Mein Traum. Rosa Mayreder
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Mein Traum
Ich pflege selten zu träumen. Aber wer kann sich ganz ohne Träume durchs Leben schlagen? Kaum nickt der Kutscher ein wenig ein, so geht der Hippogryph durch, und das arme liebe Ich, das ahnungslos wie ein reisender Engländer hinten im Wagen sitzt, sieht sich plötzlich fortgerissen über Stock und Stein, aus allen Geleisen heraus, in die Hölle oder in den Himmel, ohne daß es um seine Wünsche und Absichten gefragt würde.
Auf diese Weise kam ich jüngst in den Himmel. Vorher war ich ganz vulgär menschlich in einem irdischen Garten herumgegangen und hatte über irgendetwas nachgedacht. Ich glaube über die Unzulänglichkeit der Weltregierung und die unbefriedigenden Fortschritte der Menschheit oder dergleichen müßige Dinge. Es mußte lange schlechtes Wetter geherrscht haben, denke ich; denn eine kleine Lücke in dem bewölkten Firmament über mir, durch die der blaue Himmel hineinschien, machte einen besondern Eindruck auf mich. Und mit der überraschenden Logik der Träumer dachte ich: Holla, warum sollte man nicht einmal versuchen durch diese Lücke hineinzugelangen? Zuversichtlich entschlossen schöpfte ich tief Atem, blies die Backen auf: Und in der Tat, ich begann wie ein Luftballon senkrecht in die Höhe zu steigen, höher und immer höher. Ich fand dies nicht im geringsten erstaunlich; ich wunderte mich sogar flüchtig darüber, daß die Menschen nicht längst auf dieses einfache Mittel das langweilige Gesetz der Schwere zu überwinden verfallen waren.
Oben an der Wolkendecke stieß ich mit dem Kopf unsanft an, denn ich konnte die Öffnung nicht gleich finden. Ich versuchte es ein zweites, drittes, viertes Mal. Glücklicherweise stammen meine Vorfahren aus dem Land ob der Enns; solche Schädel halten einen Puff aus. Schließlich traf ich doch ins Schwarze, und ich schlüpfte durch einen engen Schlot, der nach Geräuchertem roch wie ein ländlicher Kamin, aufwärts.
Als ich draußen war, befand ich mich in einem unendlich großen, himmelblauen Treppenhaus, in dem nach allen Seiten hin kristallene Stufen und goldene Geländer in unabsehbaren Windungen emporliefen.
Bei diesem Anblick dachte ich gleich an die biblische Himmelsleiter. Und da die Menschheit seit den Tagen der Patriarchen wenigstens auf den Gebieten der Technik und des Komforts unleugbare Fortschritte gemacht hat, schien es mir ganz angemessen, daß sich die primitive Leiter des Erzvaters indessen in solch ein herrliches Treppenwerk verwandelt habe. Von den auf und ab wandelnden Engeln hingegen bemerkte ich nichts. Alles war leer und still; kein himmlischer Portier fragte den Ankömmling, wohin er wolle; kein beflügelter Lakai nahm ihm seine Visitenkarte und seine Überkleider ab. Aber in den blauen Fernen der Höhe erspähte ich doch vereinzelte, geisterhafte Gestalten, die sich in größerer oder geringerer Ferne von einander fortbewegten. Schwach schimmerten sie durch die unermeßlichen Räume wie Sterne auf einem nebeligen Winterhimmel. Nirgends gingen ihrer zwei zusammen; es schien mir, daß jede für sich einen der unzähligen Treppenarme benutzte, die sich wohl erst weiter oben, in einer Höhe, in die mein Blick nicht hinaufreichte, vereinigten.
So entschloß ich mich auf gut Glück die Stufen, die mir zunächst lagen, zu betreten. Wenn ich nur immer tapfer aufwärts stiege, so konnte ich ja, dachte ich, das Ziel nicht verfehlen.
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