Parerga und Paralipomena. Arthur Schopenhauer
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Читать онлайн книгу Parerga und Paralipomena - Arthur Schopenhauer страница 33
Da dieses Alles nicht nur a priori demonstrabel ist, sondern sogar die tägliche Erfahrung uns deutlich lehrt, daß Jeder seinen moralischen Charakter schon fertig mit auf die Welt bringt und ihm bis ans Ende unwandelbar treu bleibt, und da ferner diese Wahrheit im realen, praktischen Leben stillschweigend, aber sicher, vorausgesetzt wird, indem Jeder sein Zutrauen, oder Mißtrauen, zu einem Andern den ein Mal an den Tag gelegten Charakterzügen desselben gemäß auf immer feststellt, so könnte man sich wundern, wie doch nur, seit beiläufig 1600 Jahren, das Gegentheil theoretisch behauptet und demnach gelehrt wird, alle Menschen seien, in moralischer Hinsicht, ursprünglich ganz gleich, und die große Verschiedenheit ihres Handelns entspringe nicht aus ursprünglicher, angeborner Verschiedenheit der Anlage und des Charakters, eben so wenig aber aus den eintretenden Umständen und Anlässen, sondern eigentlich aus gar nichts, welches Garnichts sodann den Namen freier Wille erhält. – Allein diese absurde Lehre wird nothwendig gemacht durch eine andere, ebenfalls rein theoretische Annahme, mit der sie genau zusammenhängt, nämlich durch diese, daß die Geburt des Menschen der absolute Anfang seines Daseyns sei, indem derselbe aus nichts geschaffen (ein terminus ad hoc) werde. Wenn nun, unter dieser Voraussetzung, das Leben noch eine moralische Bedeutung und Tendenz behalten soll; so muß diese freilich erst im Laufe desselben ihren Ursprung finden, und zwar aus nichts, wie dieser ganze so gedachte Mensch aus nichts ist: denn jede Beziehung auf eine vorhergängige Bedingung, ein früheres Daseyn, oder eine außerzeitliche That, auf dergleichen doch die unermeßliche, ursprüngliche und angeborne Verschiedenheit der moralischen Charaktere deutlich zurückweist, bleibt hier, ein für alle Mal, ausgeschlossen. Daher also die absurde Fiktion eines freien Willens. – Die Wahrheiten stehn bekanntlich alle im Zusammenhange; aber auch die Irrthümer machen einander nöthig, – wie eine Lüge eine zweite erfordert, oder wie zwei Karten, gegen einander gestemmt, sich wechselseitig stützen, – so lange nichts sie beide umstößt.
3) Nicht viel besser, als mit der Willensfreiheit, steht es, unter Annahme des Theismus, mit unsrer Fortdauer nach dem Tode. Was von einem Andern geschaffen ist hat einen Anfang seines Daseyns gehabt. Daß nun dasselbe, nachdem es doch eine unendliche Zeit gar nicht gewesen, von nun an in alle Ewigkeit fortdauern solle, ist eine über die Maaßen kühne Annahme. Bin ich allererst bei meiner Geburt aus Nichts geworden und geschaffen; so ist die höchste Wahrscheinlichkeit vorhanden, daß ich im Tode wieder zu nichts werde. Unendliche Dauer a parte post und Nichts a parte ante geht nicht zusammen. Nur was selbst ursprünglich, ewig, ungeschaffen ist, kann unzerstörbar seyn. (S. Aristoteles de coelo, I, 12. 282, a, 25 fg. und Priestley, on matter and spirit, Birmingham 1782, Vol. I. p. 234.) Allenfalls können daher Die im Tode verzagen, welche glauben, vor 30 oder 60 Jahren ein reines Nichts gewesen und aus diesem sodann als das Werk eines Andern hervorgegangen zu seyn; da sie jetzt die schwere Aufgabe haben, anzunehmen, daß ein so entstandenes Daseyn, seines späten, erst nach Ablauf einer unendlichen Zeit eingetretenen Anfangs ungeachtet, doch von endloser Dauer seyn werde. Hingegen wie sollte Der den Tod fürchten, der sich als das ursprüngliche und ewige Wesen, die Quelle alles Daseyns selbst, erkennt, und weiß, daß außer ihm eigentlich nichts existirt, der mit dem Spruche des heiligen Upanischads hae omnes creaturae in totum ego sum, et praeter me aliud ens non est im Munde, oder doch im Herzen, sein individuelles Daseyn endigt. Also nur er kann, bei konsequentem Denken, ruhig sterben. Denn, wie gesagt, Aseität ist die Bedingung, wie der Zurechnungsfähigkeit, so auch der Unsterblichkeit. Diesem entsprechend ist in Indien die Verachtung des Todes und die vollkommenste Gelassenheit, selbst Freudigkeit im Sterben recht eigentlich zu Hause. Das Judenthum hingegen, welches ursprünglich die einzige und alleinige rein monotheistische, einen wirklichen Gott-Schöpfer Himmels und der Erden lehrende Religion ist, hat, mit vollkommener Konsequenz, keine Unsterblichkeitslehre, also auch keine Vergeltung nach dem Tode, sondern bloß zeitliche Strafen und Belohnungen, wodurch es sich ebenfalls von allen andern Religionen, wenn auch nicht zu seinem Vortheil, unterscheidet. Die dem Judenthum entsprossenen zwei Religionen sind, indem sie, aus besseren, ihnen anderweitig bekannt gewordenen Glaubenslehren die Unsterblichkeit hinzunahmen und doch den Gott-Schöpfer beibehielten hierin eigentlich inkonsequent geworden.19
Daß, wie eben gesagt,