Der kleine Fürst Staffel 8 – Adelsroman. Viola Maybach
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»Tatsächlich? Und um wen handelt es sich?«, fragte Lucius, ohne ernsthaft interessiert an der Antwort zu sein. Er fragte nur der Höflichkeit halber, weil Anna das zu erwarten schien. Umso überraschter war er jedoch, als er die Antwort hörte.
»Alexis zu Randershausen«, erklärte Anna. »Kennst du ihn?«
»Nein, nicht persönlich«, antwortete Lucius wahrheitsgemäß, »aber er hat eine Schwester, die zu meinen neuen Nachbarn gehört.«
»Franzi?«, rief Anna.
»Ja, sie heißt Franziska. Mein Onkel und ich haben sie gestern besucht – mein Onkel wird ihr vielleicht helfen bei einigen Reparaturen am Haus.« Lucius drückte sich absichtlich so vorsichtig aus. Noch wusste man ja nicht, wie die Hilfsaktion wirklich aussehen würde, und außerdem war Ulrich ein sehr diskreter Mensch, der sicherlich nicht wollte, dass man über sein Vorhaben viel redete.
»Ist es wirklich so schlimm mit dem alten Gutshaus?«, fragte Christian besorgt. »Das haben wir nämlich von mehreren Leuten gehört, aber Franzi hat immer behauptet, das wäre übertrieben. Tante Sofia meinte, sie wollte nur nicht, dass wir uns verpflichtet fühlen, ihr zu helfen.«
»Leider muss man sagen, dass es wirklich nicht allzu gut aussieht«, erklärte Lucius. »Hört mal, ihr beiden, wollt ihr mit mir zum Schloss fahren? Togo könnte ja neben dem Wagen herlaufen, das wäre endlich einmal eine echte Herausforderung für ihn.«
Togo zeigte sich tatsächlich begeistert, als er gleich darauf versuchte, den Wagen zu überholen. Lucius spielte gutmütig mit und ließ den jungen Boxer gewinnen, sodass er sie hechelnd und mit weit heraushängender Zunge vor dem Hauptportal erwartete.
Als sie ausstiegen, kam Baron Friedrich mit seinem anderen Gast gerade aus den Ställen. Er machte die beiden jungen Männer miteinander bekannt.
Lucius lächelte freundlich, als er Alexis die Hand reichte. »Was für ein netter Zufall«, sagte er, »gerade erst habe ich Ihre Schwester kennengelernt, und jetzt begegnen wir uns.«
Auch Alexis lächelte, aber seine Augen blickten Lucius so kühl und distanziert an, dass er sich sofort unbehaglich zu fühlen begann.
»Ich muss leider sofort zurück«, sagte Alexis, »aber vielleicht sehen wir uns ja schon bald wieder.« Es blieb unklar, ob er Lucius oder die Sternberger damit meinte. Gleich darauf stieg er in seinen Sportwagen und fuhr davon.
Anna wiederholte die Worte, die sie zuvor schon zu Christian gesagt hatte. »Ich mag ihn nicht!«
»Anna!« Der Baron sah seine Tochter strafend an. Es war in Ordnung, wenn sie solche Bemerkungen innerhalb der Familie machte, aber vor einem weiteren Gast fand er sie ausgesprochen ungehörig. »Du hast ihn kaum zwei Minuten gesehen, da kann man sich noch kein Urteil über einen Menschen erlauben. Entschuldige, Lucius, normalerweise benehmen sich unsere Kinder besser, wie du weißt.«
Anna errötete bei dieser Rüge. Lucius jedoch betrachtete sie nachdenklich, hatte sie ihm doch aus der Seele gesprochen – und das hatte nichts mit den Überlegungen seines Onkels zu tun, ob Alexis oder seine Mutter Franziska beim Tode von Johannes zu Randershausen in irgendeiner Weise betrogen hatten. Nein, es war der merkwürdig kalte Ausdruck in den Augen des jungen Mannes gewesen, die ihn unangenehm berührt hatte.
Als sie zum Schloss gingen, raunte er Anna, die noch immer ein rotes Gesicht hatte, zu: »Ich mochte ihn auch nicht, Anna.«
Sie strahlte ihn dankbar an.
