Im Sonnenwinkel Staffel 4 – Familienroman. Patricia Vandenberg

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Im Sonnenwinkel Staffel 4 – Familienroman - Patricia Vandenberg Im Sonnenwinkel Staffel

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style="font-size:15px;">      Wenn nun jemand käme und Dagmar ahnungslos und arglos die Tür öffnete? Wenn es nun Ursula wäre, die die Gelegenheit nützte … Nein, sie durfte gar nicht daran denken, dass Ursula ihr Töchterchen einfach mitnehmen könnte. Sie geriet in Panik und wartete nicht mehr ab, bis die Haube sich ausschaltete.

      Sie kroch darunter hervor und zerrte die Lockenwickler aus den Haaren.

      Erschrocken wollte die Friseuse sie daran hindern. Aber Melanie schob sie zur Seite, sprang auf, band sich ihr Halstuch um den Kopf und lief zur Tür.

      »Ich habe so ein scheußliches Gefühl«, rief sie noch, und dann lief sie zum Taxistand.

      Mit bebenden Händen schloss sie die Tür auf, als sie daheim angelangt war.

      »Dagmar, Liebling!«, rief sie laut. Es kam keine Antwort.

      Sie stolperte die Treppe empor, schlug sich das Knie an, aber sie achtete nicht darauf.

      Sie spürte den Schmerz auch nicht, und sie merkte nicht, dass Blut an ihrem Bein herunterkam, als sie das Kinderzimmer leer fand.

      »Dagmar!«, rief sie verzweifelt, um dann, halb ohnmächtig vor Angst, die Treppe wieder hinunterzuhasten, und ihren Mann anzurufen.

      Sie besaßen das größte Möbelgeschäft im Ort. Ihr Mann hatte das Tischlerhandwerk gelernt und sich heraufgearbeitet. Jetzt waren sie vermögende Geschäftsleute, aber im Augenblick war Melanie nichts anderes als eine hilflose, verängstigte Frau.

      »Herr Siemon hat Kunden«, sagte ihr der Verkäufer.

      »Ich muss ihn sprechen«, flüsterte Melanie mit versagender Stimme. »Es ist dringend! Es geht um Leben und Tod!«

      Alfred Siemon zog die Augenbrauen empor, als der Verkäufer ihm diese Nachricht zuraunte.

      Melanie dreht durch, dachte er unwillig, sie wird hysterisch. Aber er entschuldigte sich bei den Käufern und ging zum Telefon.

      Er begriff nicht, was sie sagte. Fassungslos hielt er den Hörer ans Ohr und vernahm das Schluchzen seiner Frau.

      »Sie kann doch nicht fort sein«, sagte er heiser. »Vielleicht ist sie bei Nachbarn. Schau doch erst mal nach. Wieso war sie eigentlich allein zu Haus?«

      Aber das konnte Melanie ihm nicht erklären. Ihre Stimme erstickte in haltlosem Wimmern.

      Er versprach ihr, gleich zu kommen. Du lieber Gott, auch das noch, dachte er, verwies seine Kunden jedoch schon an einen Mitarbeiter.

      *

      Ursula saß am Bett des kleinen Maxi Raimund. Er blickte noch trübe in den Tag, aber sonst ging es ihm den Umständen entsprechend schon ganz gut.

      Er war ein hübscher Junge. Schmächtig, mit einem kleinen, feinen Gesicht, großen, langbewimperten dunklen Augen und rotblondem Haar.

      »Ich weiß gar nicht, was passiert ist. Sagst du es mir, Schwester? Wie heißt du? Dich kenne ich noch gar nicht«, sprudelte es über seine trockenen, rissigen Lippen, die Ursula nun behutsam mit Kamillentee abtupfte.

      »Dein Blinddarm hat sich entzündet«, erzählte sie.

