Karin Bucha Staffel 6 – Liebesroman. Karin Bucha
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Beifall rauscht auf. Er dringt bis in die Garderobe, wo Christiane, fix und fertig angekleidet, die Hände vor Erregung zusammengepreßt, auf ihren Auftritt wartet.
Und dann ertönt das Klingelzeichen. Sie erhebt sich, macht ein paar Schritte, spürt, wie die Kraft wieder in die Beine kommt, und eilt auf die Bühne.
Wie ein lebendig gewordenes Märchen steht sie im immer wechselnden Licht der Scheinwerfer. Ihr dunkelglänzendes Haar ist zu einer reichen Lockenfrisur aufgesteckt, läßt den schön geformten Kopf voll zur Geltung kommen. Die samtenen Augen scheinen noch einmal so groß. Leuchtend, geheimnisvoll funkelnd schweifen sie über die Zuschauer.
Langsam, graziös, trägt sie das große Abendkleid über den Laufsteg. Eine Komposition in weiß und leuchtendem Rot.
Ein einziges »Ah« und »Oh« geht durch den Saal. Christiane spürt die Welle der Begeisterung, die ihr entgegenschlägt, und sie möchte vor Glück weinen.
»Traum in rot und weiß«, stellt der Ansager die Robe vor. »Getragen von Christiane Hermann.«
Anmutig neigt Christiane sich nach allen Seiten. Sie geht auf und ab, und das Händeklatschen will nicht aufhören. Sie muß die Stufen hinabsteigen und sich durch den breiten Gang bewegen.
Sie tut es mit so viel natürlichem Charme, daß ihr die Herzen der Anwesenden wie im Sturm zufliegen.
Plötzlich stockt ihr Fuß. Ganz nahe ist sie an einen Tisch herangekommen. Ihr Lächeln, das soeben noch ihre Lippen umschwebte und das Cornelia galt, die sie neben einem Mann mit Charakterkopf entdeckte, verschwindet. Ihr Antlitz überzieht sich mit tiefer Blässe.
»Papa!« murmelt sie. Rudolf Hermann hat sich erhoben. Er ist selbst bis ins Herz hinein erregt. Seine Jüngste, dieses schöne, anmutige Geschöpf, die ihm wohl von allen Kindern die meiste Bewunderung abgerungen hat, steht vor ihm.
»Papa!« Und dann hängt sie an seinem Halse, unbekümmert der aufhorchenden Menschen. Aus ihrem glücklichen Lächeln ist ein glückseliges Schluchzen geworden und als sie den festen Arm des Vaters spürt, scheint sie alle Kraft zu verlassen. Langsam gleitet sie in eine grundlose Tiefe.
Erregte Rufe. Zuschauer springen von ihren Plätzen, das Orchester spielt die einschmeichelnde Melodie weiter.
Rudolf Hermann trägt seine jüngste Tochter den Weg über den breiten Gang, über den Laufsteg und über die Bühne. In der Garderobe legt er sie auf die Couch.
Die Mädchen stehen verängstigt und verstummt an die Wand gedrückt.
Was ist mit Christiane?
Diese schlägt die Augen auf, große dunkelglänzende Augen, sieht den Vater vor sich und schmiegt sich wie ein Kind, das endlich heimgefunden hat, in seinen Arm.
»Christiane, mein liebes, liebes Mädel!« flüstert er und küßt sie auf beide Wangen. Die Mädchen verschwinden, als Cornelia am Arm ihres Verlobten eintritt, gefolgt von Magda.
»Das ist meine Schwester Christiane«, sagt Cornelia stolz, und Stefan Rietberg, tiefbewegt nimmt Christianes kleine fleißige Hand auf und drückt seine Lippen darauf. Und weil er in keine wehmütige Stimmung geraten will, versteckt er sich hinter einem Scherz.
»Hallo, Christiane, kleine Schwägerin«, trompetet er fröhlich. »Wenn ich Cornelia nicht so liebte, ich glaube, ich würde dich deinem Vater heute entführt haben.«
Unter Tränen blickt Christiane von einem zum anderen. Sie läßt ihren Blick auf Magda ruhen und hat sofort verstanden. Merkwürdig. Es tut ihr nicht weh, wenn sie an die arme kranke Mama denkt.