Gleich darauf begrüßten ihn Baronin Sofia und Konrad, und da sie einander lange nicht gesehen hatten, gab es viel zu erzählen. Alexis zu Randershausen wurde nur noch einmal erwähnt – er hatte eine sehr teure Stute gekauft, obwohl der Baron der Ansicht war, dass er sich für Pferde nicht sonderlich interessierte. »Wahrscheinlich denkt er, das gehört dazu«, beendete Friedrich seinen kurzen Bericht über den Besuch von Franziskas Halbbruder.
Lucius nahm die Einladung zum Abendessen dankend an und schaffte es ohne Probleme, das Gespräch auf Franziska zu lenken. Die Sternberger, das merkte er schnell, waren ihr von ganzem Herzen zugetan, und ihm selbst tat es gut, über sie zu reden.
Er wusste ja noch so wenig von ihr.
»Warum kommt ihr nicht mal zu Besuch?«, fragte er die Teenager. »Ihr könntet bei mir wohnen und eurer Freundin bei der Gelegenheit einen Besuch abstatten. Wie wäre das? Zum Beispiel am nächsten Wochenende?«
Anna und Christian waren hellauf begeistert von diesem Vorschlag, Konrad freilich hatte bereits andere Pläne. Da weder Sofia noch Friedrich Einspruch erhoben, galt der Besuch von Anna und Christian damit als ausgemacht. »Aber erzähl Franzi nichts davon, Lucius«, bat der kleine Fürst. »Wir wollen sie überraschen, nicht, Anna?«
Seine Cousine nickte heftig, und so versprach Lucius hoch und heilig, er werde kein Wort über ihr Kommen verlieren.
Auf der Heimfahrt, einige Stunden später, dachte er intensiv an Franziska, die er am nächsten Tag wiederzusehen hoffte. Sein Onkel wollte mit der Dachreparatur beginnen, und er würde im Laufe des Nachmittags dazustoßen.
Er konnte es kaum erwarten.
*
»Mittagspause!«, rief Elsbeth am nächsten Tag den vier Männern auf dem Dach zu. »Das Essen ist fertig.«
»Wir kommen!«, rief Ulrich zurück.
Es dauerte keine zehn Minuten, bis sie gemeinsam um den großen alten Tisch in der Küche saßen. Franziska war noch in der Schule, Elsbeth erwartete sie frühestens in zwei Stunden, dann würde sie ihr das Essen aufwärmen. Sie hatte eine kräftige Rindfleischsuppe mit Einlage gekocht.
»Schmeckt großartig«, stellte Ulrich anerkennend fest.
Seine drei Freunde nickten schweigend, das Reden überließen sie ihm. Sie waren älter als Ulrich, von ihrem Betrieb im Zuge von Sparmaßnahmen entlassen worden: Bodo Bauer, Kurt Wiesel und Armin Bock hießen sie. Ihren Händen sah man an, dass sie ihr Leben lang zugepackt hatten, ihre Gesichter waren zerfurcht, sie lächelten selten. Elsbeth ahnte, dass das Schicksal es nicht immer gut mit ihnen gemeint hatte, aber Einzelheiten wusste sie nicht. Auf jeden Fall war die Arbeit hier auf dem Gut ein Glücksfall für die drei.
Ulrich hatte für Franziska einen Finanzplan aufgestellt, mit dem sie sich einverstanden erklärt hatte. »Wenn das so geht, kann ich zumindest die Dachreparatur bezahlen«, hatte sie gesagt. »Das Teuerste scheint ja das Material zu sein. Alles Weitere muss ich dann sehen.«
»Kalt hier«, stellte Ulrich fest. »In den Räumen, in denen Sie sich oft aufhalten, brauchen Sie neue Fenster, unbedingt, sonst nützt das dichte Dach auch nichts, Frau Lüders.«
»Wem sagen Sie das«, seufzte Elsbeth. »Es ist ein Fass ohne Boden.«
»Ach was!«, ließ sich plötzlich einer der bis dahin schweigsamen Männer vernehmen. Es war Armin Bock, der Jüngste von ihnen. Elsbeth schätzte ihn auf Ende Vierzig. »Wenn das Haus erst einmal in Schuss ist, haben Sie für lange Zeit Ruhe, das schwöre ich Ihnen. Das ist großartig gebaut, im Sommer hält es kühl, im Winter warm – und sehen Sie sich die Fußböden an! Das ist noch richtig gute Arbeit. Aber viele