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»Gehorsamster Diener, Sir«, sagte der Alte. »Hätte schon längst etwas gesagt, Sir, aber ich kenne Ihre Art, Mr. Redlaw. Bin stolz darauf – warte, bis man mich anredet! Fröhliche Weihnachten, Sir, und glückliches Neues Jahr – möge es noch recht, recht oft wiederkehren. Habe selbst eine hübsche Anzahl davon erlebt, ha ha! – und darf mir die Freiheit nehmen, es auch andern zu wünschen. Bin siebenundachtzig!«
»Haben Sie viele erlebt, die fröhlich und glücklich waren?« fragte der andere.
»Ja, Sir, sehr viele«, entgegnete der Alte.
»Hat sein Gedächtnis vom Alter gelitten? Es wäre zu erwarten«, sagte Mr. Redlaw leise zum Sohn gewendet.
»Nicht die Spur, Sir«, erwiderte Mr. William. »Ich sag' es immer, Sir. So ein Gedächtnis, wie mein Vater eins hat, war überhaupt noch nicht da. Er ist der wunderbarste Mensch von der Welt. Er weiß überhaupt nicht, was Vergessen ist. Und das sag' ich auch immer zu Mrs. William, Sir, Sie können's mir glauben.«
In seinem Bestreben, um jeden Preis den Eindruck des Beistimmens zu erwecken, brachte Mr. Swidger diese Rede vor, als sei kein Jota von Widerspruch darin.
Der Chemiker schob den Teller zurück, stand vom Tische auf und ging nach der Tür, wo der Alte stand und einen kleinen Zweig Stechpalme, den er in der Hand hielt, betrachtete.
»Es erinnert Sie an die Zeit, wo viele dieser Jahre alt und neu waren!?« sagte er, indem er ihn aufmerksam betrachtete und ihm auf die Schulter klopfte. »Nicht wahr?«
»O viele, viele!« sagte Philipp, halb erwachend aus seinen Träumen. »Ich bin siebenundachtzig.«
»Fröhliche und glückliche, nicht wahr?« fragte der Chemiker leise. »Fröhliche und glückliche, Alter?«
»Vielleicht so groß, nicht größer«, sagte der Alte, gab mit der Hand die Höhe seines Knies an und blickte den Fragenden mit einer Miene an, die die Erinnerung belebte.
»Vielleicht so groß war ich an dem allerersten, auf das ich mich zu besinnen weiß. Ein kalter, sonniger Tag war's. Ich war spazieren gewesen, da sagte mir jemand – es war meine Mutter, so gewiß Sie jetzt dort stehen, aber ich kann mich nicht mehr darauf besinnen, wie ihr liebes Gesicht aussah, denn sie wurde an diesen Weihnachten krank und starb –, da sagte sie mir, diese Beeren wären Vogelfutter. Der hübsche kleine Kerl – ich nämlich, verstehen Sie wohl –, der dachte damals, daß die Augen der Vögel so glänzten, weil die Beeren, von denen sie im Winter lebten, so glänzend sind. Ich erinnere mich noch ganz genau, und bin doch siebenundachtzig.«
»Fröhlich und glücklich«, sagte der andere vor sich hin und richtete die dunklen Augen auf die gebückte Gestalt mit einem Lächeln voll Mitgefühl. »Fröhlich und glücklich – und besinnen sich noch darauf?«
»Ja, ja, ja«, sagte der alte Mann, die letzten Worte auffangend, »ich erinnere mich noch sehr gut, wie ich zur Schule ging, Jahr für Jahr, und was die schöne Zeit immer für Spaß und Freuden mit sich brachte. Ich war ein kräftiger Bursche damals, Mr. Redlaw, und glauben sie mir, zehn Meilen im Umkreis hatte ich meinesgleichen nicht im Fußballspiel. Wo ist mein Sohn William? – – – Hatte nicht meinesgleichen im Fußballspiel, William, zehn Meilen im Umkreis!«
»Das sag' ich immer, Vater«, entgegnete der Sohn rasch und mit großer Ehrerbietung. »Du bist ein echter Swidger, wie's je einen in der Familie gab.«
»O mein«, sagte der Alte und schüttelte den Kopf und blickte wieder auf die Stechpalme. »Seine Mutter und ich – mein Sohn William ist der jüngste –, wir haben manches Jahr mitten unter ihnen gesessen, den Knaben und Mädchen, den kleinen Kindern und Säuglingen – – manches Jahr, wo die Beeren – solche Beeren hier – nicht halb so glänzten wie ihre blanken Gesichter. Viele von ihnen sind dahin, sie ist dahin, und mein Sohn Georg, unser Ältester, der vor allen andern ihr Stolz war, ist sehr tief gesunken. Ich sehe sie vor mir, wenn ich diesen Zweig ansehe, lebendig und gesund, wie sie in jenen Tagen waren. Und, Gott sei Dank, auch ihn kann ich noch sehen, wie er damals war in seiner Unschuld. Das ist ein Segen für mich bei meinen siebenundachtzig Jahren.«
Der scharfe Blick, der mit so großem Ernst auf ihm geruht, hatte allmählich den Boden gesucht.
