Karin Bucha Staffel 6 – Liebesroman. Karin Bucha
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Sie verhält den Schritt und sieht sich nach einer Gelegenheit um, an ein Telefonbuch heranzukommen. In der nächsten Telefonzelle sucht sie eifrig nach der jetzigen Adresse ihres gewesenen Mannes, und als sie sie gefunden hat, prägt sie sich diese gut ein.
Mit einem Taxi läßt sie sich zu seinem neuen Büro fahren. Sie staunt, als sie die wenigen Schritte zum Eingang zurücklegt. Wie er sich abermals emporgearbeitet hat. Keine Achtung empfindet sie, sondern brennenden Neid. Was er beginnt, es gelingt ihm, während sie…
»Ich lasse bitten.« Rudolf Hermanns Stimme klingt ruhig und gelassen wie immer, obgleich ihm die Gewißheit, Stefanie, seine frühere Frau, im Vorzimmer zu wissen, einen rechten Schreck eingejagt hat. Es kann nur mit den Zwillingen zusammenhängen. Dieser Gedanke allein ist es, der ihn zwingt, die Frau zu empfangen, die ihm fremder und gleichgültiger als der Zeitungsverkäufer an der Ecke ist.
Er geht ihr auch nicht entgegen. Er steht abwartend hinter seinem Schreibtisch. Sein prüfender Blick sagt ihm alles. Die Frau vor ihm ist durch irgendein Ereignis völlig aus dem Gleichgewicht geworfen. Alt und verfallen sind die einst so vertrauten Züge. Die Linien um den schmalen Mund hart, und trotzdem liegt noch der Hochmut in den Mundwinkeln.
Nein! Wie eine besorgte, durch irgendein Ereignis erschütterte Mutter sieht sie nicht aus.
»Verzeih«, dringt die Stimme, die ihn einst in ihrer Schrille und Unerbittlichkeit gequält hat, in seine Gedanken ein. »Ich muß dich sprechen, und daß mir der Besuch sehr schwer geworden ist, brauche ich wohl nicht zu betonen.«
»Es muß also etwas Schwerwiegendes sein, was dich zu mir treibt«, antwortet er gespannt, und unter seinem hellen, forschenden Blick wird ihr unbehaglich zumute. »Ich vermute, es ist etwas mit den Zwillingen geschehen.«
Stefanie spürt die Mauer, die seine Zurückhaltung zwischen ihnen errichtet. Sie weiß auch, daß es bei Rudolf keine Umschreibungen gibt, deshalb stößt sie unbeherrscht hervor: »Ich brauche Geld.«
Danach bleibt es still. Eine Stille, die von dem breitschultrigen Mann ausgeht und der ihr so gar nicht entgegenkommt. Deshalb spricht sie hastig weiter. »Der Modesalon Christian wird morgen geschlossen werden müssen, wenn ich nicht neues Kapital hineinstecke. Ich habe schon große Kredite aufgenommen, die ich nicht zurückzahlen in der Lage bin. Nicht einmal mehr für die Zinsen kann ich aufkommen. Du mußt mir helfen, du mußt.« Jetzt flattert helle Verzweiflung in ihrer Stimme. »Es geht um den Namen Hermann.«
Rudolf Hermanns Gedanken eilen blitzschnell zurück. Er könnte jetzt Genugtuung empfinden, denn er hat einmal in der gleichen Situation vor ihr gestanden und hat Hohn und eine bittere Abfuhr erfahren. Aber sein Inneres rührt sich nicht. Nicht einmal Mitleid kann er vor dieser selbstherrlichen Frau empfinden. Aber etwas wie Ekel würgt ihn. Die Frau, die so viel von Stolz gesprochen hat, kennt echten, edlen Stolz überhaupt nicht. Nur Geld ist die Triebfeder, die alle ihre Handlungen bestimmt. Er schämt sich für sie.
Sie macht ein paar hastige Schritte auf ihn zu. »Du scheinst mir nicht zu glauben. Es ist wirklich und wahrhaftig so. Ich bin am Ende, alles habe
ich beliehen, was wertvoll war, alles…«
Rudolfs Augen verengen sich. »Merkwürdig«, hört sie seine tiefe Stimme wie von weither an ihr Ohr dringen. Sie spürt, wie sie der Erschöpfung nahe ist, aber sie reißt sich zusammen, und die unerbittliche Stimme spricht weiter. »Es ist wirklich merkwürdig, jetzt glaube ich dir zum erstenmal jedes Wort. Du sagst mir nichts Neues. Du bestätigst mir nur, was ich vorausgesehen habe. Es tut mir leid, helfen kann ich dir nicht.«
»Du willst nicht?« Ihre Stimme zittert vor Erregung.
