Das Judentum. Michael Tilly
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Bereits im 5. Jahrhundert v. Chr. hatte sich auf dem Gebiet des ehemaligen Nordreichs Israel die samaritanische Religionsgemeinschaft als eine jüdische priesterliche Sondergruppe gebildet. Als strikte Jahweverehrer, die wohl nur das Kultmonopol Jerusalems ablehnten, errichteten die dissidenten Priester zur Zeit Alexanders des Großen (356–323 v. Chr.) auf dem Berg Garizim ein separates Kultzentrum mit eigenem Opferbetrieb gemäß den Bestimmungen der Tora. Der bei Sichem (dem heutigen Nablus) gelegene Garizim gilt den Samaritanern, von denen es gegenwärtig nur noch wenige Hundert gibt, bis heute als kultischer Mittelpunkt.
Durch die Zerstörung Sichems und des Tempels auf dem Garizim im Jahre 129 v. Chr. waren die Samaritaner genötigt, die Legitimation der eigenen Religionsgemeinschaft neu zu begründen und zu legitimieren. Es kam zur Fixierung einer besonderen samaritanischen Verständnistradition der Tora mit einer eigenständigen Schrifttradition. Im jüdischen Krieg (vgl. Kap. 1, Exkurs: Qumran) nahezu ausgerottet, kämpfte die kleine samaritanische Religionsgemeinschaft in den folgenden Jahrhunderten ums Überleben. Der Kultbetrieb auf dem Garizim kam jedoch bis heute nie gänzlich zum Erliegen.
Der Jerusalemer Tempel selbst übernahm neben seinen religiösen Aufgaben immer mehr politische und – z. B. als Bank – eine Reihe wirtschaftlicher Funktionen. Ebenso mündete die politische, gesellschaftliche und religiöse Entwicklung innerhalb des Judentums in einen immensen Machtzuwachs der priesterlichen Aristokratie. Die Bedeutungsfunktionen des Jerusalemer Heiligtums als eines kosmischen und gesellschaftlichen Zentrums verschmolzen zu einer Einheit. Für die priesterliche Oberschicht stellte der Tempel nun quasi die eigene Existenzgrundlage dar. Jedoch standen die Pläne und Interessen dieser Priester zunehmend im Widerspruch zu denen der bäuerlichen Bevölkerungsmehrheit.
Mit der Eroberung Syriens durch Alexander den Großen (332 v. Chr.) geriet Jerusalem endgültig in den unmittelbaren Einflussbereich des makedonischen Großreiches und der hellenistischen Einheitskultur. Auch den neuen Machthabern war sehr an politischer Stabilität in der Provinz gelegen. Die bereits unter der Perserherrschaft bestehende weitgehende innere Autonomie Judäas und »Hierosolymas« auf der Grundlage der Tora als Verfassung und mit dem Jerusalemer Tempel als anerkanntem politischen Zentrum bestand deshalb fort, wenn auch mit je und je unterschiedlicher Intensität. Hoherpriester und Ratsversammlung wurden dabei von den nichtjüdischen Herrschern als Repräsentanten und als privilegierte politische Vertreter der jüdischen Bevölkerung in dem tributpflichtigen Tempelstaat anerkannt. Der Seleukidenherrscher Antiochos III. (223–187 v. Chr.) billigte diese Staatsform ausdrücklich. Einige Jahrzehnte später scheiterte der Versuch eines Teils der Jerusalemer Tempelaristokratie, den Tempelstaat mit Hilfe der syrischen Seleukiden gewaltsam in eine hellenistische Stadt zu verwandeln (167 v. Chr.), um so die eigene Machtposition zu festigen. Dieser Umsturzversuch einer Minderheit stieß auf den heftigen Widerstand vor allem derer, die durch diese als religiöse und kulturelle Erosion empfundenen gewaltsamen Hellenisierungsbestrebungen die politische Reichweite der Zentralität des Tempels und somit ihre statusbestimmende Lebensgrundlage, Macht und Autorität als Priester oder Tempelbeamte bedroht sahen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt stellte der Jerusalemer Tempel bzw. seine unterschiedliche Wahrnehmung den deutlichen Ansatzpunkt für polarisierende Auseinandersetzungen verschiedener konkurrierender religiöser Teilgruppierungen im antiken Judentum dar. Es ist zu beachten, dass sich diese durch Anpassung und Widerspruch gekennzeichnete Entwicklung nicht vorwiegend zwischen pro- und antihellenistischen Angehörigen verschiedener sozialer Schichten in Judäa vollzog, sondern vor allem innerhalb der Jerusalemer Oberschicht.