Jeder muß im Leben seine Rechnungen begleichen. Mama muß es auch – denkt sie und dann überläßt sie sich den Glückwünschen ihrer Familie.
Aber den Vater läßt sie nicht los. »Papa, ich bin so glücklich wie nie zuvor in meinem Leben. Endlich konnte ich einmal beweisen, daß ich etwas zu leisten vermag.«
Hermann schließt sie innig in seine Arme. Über Christianes Kopf hinweg sucht er Cornelia.
»Weißt du auch, daß wir alles Cornelia verdanken? Alles, was aus uns geworden ist. Mit ihrem Mut damals und ihrer Aufmunterung. Niemals darf es zu spät sein!«
Später, als die Modenschau längst zu Ende ist, die hellen Lichter in dem weiten eleganten Saal ausgelöscht sind und Cornelia mit Tränen in den Augen der Familie mitgeteilt hat, daß dieser Abend ein mehr als glänzender Erfolg gewesen sei, daß die Bestellungen den Modesalon auf Monate hinaus beschäftigen werden, da saß die Familie im vorderen Gastzimmer um einen Rundtisch gemütlich zusammen.
Groß war die Freude, als plötzlich Lothar in der Tür stand.
Strahlend vor Gesundheit trat er näher. Nichts erinnerte mehr an den blassen, vom Schicksal geschlagenen jungen Mann. Er kann seine Glieder wieder voll gebrauchen. Er hat unter der Leitung seines Vaters arbeiten gelernt, und er liebt seine Arbeit, so wie er früher das Nichtstun geliebt hat. Er hat den Segen der Arbeit gespürt, die den Menschen innerlich frei macht, ihm Selbstbewußtsein und Sicherheit gibt.
Er nimmt die junge Schwester einfach in die Arme und küßt sie herzhaft ab.
»Ich komme mir vor wie ein Präsent, das man zum Anstaunen herumreicht«, lacht sie und sie tätschelt dem Bruder die Wangen. »Wie herrlich, Lothar, daß du wieder ganz gesund bist. Nun werden wir uns niemals wieder aus den Augen verlieren, nicht wahr?«
»Ganz gewiß nicht, Kleines«, stimmt Lothar ihr ernsthaft zu. »Wir sind durch eine harte Schule gegangen, jeder auf seine Art, und wir haben daraus gelernt, mit dem Leben fertig zu werden.«
Spät in der Nacht trennen sie sich. Lothar bringt zuerst Christiane im Wagen seines Vaters heim. Vor dem hohen, schmiedeeisernen Tor hält er.
»Du mußt um die Ecke fahren«, erklärt Christiane ihm. Sie ist todmüde und muß aufpassen, daß ihr die Augen nicht zufallen.
»Wieso das denn?« erkundigt er sich.
»Wir wohnen jetzt im Gärtnerhaus, Lothar«, berichtet sie ihm schläfrig. »Aber das erzähle ich dir morgen, falls du es doch über dich bringst, Mama einen Besuch zu machen.«
»Ihr wohnt –?« Ruckartig dreht er ihr den Kopf zu. »Und die Villa?«
»Vermietet, Lothar«, spricht sie ohne eine Spur von Bitterkeit. »Erstens, wir haben die Miete sehr nötig. Zweitens, was sollen wir mit dem Riesenhaus? Dazu gehört eine Menge Personal, und das können wir uns nicht leisten.«
Lothar streicht sacht über Christianes Arm. »Sehr vernünftig, Kleines«, lobt er, gibt ihr einen schallenden Kuß auf die Wange und schiebt sie aus dem Wagen. »Nun marsch ins Bett, sonst schläfst du mir hier ein.«
Er wartet, bis ihr leichter Schritt verhallt ist, dann wendet er und kehrt den Weg zurück. –
Stefan Rietberg bringt Cornelia heim. »Es war ein großartiger Erfolg«, sagt er. Er lenkt mit der Linken den Wagen langsam ohne Eile. Die Rechte hat er um Cornelia gelegt.
»Ich bin so glücklich«, sagt sie leise und lehnt sich fester an seine Seite.
»Wirklich?« Er steuert den Wagen an den Straßenrand. »Restlos glücklich?«