»Ich will nicht.« Das klingt so unumstößlich, daß sie ihre Haltung verliert.
»Du mußt aber, es geht um den Namen Hermann«, schreit sie unbeherrscht.
Mit der Hand fegt er durch die Luft. »Du irrst«, sagt er eiskalt. »Es geht nicht um den Namen Hermann, den hast du doch längst abgelegt. Stefanie von Ruevel ist mir völlig gleichgültig.«
Sie lacht hysterisch auf. »Du nimmst grausame Rache an mir.«
»Du irrst. Weder Haß noch Mitleid bestimmen mein Handeln. Ich betone nochmals, Stefanie von Ruevel ist mir gleichgültig.«
»Aber die Kinder.«
Er zögert, sieht von ihrem verzerrten Gesicht hinweg. Irgendwo in der Luft bleibt sein Blick hängen. »Du hast es immer großartig verstanden, mich an einer schwachen Stelle zu packen. Ja, um der Kinder willen möchte ich dir helfen. Aber ich tue es nicht. Die Kinder haben sich seinerzeit für dich entschieden, aus freien Stücken, ohne jeden Zwang. Nun sollen sie beweisen, daß sie anständige Menschen sind und dich in deinen Sorgen nicht allein lassen.«
»Denk an Christiane…«
Er unterbricht sie hastig. »Glaubst du wirklich, ich wüßte nicht, was mit den Kindern los ist?« Er lächelt sie an, es ist ein leicht amüsiertes Lächeln, und es treibt ihr die Röte ins Gesicht. »Mir ist nichts verborgen geblieben. Nicht, daß Christian ganz dein Sohn geworden ist, hemmungslos, verschwenderisch und faul. Und Christiane –?« Er stockt, das Lächeln vertieft sich. »Ja, auf Christiane kommt es jetzt an.«
»So hilf mir doch um Christianes willen«, bohrt sie. Sie hat sofort begriffen, wo sie einzuhaken hat.
»Gerade deshalb nicht«, kommt seine Antwort, und sie starrt ihn aus brennenden Augen verständnislos an. Sie sieht den hart geschlossenen Mund und den unbeugsamen Willen, der in seinen Zügen liegt.
Mutlos läßt sie die Arme seitwärts sinken. Auf einmal kommt ihr das Beschämende und der Grund ihres Besuches zum Bewußtsein. Wohin ist ihr Stolz gekommen? Wie konnte sie sich dermaßen erniedrigen? Plötzlich vermag sie ähnliche Gedanken von der Stirn dieses Mannes zu lesen, und sie schlägt die Hände vor das Gesicht und bricht in trockenes Schluchzen aus.
Es rührt ihn nicht. Immer war es ihr letztes Hilfsmittel. Doch sie verschwendet es umsonst. Er hat indessen längst gelernt, echte Tränen vom Komödienspiel zu unterscheiden.
Er drückt auf einen Knopf der Apparatur neben dem Telefon, und als das Mädchen aus dem Vorzimmer erscheint, bittet er gelassen: »Bringen Sie der gnädigen Frau ein Glas Wasser.«
Stefanies Kopf ruckt empor. Sie hat wirklich Tränen vergossen – bemerkt er – und sie haben eine verheerende Wirkung auf dem verfallenen Gesicht angerichtet.
»Bitte!« Stefanie möchte die Hand, die ihr das Wasserglas reicht, am liebsten von sich stoßen. Aber sie greift danach, nimmt einen winzigen Schluck, und als sie das Schließen der Tür vernimmt, geht sie rasch auf Rudolf Hermann zu.
»Diese Stunde vergesse ich dir nie, nie«, zischt sie voll maßlosem Zorn. »Dafür werde ich dich ewig hassen.«
Er verneigt sich spöttisch. »Vielleicht wirst du mir noch einmal dankbar dafür sein.«
Sie lacht grell auf, nestelt mit bebenden Fingern an ihrer Tasche, zaubert Spiegel und Puderdose hervor und beginnt mit fahrigen spürt seine spöttischen Augen auf sich ruhen, und das raubt ihr den letzten Rest von Fassung.
»Ich hasse dich – ich habe dich immer gehaßt«, würgt sie hervor, und dann fegt sie aus dem Zimmer, hinterläßt eine Wolke starken Parfüms, und ihr grelles, unnatürliches, boshaftes Lachen scheint noch im Raum zu tönen.
Schwerfällig