Leni Behrendt Staffel 2 – Liebesroman. Leni Behrendt
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»Werfen Sie das Balg doch einfach zum Fenster hinaus!« brüllte der cholerische Herr dazwischen. »Es ist eine Unverschämtheit von dieser Person.«
»Wer ist denn hier eine Person, he?« fuhr die verächtlich Betitelte empört auf, dabei eine Windel – gleich einer Fahne schwenkend. Und wer weiß, ob die Erboste diesen wichtigen Gegenstand dem Angreifer nicht um die Ohren geschlagen hätte, wenn der Arzt nicht eingegriffen hätte.
»Ruhe!« gebot er so scharf, daß selbst der kleine Knabe zu schreien aufhörte und angstvoll den Hals Lenores umklammerte. »Man muß tatsächlich anzweifeln, sich hier unter kultivierten Menschen zu befinden.«
»Ich bin sonst schon einer...«, sagte die junge Mutter.
»Dann benehmen Sie sich auch danach«, schnitt Ralf ihr kurz den Faden der Beredsamkeit ab. »Ignorieren Sie den ungemütlichen Mitreisenden. Kümmern Sie sich lieber um Ihr Kind, das wahrscheinlich vor Hunger schreit.«
»Herrjeh, herrjeh, spielt der sich aber auf!« murrte die Zurechtgewiesene, indem sie den Jungen nahm und ihm die Flasche reichte, aus der er sofort in langen Zügen saugte. »Schade, daß mein Mann nicht hier ist, der würde schon dreinschlagen, er ist nämlich Amateurboxer. Nehmen, Sie sich also nur in acht, Sie – Sie da in der Ecke! Er holt mich nämlich vom Bahnhof ab. – Aha, jetzt hat er Angst!« fuhr sie triumphierend fort. »Ganz käsig sieht er aus.«
»Moment mal!« fiel Ralf hastig ein, indem er aufsprang und zu dem Herrn trat, der mit schmerzverzogenem Gesicht dasaß und die Hand rechtsseitig auf die Magengegend preßte. Der Mund war verkrampft, auf der Stirn perlten Schweißtropfen.
»Ich bin Arzt, mein Herr, und möchte Ihnen helfen. Ist es die Galle?«
»Ja. Bitte eine Spritze!«
»Die habe ich leider nicht bei mir. Ist es denn so arg?«
»Es fängt erst an, aber bald wird’s unerträglich werden, das kenne ich aus Erfahrung. Wenn ich wenigstens Wasser hätte, um eine Tablette nehmen zu können.«
»Das hole ich Ihnen rasch aus dem Speisewagen.«
»Damit kann auch ich aushelfen«, meldete sich die junge Frau, die angesichts des leidenden Mannes ihre Rachegelüste vergessen hatte. »Ich habe nämlich immer auf Reisen eine Flasche Wasser bei mir, für alle Fälle.«
Schon hatte Lenore das Baby wieder auf dem Schoß, das jetzt jedoch friedlich war, weil es satt war und schlief. Flinke Hände kramten in der Tasche und förderten nicht nur eine Flasche Wasser, sondern auch einen Becher zutage.
Indes hatte der Arzt sich von dem Herrn die Tabletten zeigen lassen, die dieser der Rocktasche entnahm.
»Das Mittel ist gut, wenn auch stark. Vom Arzt verordnet?«
»Na, was denn sonst? Ohne Rezept kriegt man die Dinger ja nicht.«
»Ein Glück. Und nun geben Sie mal her, meine kleine Gnädige. Sie sammeln ja direkt feurige Kohlen auf das Haupt Ihres Widersachers.«
»Wenn er Schmerzen hat, muß man doch schon«, lachte sie Ralf an, daß die Zähne nur so blitzten.
Sie war überhaupt eine hübsche Frau – rosig, mollig, blitzsauber. Ein rasches Mundwerk, aber ein gutes Herz.