»Als sich meine Verhältnisse nach und nach verschlechterten, weil man nicht ehrlich mit mir verfuhr, und ich zuerst hierherkam als Kastellan«, sagte der Alte – »das ist mehr als fünfzig Jahre her – – – wo ist mein Sohn William? – – mehr als ein halbes Jahrhundert, William!«
»Das sag' ich auch immer, Vater«, entgegnete William so rasch und ehrerbietig wie vorhin. »Es stimmt genau. Zwei mal null ist null, und zwei mal fünf ist zehn, macht hundert.«
»Es war ordentlich eine Freude, zu wissen, daß einer unserer Gründer, oder richtiger gesagt«, fuhr der Alte fort und widmete sich mit Feuer dem Gegenstand, anscheinend nicht wenig stolz, daß er so genau darin Bescheid wußte, »einer der gelehrten Herren, die zur Zeit der Königin Elisabeth unser Stift beschenkten – denn wir waren viel früher schon gegründet –, uns in seinem Testament neben andern Schenkungen so viel aussetzte, daß man jede Weihnachten Stechpalme zum Ausschmücken der Wände und Fenster kaufen könne. Es lag darin so etwas Freundliches, Gemütliches. Wir waren damals noch fremd und kamen zur Weihnachtszeit her, aber wir faßten ordentlich eine Liebe zu seinem Bilde, das in dem Saale hängt, der ehemals, bevor unsere zehn armen Herren sich lieber ein jährliches Stipendium in Geld geben ließen, unser großer Speisesaal war. Ein gesetzter Herr mit Spitzbart und Halskrause, und unter dem Bilde mit gotischen Buchstaben: Herr, erhalte mein Gedächtnis jung. Sie kennen es ja, Mr. Redlaw.«
»Ich weiß, daß das Porträt dort hängt, Philipp.«
»Ja, es ist das zweite rechter Hand über dem Eichengetäfel. Ich wollte eben sagen: Er hat mir das Gedächtnis jung erhalten. Ich danke es ihm, denn wenn ich alljährlich so wie heute durch die alten Gemächer gehe und sie auffrische mit diesen Zweigen und Beeren, dann frische ich auch dabei mein altes Gehirn auf. Ein Jahr bringt dann das andere wieder, das andere wieder andere, und dieses ganze Scharen. Zuletzt wird mir, als wäre der Geburtstag unseres Herrn der Geburtstag aller, die ich je geliebt, je betrauert, jemals gerne gehabt hätte. Und das sind ihrer eine hübsche Menge, denn ich bin siebenundachtzig.«
»Fröhlich und glücklich«, murmelte Mr. Redlaw vor sich hin.
Das Zimmer fing an, seltsam dunkel zu werden.
»So sehen Sie, Sir«, sagte der alte Philipp, und seine gesunden alten Wangen nahmen einen rötern Schein an, seine blauen Augen einen hellern Glanz, »ich hab' 'ne Menge zu feiern, wenn ich dieses Fest feiere. Aber wo ist denn meine kleine, stille Maus? Schwatzen ist die Untugend meines Alters, und es ist noch die Hälfte der Zimmer zu schmücken, wenn wir bei der Kälte nicht vorher erfrieren, der Wind uns nicht wegbläst oder die Dunkelheit uns nicht verschlingt.«
Die kleine, stille Maus stand neben ihm mit ihrem ruhigen Gesicht und nahm schweigend seinen Arm, ehe er ausgesprochen hatte.
»Komm und laß uns gehen, mein Liebling«, sagte der alte Mann, »Mr. Redlaw kommt sonst nicht eher zum Essen, als bis es so kalt geworden ist wie der Winter draußen. Ich hoffe, Sie werden mir mein Geschwätz verzeihen, und ich wünsche Ihnen gute Nacht und nochmals eine fröhliche – –«
»Bleiben Sie«, sagte Mr. Redlaw und setzte sich wieder an den Tisch, mehr um den alten Kastellan zu beruhigen, wie es schien, als aus Appetit. »Noch einen Augenblick, Philipp.