Das Judentum. Michael Tilly

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Das Judentum - Michael  Tilly marixwissen

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unterschiedlichen, mehr oder weniger prestigeträchtigen Aufgaben und Arbeiten bei den täglichen Tempelopfern, den Fest- und Privatopfern wurden unter den diensttuenden Priestern ausgelost. Die Opfer kamen entweder Gott selbst, dem Heiligtum oder dem amtierenden Kultpersonal zu. Auf dem freien Platz im Priesterhof östlich vom eigentlichen Tempelgebäude befand sich der steinerne Brandopferaltar, der über eine lange Rampe auf seiner Südseite zu erreichen war. Die Darbringung des täglichen Brandopfers (»Tamid«) auf diesem Altar stand neben der Darbringung des Räucheropfers im Heiligtum im Mittelpunkt des regelmäßigen Opfergottesdienstes, der am frühen Morgen (»Schacharit«; vgl. Kap.3, Der synagogale Gottesdienst) und am späten Nachmittag (»Mincha«; vgl. Kap.3, Der synagogale Gottesdienst) vor den Augen der im Vorhof der Israeliten versammelten Gemeinde stattfand.

      Beim täglichen Brandopfer stemmte ein Priester dem Opfertier zunächst seine Hände auf. Das Tier, ein einjähriges Lamm, wurde sogleich in ritueller Weise geschlachtet und sein Blut (vgl. Kap. 3, Speise- und Reinheitsgebote) aus einer Schale an die Ecken des Altars gesprengt. Der Hohepriester selbst amtierte dabei nur vor dem und am Versöhnungstag (vgl. Kap. 2, Die Tosefta), während der Sabbate (vgl. Kap. 3, Der Sabbat), an Neumondtagen und bei festlichen Anlässen. Andere Priester zerteilten den Kadaver. Darauf sprachen sie Gebete und Benediktionen (»Lobpreisungen«), bei denen die – männlichen und rituell reinen (vgl. Kap. 3, Speise- und Reinheitsgebote) – Juden, die dem Opfer im Vorhof der Israeliten beiwohnten, betend respondierten. Die einzelnen Stücke des Brandopfertieres wurden nacheinander in das Feuer geworfen, wo sie verbrannten. Begleitet wurde das gesamte Opfergeschehen vom Gesang der levitischen Tempelsänger. Beim täglichen Opfer und beim Brandopfer eines Privatmannes wurde das Opfertier ganz verbrannt, ohne dass die Priester oder der Spender etwas davon bekamen. Als private Brandopfer kamen nur makellose männliche Tiere in Betracht, und zwar Rinder, Schafe oder Ziegen (Lev 1). Lediglich die Haut des Opfertieres fiel dabei den Pries­tern zu (Lev 7,8). War der Spender bedürftig, konnten auch Turteltauben oder Tauben geopfert werden (Lev 14,21 f.).

      An Sabbat- und Festtagen fanden zusätzliche Opfer statt. Besonders zu den Wallfahrtsfesten wurden die täglichen Tempelopfer noch um viele private Dank- und Schuldopfer ergänzt. Als solche Fest- bzw. Heilsopfer kamen auch weibliche Tiere in Betracht. Verbrannt wurde nur ein Teil des Heilsopfertieres, nämlich die Fettteile, Nieren, Herz und Leber. Der opfernde Priester erhielt die Brust und den rechten Schenkel (Lev 7,31 f.). Der Rest musste vom Spender im Kreis seiner Familie oder Freunde innerhalb von 48 Stunden gegessen werden. Beim täglichen Kaiseropfer im Jerusalemer Tempel wurden nicht für den Kaiser, sondern zugunsten des römischen Herrschers – und von diesem selbst bezahlt – zwei Lämmer und ein Stier geopfert.

      Bis heute erhalten ist die Erinnerung an das Tempelopfer im Judentum im täglichen Morgen- und Nachmittagsgebet (vgl. Kap. 3, Der synagogale Gottesdienst), deren Zeitpunkt und Bezeichnung den Opferzeiten im Jerusalemer Tempel entspricht.

      Qumran

      In elf Höhlen nahe Chirbet Qumran, einer antiken Ansiedlung 12 Kilometer südlich von Jericho am Nordwestufer des Toten Meers, sind seit 1947 zahlreiche Handschriften gefunden worden. Unter diesen Textfunden sind biblische Bücher in Abschriften und Übersetzungen, Bibelkommentare, jüdische religiöse Schriften, die vorher nur in christlicher Überlieferung bekannt waren, sowie »Sektenschriften«, die Aussagen über die Lebensweise und den Glauben ihrer Verfasser ermöglichen. Der Großteil dieser Textfunde ist mittlerweile als Textausgaben und in Übersetzungen allgemein verfügbar. Ein gravierendes Problem bei ihrer Auswertung ergibt sich jedoch aus ihrem heterogenen Charakter. Die Qumransiedlung existierte von der zweiten Hälfte des zweiten Jahrhunderts v. Chr. bis zu ihrer Zerstörung (68/69). Die bei Qumran gefundenen Schriften repräsentieren eine ebenso große Zeitspanne. Die Texte dürfen deshalb nicht unterschiedslos zur Rekonstruktion eines generellen Charakters und einer einheitlichen Glaubensüberzeugung ihrer Eigentümer herangezogen werden. Terminologische und inhaltliche Ähnlichkeiten bestehen allerdings zwischen der »Sektenregel« (1QS), der »Hymnenrolle« (1QH) und der »Kriegsrolle« (1QM). Alle drei Sektenschriften stammen wohl aus der Zeit der Hasmonäerherrschaft (vgl. Kap. 1, Exkurs: Tempel und Tempelopfer).