      »Hab’ ich gar nicht gemerkt. Papi hat sich wohl wieder schrecklich aufgeregt. Armer Papi. Er hat aber auch nichts wie Sorgen mit mir.«

      Es klang rührend. Mit weicher Hand strich ihm Ursula die Haare aus der Stirn.

      »Er wird nachmittags kommen und sich freuen, dass es dir wieder bessergeht«, erklärte sie liebevoll. Es war ein gutes Gefühl für sie, ein mutterloses Kind umsorgen zu können.

      »Fein. Aber jetzt sagst du mir, wie du heißt, gell?«

      »Ursula«, erwiderte sie.

      »Gefällt mir sehr gut«, versicherte Maxi. »Du hast so weiche Hände, das mag ich. Du redest auch nicht so laut wie Schwester Selma. Ich war schon mal hier. Da hatte ich ein Bonbon verschluckt. Das war noch viel schlimmer als der Blinddarm.«

      »Du darfst nicht so viel sprechen, Maxi, sonst tut der Bauch auch weh.«

      »Erzählst du mir was vom Blinddarm?«, fragte er.

      Wie sollte man das einem Sechsjährigen erklären? Ursula überlegte, und sie hatte dabei ein eigentümliches Gefühl. Sie war Mutter und wusste doch noch nicht, wie man mit Kindern, die wissbegierig waren, sprach.

      »Den Blinddarm braucht man eigentlich gar nicht, wenn man schon vier Jahre alt ist«, erklärte sie.

      »Und warum hat man ihn dann?«

      »Er ist eben da, und manche Menschen haben ihn ein ganzes Leben. Aber manchmal entzündet er sich, und dann muss er herausoperiert werden.«

      »Warum entzündet er sich, und warum muss er denn gleich raus?«

      »Schwester Ursula, bitte kommen!«, schallte es aus der Sprechanlage.

      Sie war ganz froh, denn sie wusste wirklich nicht weiter. Aber Maxi war enttäuscht, dass sie nicht bei ihm bleiben konnte.

      »Kommst du nachher wieder?«, fragte er.

      »Ja, gewiss. Schlaf jetzt ein bisschen. Sonst schimpft der Doktor, dass wir zu viel erzählen.«

      Sie traf Dr. Fernand auf dem Gang.

      »Ein Neueingang«, sagte er. »Herr Großmann hat ein kleines Mädchen angefahren. Entkleiden Sie das Kind bitte vorsichtig.«

      Sie kannte Herrn Großmann nicht, aber unwillkürlich war er ihr unsympathisch, weil er ein kleines Mädchen angefahren hatte.

      Sie kannte ja die Schuldfrage nicht, und sie wusste nicht, dass es ihre Tochter war.

      Rote Funken begannen vor ihren Augen zu tanzen, als sie in das schmutzige Gesichtchen blickte.

      »Dagmar«, stöhnte sie auf, »mein Kind!«

      Dr. Fernand und Gottfried Großmann standen wie erstarrt.

      »Setzen Sie sich, Schwester Ursula«, sagte Dr. Fernand dann beruhigend. »Ich rufe Schwester Selma.«

      »Nein«, entgegnete Ursula und straffte sich. »Es ist mein Kind. Ich bleibe hier. Wie ist das passiert?«

      Stockend erzählte es Gottfried Großmann. Er war jetzt noch deprimierter.

      »Das verstehe ich nicht. Melanie …«

      Ursula unterbrach sich, weil sie sich erinnerte, dass hier niemand etwas von ihrem Kind wusste. Und sie konnte auch gegen Melanie keine Vorwürfe vorbringen.

      Mit bebenden Händen entkleidete sie den schmalen kleinen Körper.

      Außer ein paar Abschürfungen war nichts zu sehen, aber Dagmar war noch immer ohne Bewusstsein.

      »Du kannst mich nicht so strafen, lieber Gott«, flüsterte sie.

      Dr. Fernand, der es hörte, dachte für sich,

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