Nachdem der Leidende die Tablette geschluckt hatte, knurrte er den jungen Mann an:
»Danke. Sie sollten sich um einen so unleidlichen Kerl gar nicht bemühen.«
»Dafür bin ich Arzt«, kam es ruhig zurück. »Haben Sie noch weit zu fahren?«
»Auf der nächsten Station steige ich aus. Ich will dort ins Krankenhaus zur Beobachtung. Da sollen nämlich die Ärzte eine Menge verstehen. Hauptsächlich der eine Arzt, Skörsen heißt er wohl.«
In Ralfs Augen blitzte es überrascht auf, allein er gab sich nicht zu erkennen. Auch nicht, als die junge Frau eifrig sagte:
»Da kann sich der Herr mir anschließen. Ich will nämlich auch ins Kranken haus, wo
dieser Doktor Skörsen arbeitet.«
»Nanu, was wollen Sie denn da?« fragte Ralf verwundert. »Sie schauen doch aus wie das blühende Leben.«
»Ich will ja auch nicht als Patientin ins Krankenhaus, sondern anders. Mein Mann ist nämlich Portier dort. Er heißt Ewald Druschke. Gott, was bin ich froh, daß der alte Portier gestorben ist und Ewald nicht nur seinen Posten, sondern auch seine Wohnung bekommen hat!« machte sie aus ihrem Herzen keine Mördergrube. »Da – hört doch endlich das getrennte Leben auf. Ich da, er dort – das bekamen wir auf die Dauer nun wirklich satt. Ach herrjeh, da fahren wir ja schon in den Bahnhof ein, und hier liegt alles herum wie in Sodom und Gomorrha.«
Schon stopfte sie alles kunterbunt in die Tasche, bis diese seitwärts wie ein Ballon anschwoll und oben heraushängen ließ, was beim besten Willen nicht mehr Platz hatte.
Ihr Kind schien die Aufgeregte vergessen zu haben, und hätte Lenore sie nicht daran erinnert, wäre die Mutter wohl ohne ihr Kind ausgestiegen.
»Richtig, der Junge!« klatschte sie sich mit der flachen Hand vor die Stirn. »Na, so was! Komm her, mein Süßer, was hast du bloß für eine Rabenmutter! – Da hält der Zug ja schon. Kommen Sie mit, Sie kranker Herr?«
»Gott soll mich bewahren!« hob dieser entsetzt die Hände.
Da wandte sie sich achselzuckend ab, während er sich bemühte, seinen Koffer aus dem Netz zu ziehen.
»Lassen Sie mich das machen«, schob Ralf ihn zur Seite. »Der Koffer ist für Sie doch viel zu schwer. Konnten Sie ihn denn nicht aufgeben?«
»Nein«, kam es verdrießlich zurück. »Es wird so viel gestohlen.«
»Gehen Sie schon voran, ich folge Ihnen mit dem Gepäck.«
»Danke, das trage ich.«
Damit riß er dem Arzt förmlich den Koffer aus der Hand und hastete so schnell davon, als wäre ihm das Angebot des jungen Mannes nicht ganz geheuer.
Ralf wandte sich nun Lenore zu, die dem allem mit gemischten Gefühlen gefolgt war.
»Ich muß hinter dem Mann her, damit er nicht zusammenklappt«, erklärte er hastig. »Muß ihn ins Krankenhaus bringen.«
»Aber du hast doch heute und morgen noch Urlaub«, wagte die Gattin einzuwenden, was ihr einen unwilligen Blick eintrug.
»Wenn ein hilfloser Kranker den Arzt braucht, gibt es für diesen keinen Urlaub, das mußt du dir merken für alle Zeit. Geh in den Wartesaal und warte da auf mich.«
Fort war er, und Lenore kam sich vor wie ein Kind, das die Mutter im Dunkeln allein gelassen hatte.
*
Obwohl das große Gepäck mit den Möbeln zusammen vorausgeschickt worden war, hatte Lenore doch manches an Handgepäck bei sich. So den Koffer, der außer dem Nachtzeug die Wertsachen barg, ferner die Handtasche, den Schirm