Japanische Märchen. Anonym
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Aber! o Schmerz! — Als er an die Stelle kam, da seine Hütte gestanden, da war sie nicht mehr vorhanden. Ein öder, wüster, mit Unkraut überwucherter Schutthaufen war der Platz seiner Geburt. Keine Spur von seinem Vater, seiner Frau, seinen Kindern, nichts von allem, was ihm lieb und teuer war, war zu sehen. Schmerzerfüllt sank er weinend zu Boden, während in einiger Entfernung die Leute und Kinder ihn umringten. Da trat aus der Menge ein gebeugter Greis hervor und näherte sich Urashima mit der Frage:
„Wer seid ihr Fremdling und wen suchet ihr hier? Was erfüllt eure Seele mit Kummer und Schmerz?“
„Mein Alter“, antwortete Urashima mit schmerzbebender Stimme leise, „vor sieben Tagen verließ ich das Haus, das an dieser Stätte stand und kehrte nun zurück, finde aber nur einen Schutthaufen, ich sehe fremde Leute, fremde Gestalten und auch euch kenne ich nicht, sah euch noch nie in diesem Dorfe, sagt, was ist hier in den sieben Tagen geschehen? Wo sind mein Vater, mein Weib, meine Kinder, die ich hier zurückließ? O bitte, löst mir dieses Rätsel, reißt die Binde von meinen Augen, daß ich sehen kann!“
„Ich verstehe euch nicht, junger Mann!“ entgegnete der Greis, „diese Stätte ist ein Trümmerhaufen, solange ich denken kann. Ich kenne euch nicht; wer seid ihr? Wie ist euer Name?“
„Ich bin Urashima Taro, der Fischer!“ rief Urashima.
„Urashima Taro? — —“ rief der Greis voller Erstaunen und wich schreckerfüllt einige Schritte zurück. „Seid ihr ein Gespenst? — ein Schattenbild? — Urashima Taro könnt ihr nicht sein! Es geht hier die Sage und ich erinnere mich aus meiner Jugendzeit, da von diesem noch oft an dunkeln Abenden erzählt wurde, dieser junge Fischer ging vor nun 700 Jahren eines Morgens aufs Meer und kehrte nicht mehr zurück. Die Gräber seiner Angehörigen könnt ihr auf dem Friedhofe noch heute sehen, allerdings zerfallen, verwittert!“ —
Urashima erblaßte, „siebenhundert Jahre?“ rief er verzweifelt aus und rang die Hände. Jetzt wurde ihm alles klar. Jetzt verstand er alles! Sieben Tage im Palaste der Königin waren sieben Jahrhunderte. Tiefe Traurigkeit bemächtigte sich seiner, er erzählte dem Alten mit stockender Stimme sein Lebensschicksal, dann erhob er sich und verließ schwankenden Schrittes wie ein Träumender das Haus; er wandte sich wieder dem Meere zu und ließ sich dort am Strande nieder, seine Lage bedenkend.
Tiefsinnig betrachtete er die rollenden Wogen, die unermeßliche Fläche und schaute verlangend nach der Schildkröte aus, daß sie ihn wieder zurückführe in das ewig jugendliche Reich der Meereskönigin; er dachte aber in seiner Traurigkeit nicht daran, sie zu rufen und so sah er vergeblich nach dem Tiere aus.
Dann fiel sein Blick auf das Kästchen, das ihm die Königin beim Abschiede gegeben hatte und das er gedankenlos neben sich auf den Sand gelegt hatte.
„Was bedeutet dieses Kästchen?“ fragte er sich. Die schöne Königin hat zwar gesagt, es sei mein Leben darin und ich werde es verlieren, wenn ich das Kästchen öffne. Ist dieses Gebot aber vielleicht nur eine Probe? Enthält das Kästchen nicht vielmehr mein Glück? Ist alles, was ich heute erlebte, nur eine Täuschung und schwindet diese, wenn ich das Kästchen öffne? Und selbst wenn ich sterben sollte, was schadet es? Bin ich jetzt nicht ein Fremdling in meiner Heimat und habe niemanden, niemanden, der mich liebt, der mich kennt? Ohne Vater, ohne Familie, ohne Bekannte, ohne Freunde bin ich schlimmer daran als ein Heimatloser; da ist mir der Tod nur ein Gewinn, er bietet mir etwas Besseres, als dieses unglückselige Leben! So sprechend, löste er langsam die Schnur, die um das Kästchen geschlungen war und öffnete ein wenig den Deckel.
Da stieg ein kleines weißes Wölkchen aus dem Kästchen empor, breitete sich dann aus, erhob sich und schwebte langsam über das Meer der Richtung zu, wo sich der Palast der Meereskönigin befand.
Laut aufschreiend sprang Urashima empor und breitete sehnsüchtig die Arme aus, aber — ein jäher heftiger Schmerz durchzuckte seinen Körper und er ließ die Arme sinken, da blickte er auf seine Hand und ein eisiger Schauer befiel ihn, die Hand, soeben noch so frisch und rosig, war welk, runzlig und knochig wie die eines Greises; nun fühlte er auch wie sein Blut erstarrte, wie es träger durch seine Adern floß, die Haut zog sich in Falten, der Herzschlag stockte, noch einmal schaute er ins Wasser, da spiegelte sich ihm ein verrunzeltes graues Greisenantlitz mit spärlich weißem Haar entgegen, sein eigenes Antlitz, vor Minuten noch in Jugendfrische, jetzt mumienhaft verändert. Mit einem Wehelaut sank er zu Boden und ein Häuflein grauen Staubes bezeichnete die Stätte, da Urashima jugendfrisch zurückgekehrt in wenigen Minuten zu Staub wurde.4
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