      Ein verbreitetes Bild der Qumransiedlung, das sich aus diesen Quellen ergibt, zeigt eine isolationistische priesterliche Gemeinschaft, deren Leben und Frömmigkeit von der Trennung vom Jerusalemer Tempel und dem dort gültigen Kultkalender (vgl. Kap. 3, Feste und Gedenktage im Jahreszyklus, bzw. Die jüdische Zeitrechnung), dem Ideal priesterlicher Reinheit und dem Anspruch, das wahre Gottesvolk der Endzeit zu sein, bestimmt waren. Ihr außergewöhnliches Reinheitsstreben auch im Alltag, ihre endzeitliche Orientierung, ihr dualistisches Weltbild und ihre militante, romfeindliche Mentalität gründeten in einer angespannten eschatologischen Naherwartung. Die Anhänger der wahrscheinlich aus der Jerusalemer Priesterschaft hervorgegangenen Gemeinschaft verstanden sich angesichts des von ihnen in naher Zukunft erwarteten Weltendes und drohenden Gottesgerichts als die »Söhne des Lichts«, als das wahre Israel der Endzeit und die einzigen wahren Bewahrer der priesterlichen Tradition. Ihr apokalyptisches Gerichtsverständnis diente ihnen dazu, ihre Gemeinschaft zu stabilisieren, indem vor allen Dingen die erwartete Bestrafung der »Söhne der Finsternis« – nämlich aller Feinde Gottes – und das Heil für die Gerechten und Auserwählten – nämlich die eigene Gruppe – das Bild ihrer Gerichtserwartung bestimmten.

      Man geht heute mehrheitlich davon aus, dass zwischen der Qumransiedlung und den von Philon von Alexandria (vgl. Kap. 2, Philon von Alexandrien) und Flavius Josephus (vgl. Kap. 2, Flavius Josephus) erwähnten Essenern ein Zusammenhang besteht. Jedoch sprechen auch Gründe gegen eine pauschale Identifikation: In Qumran wurde keine Entsprechung des Namens »Essener« gefunden. Josephus weiß nichts von der dortigen Siedlung. Allein der römische Schriftsteller Plinius der Ältere (ca. 23–79) weist in seiner »Naturgeschichte« auf eine essenische Siedlung am Toten Meer hin. Ein weiteres Problem besteht darin, dass die antiken Essenerberichte diese Gemeinschaft in idealisierender Weise verzeichnen. Was Josephus und Philon beschreiben, deckt sich zwar zum Teil mit den Aussagen der Sektenschriften, ist jedoch über weite Strecken idealisierendes Programm. Das Essenerbild beider Autoren ist geprägt von ihrer Absicht, sie nach den Idealen zeitgenössischer hellenistischer Philosophenschulen als nachahmenswerte jüdische Gemeinschaft von beispielhafter Gesinnung und mit mustergültigem Lebenswandel zu zeichnen. In den letzten Jahren mehren sich zudem die Stimmen derjenigen Wissenschaftler, die aufgrund des archäologischen Befundes bezweifeln, dass die Schriftrollen von Qumran überhaupt einer klar konturierbaren Glaubensgemeinschaft gehörten, die sich mit ihrem Inhalt identifizierte. Sie halten es vielmehr für möglich, dass Jerusalemer Priester sie während des jüdischen Krieges vor den Römern in den unzugänglichen Höhlen am Toten Meer versteckt haben.

      Texte: J. Maier, Die Qumran-Essener: Die Texte vom Toten Meer, 3 Bde., München, Basel 1995f.; Ders., Die Tempelrolle vom Toten Meer und das »Neue Jerusalem«, München, Basel 31997.

      Literatur: J. C. VanderKam, Einführung in die Qumranforschung, Göttingen 1998; U. Dahmen u.a., Qumran – Bibelwissenschaften – Antike Judaistik, Paderborn 2006; Y. Hirschfeld, Qumran – die ganze Wahrheit, Gütersloh 2006.

       Ägypten

      Bereits seit dem 6. Jahrhundert v. Chr. ließen sich jüdische Flüchtlinge und freigelassene Sklaven in Ägypten nieder, so z. B. in Leontopolis, Oxyrrhynchos, Theben, Arsinoë und auch auf der Nilinsel Elephantine, einer Garnison an der Südgrenze des Landes. Der Perserkönig Kambyses II. (gest. 522 v. Chr.) unterwarf diese große jüdische Diasporagemeinde im Jahre 525 v. Chr. der Kontrolle durch das persische Großreich. Die knapp zwei Jahrhunderte später von Alexander dem Großen nach seinem Sieg über den Perserkönig Darius III. (333 v. Chr.) initiierte hellenistische Kolonisation seines Herrschaftsbereichs zog auch viele Juden als Siedler in die von ihm gegründeten Städte im Kernland Ägyptens, insbesondere nach Alexandria. Dabei wurden Privilegien, die ihnen als Religionsgemeinschaft in Judäa zustanden, auch auf die jüdischen Diasporagemeinden übertragen. Seit dem dritten Jahrhundert v. Chr. begünstigte die

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