Den Makkabäerbrüdern, Söhnen des Priesters Mattatias aus Modein, gelang es, eine »konservative« antihellenistische Sammelbewegung zu führen und diese Bestrebungen abzuwehren. Der »Tempelreinigung« des Judas Makkabaios (164 v. Chr.) folgte die Herrschaft der in Jerusalem residierenden Hasmonäerdynastie. Dieses jüdische Herrscherhaus legitimierte seine gesellschaftliche Machtposition nach innen vor allem durch die Selbstdarstellung als den väterlichen Gesetzen verpflichteter religiöser Streiter für Tempel und Kult. Es bewirkte so die Umwandlung der Stadt zum politischen Zentrum eines »unabhängigen« Königreiches sowie die Umwandlung des Tempels in das bedeutendste Symbol der jüdischen Selbstbehauptung. Seit 142 v. Chr. politisch unabhängig, war Jerusalem nun für mehr als sieben Jahrzehnte wieder der machtpolitische Mittelpunkt eines expansionistischen jüdischen Staates. In die Hasmonäerzeit fällt auch die eigentliche Entstehung des Begriffs »Judentum« zur Bezeichnung einer eigenständigen Gemeinschaft, die über eine bloße ethnisch-geographische Größe hinausgeht.
Die besondere Bedeutung Jerusalems und des Tempels als Symbole der nationalen und religiösen Zugehörigkeit blieb kennzeichnend für die gesamte hasmonäische Ära. Mit der römischen Eroberung der Stadt durch Pompeius Magnus (63 v. Chr.) und dem von Rom unterstützten Aufstieg Herodes’ des Großen (ca. 75–4 v. Chr.) nahm die Intensität der Handelskontakte und der kulturellen Beziehungen Jerusalems zu anderen städtischen Zentren im Osten des Römischen Weltreichs noch einmal beträchtlich zu. Seit 19 v. Chr. renovierte Herodes den während der römischen Angriffe beschädigten Jerusalemer Tempel als Symbol des »weltstädtischen« Charakters der Stadt am Rand des Imperium Romanum und als international beachtetes Wahrzeichen seiner Herrschaft. Der im Stil der hellenistisch-römischen Monumentalbauweise erneuerte, in Entsprechung des bereits zuvor bestehenden baulichen Strukturprinzips der konzentrischen Heiligkeit erweiterte, erhöhte und mit gewaltigen Umfassungsmauern versehene herodianische Tempel wurde zu dem erfahrbaren religiösen Zentrum des Judentums in Palästina und – unbeschadet aller Loyalität gegenüber und Teilhabe an der jeweils bestimmenden Umwelt – in der gesamten antiken Welt. Pilger aus vielen Ländern strömten zu den Wallfahrtsfesten nach Jerusalem, übereigneten dem Tempel kultische Abgaben und Weihegeschenke und wohnten am Zielort ihrer Pilgerreise den Opfern bei. Juden überall in der Diaspora entrichteten freiwillig die jährliche (Halb-)Schekelsteuer, die in erster Linie für den Unterhalt des Jerusalemer Tempels bestimmt war.
In die Zeit der Herrschaft des galiläischen Landesfürsten Herodes Antipas (ca. 20 v. Chr. – 39) fällt die Entstehung der Jesusbewegung und des Christentums. Der Jude Jesus aus der galiläischen Stadt Nazareth ließ sich von dem jüdischen Bußprediger Johannes im Jordan taufen und zog als charismatischer Wanderprediger mehrere Jahre durch Galiläa. Er heilte Kranke, lehrte in den Synagogen (vgl. Kap. 3, Die Synagoge), verkündigte öffentlich den Beginn der Heilszeit und rief das Volk Israel zur Umkehr und Nachfolge auf. Dabei verstand er sich wahrscheinlich als endzeitlicher Prediger und von Gott gesandter Heilsmittler, ohne jedoch selbst Anspruch auf den traditionellen jüdischen Hoheitstitel »Messias« (»Gesalbter«) zu erheben. Um Jesus aus Nazareth sammelte sich eine stetig wachsende Zahl von Anhängern, darunter viele Angehörige von sozialen Randgruppen. Unter dem Vorwurf der Gotteslästerung und der politischen Agitation wurde Jesus ca. im Jahre 30 in Jerusalem von der römischen Provinzverwaltung gefangengenommen, verurteilt und am Kreuz hingerichtet.
Nur kurze Zeit nach seiner Hinrichtung traf sich in Jerusalem die christliche Urgemeinde in der festen Überzeugung, angesichts der nahen Zeit des Weltgerichtes das wahre Judentum zu repräsentieren. Bald entstanden kleine Hausgemeinden, die immer größere Bereiche ihres Lebens gemeinsam gestalteten. Von der Jerusalemer Tempelaristokratie und ihrer Anhängerschaft als ketzerische Aufrührer verfolgt und von der aufgehetzten Volksmenge bedroht, flüchteten viele Anhänger des neuen Glaubens nach Samaria, an die phönizische Küste und bis nach Antiochia am Orontes, wo sie zum ersten Mal als eine eigenständige Gruppe in Erscheinung traten. Von der nichtjüdischen Bevölkerung der Stadt wurden die Angehörigen der neuen jüdischen Endzeitsekte bald »Christen« genannt, wahrscheinlich um sie durch diese Bezeichnung, die den Hoheitstitel »Christus« (griechisch für »Messias«) wie einen Eigennamen behandelte, von der großen Mehrheit des Judentums zu unterscheiden.
Waren die palästinischen Christen anfangs noch eine exklusive, enthusiastische Bewegung innerhalb des Judentums, so schlossen sich ihnen in dem multiethnischen und multireligiösen antiken Handelsknotenpunkt Antiochia auch immer mehr ehemalige Anhänger hellenistisch-römischer