junge Gatte ging neben dem Karren her, darauf bedacht, ihn an zu heftigem Stoßen zu hindern. Von Zeit zu Zeit beugte er sich über seine junge Frau und redete ihr zu: »Giula, Giula, sieh mich doch einmal an! Du sagst ja gar nichts mehr! Bist du müde?«

      Giula hob alsdann die Augenlider und sprach ein paar Worte; aber was sie sich zu sagen hatten, war bereits gesagt, und bald schloß sie die Augen wieder, ließ sich von dem schwerfällig sich fortbewegenden Karren einwiegen, und alles deuchte ihr ein Traum: die Vergangenheit, die Gegenwart, die Zukunft.

      Es war im Mai, und die Sonne glühte bereits vom wolkenlosen Himmel. Zum Schutz vor ihrem allzuheißen Strahl war aus der einen Seite des Karrens ein grobes Leintuch zwischen zwei Stangen ausgespannt; und wie das Fuhrwerk aus der grauen Straße zwischen dem dichten Grün über die einsame Hochebene dahinrollte, sah es aus, als glitte ein Segel schwerfällig durch ein bewegtes Meer. Diese Vorstellung ward noch vertieft durch den kreisrunden Horizont, an dem aus lichtem Dunst große Silberwolken aufstiegen, die sich unter einem jeweiligen Windstoß von Sonnenaufgang her bald wieder zerteilten. Hielt der Wind aber inne, so war alles wieder regungslos still, und so weit das Auge reichte, folgte Buschwald auf Buschwald, Gestein auf Gestein.

      Unmerklich waren sie dennoch aufwärts gelangt, und mit einemmal tauchte auf der Höhe der Straße, vor ziehenden Wolken, ein schwarzer Punkt auf. Heißer wehte hier der Wind, schwer vom Duft der wohlriechenden Kräuter des Waldes, und die junge Frau richtete sich auf und sog mit zitternden Nasenflügeln die kräftige, reine Luft ein, die für sie die Jugend bedeutete.

      »Giula, Giula, wie geht’s? Bist du noch immer schläfrig? Wir sind schon halbwegs, und Großmutter zündet jetzt schon das Feuer an und füllt den Napf mit glückbringendem Korn, zum Willkomm für uns. Giula, wir sind halbwegs. Hier ist der Nuraghe von Mesu Caminu.«

      Giula hob die müden Lider, schloß sie aber bald wieder, und auch der Mann wurde still und nachdenklich. Er tat ein paar Schritte, schien etwas sagen zu wollen – schüttelte dann aber den Kopf, als wollte er all das Blut hinunterschütteln, das ihm wiederum vom Herzen in den Kopf gestiegen war, und blickte starr geradeaus auf den schwarzen Punkt, der immer größer wurde und schließlich gleich einer Mauer vor der Straße stand.

      Langsam wandte nun auch die Frau den Kopf und sah dorthin; beide hatten den gleichen Gedanken, aber der eine suchte dem andern sein Gesicht zu verbergen, um ihm diesen Gedanken zu verbergen. Und beide überkam ein beklemmendes Gefühl, als hätte die Straße dort ein Ende und es ginge nicht mehr weiter.

      Da oben, in dem Nuraghe, hatte man ein Jahr zuvor den entkleideten, nackten Leichnam eines reichen Witwers gefunden, der Giula zur Frau begehrt. Damals war sie noch ein gesundes, kräftiges Mädchen. Sie, die Waise, hatte fünf kleine Geschwister aufgezogen, für sie alle das Korn geworfelt, das Brot gebacken. Eine solche konnte jener Witwer gerade brauchen: eine Frau, die auch für seine zahlreichen Knechte das Brot bereiten, sein Haus und seine Habe sicher behüten würde, kurz, eine treue Magd, die ihn wenig kostete.

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