Parerga und Paralipomena. Arthur Schopenhauer
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Jedoch sollen hier keineswegs, als über ein inauditum nefas, die Götter angerufen werden: ist doch dies Alles nur eine Scene des Schauspiels, welches wir zu allen Zeiten, in allen Künsten und Wissenschaften, vor Augen haben, nämlich den alten Kampf Derer, die für die Sache leben, mit Denen, die von ihr leben, oder Derer, die es sind, mit Denen, die es vorstellen. Den Einen ist sie der Zweck, zu welchem ihr Leben das bloße Mittel ist, den Andern das Mittel, ja die lästige Bedingung zum Leben, zum Wohlseyn, zum Genuß, zum Familienglück, als in welchen allein ihr wahrer Ernst liegt; weil hier die Gränze ihrer Wirkungssphäre von der Natur gezogen ist. Wer dies exemplificirt sehn und näher kennen lernen will, studire Litterargeschichte und lese die Biographien großer Meister in jeder Art und Kunst. Da wird er sehn, daß es zu allen Zeiten so gewesen ist, und begreifen, daß es auch so bleiben wird. In der Vergangenheit erkennt es Jeder; fast Keiner in der Gegenwart. Die glänzenden Blätter der Litterargeschichte sind, beinahe durchgängig, zugleich die tragischen. In allen Fächern bringen sie uns vor Augen, wie, in der Regel, das Verdienst hat warten müssen, bis die Narren ausgenarrt hatten, das Gelag zu Ende und Alles zu Bette gegangen war: dann erhob es sich, wie ein Gespenst aus tiefer Nacht, um seinen, ihm vorenthaltenen Ehrenplatz doch endlich noch als Schatten einzunehmen.
Wir inzwischen haben es hier allein mit der Philosophie und ihren Vertretern zu thun. Da finden wir nun zunächst, daß von jeher sehr wenige Philosophen Professoren der Philosophie gewesen sind, und verhältnißmäßig noch wenigere Professoren der Philosophie Philosophen; daher man sagen könnte, daß, wie die idioelektrischen Körper keine Leiter der Elektricität sind, so die Philosophen keine Professoren der Philosophie. In der That steht dem Selbstdenker diese Bestellung beinahe mehr im Wege, als jede andere. Denn das philosophische Katheder ist gewissermaaßen ein öffentlicher Beichtstuhl, wo man coram populo sein Glaubensbekenntniß ablegt. Sodann ist der wirklichen Erlangung gründlicher, oder gar tiefer Einsichten, also dem wahren Weisewerden, fast nichts so hinderlich, wie der beständige Zwang, weise zu scheinen, das Auskramen vorgeblicher Erkenntnisse, vor den lernbegierigen Schülern, und das Antwortbereit-haben auf alle ersinnliche Fragen. Das Schlimmste aber ist, daß einen Mann in solcher Lage, bei jedem Gedanken, der etwan noch in ihm aufsteigt, schon die Sorge beschleicht, wie solcher zu den Absichten hoher Vorgesetzter passen würde: Dies paralysirt sein Denken so sehr, daß schon die Gedanken selbst nicht mehr aufzusteigen wagen. Der Wahrheit ist die Atmosphäre der Freiheit unentbehrlich. Ueber die exceptio, quae firmat regulam, daß Kant ein Professor gewesen, habe ich schon oben das Nöthige erwähnt, und füge nur hinzu, daß auch Kants Philosophie eine großartigere, entschiedenere, reinere und schönere geworden seyn würde, wenn er nicht jene Professur bekleidet hätte; obwohl er, sehr weise, den Philosophen möglichst vom Professor gesondert hielt, indem er seine eigene Lehre nicht auf dem Katheder vortrug. (Siehe Rosenkranz, Geschichte der Kantischen Philosophie, S. 148.)
Sehe ich nun aber auf die, in dem halben Jahrhundert, welches seit Kants Wirksamkeit verstrichen ist, auftretenden, angeblichen Philosophen zurück; so erblicke ich leider keinen, dem ich nachrühmen könnte, sein wahrer und ganzer Ernst sei die Erforschung der Wahrheit gewesen: vielmehr finde ich sie alle, wenn auch nicht immer mit deutlichem Bewußtseyn, auf den bloßen Schein der Sache, auf Effektmachen, Imponiren, ja, Mystificiren bedacht und eifrig bemüht, den Beifall der Vorgesetzten und nächstdem der Studenten zu erlangen; wobei der letzte Zweck immer bleibt, den Ertrag der Sache, mit Weib und Kind, behaglich zu verschmausen. So ist es aber auch eigentlich der menschlichen Natur gemäß, welche, wie jede thierische Natur, als unmittelbare Zwecke nur Essen, Trinken und Pflege der Brut kennt, dazu aber, als ihre besondere Apanage, nur noch die Sucht zu glänzen und zu scheinen erhalten hat. Hingegen ist zu wirklichen und ächten Leistungen in der Philosophie, wie in der Poesie und den schönen Künsten, die erste Bedingung ein ganz abnormer Hang, der, gegen die Regel der menschlichen Natur, an die Stelle des subjektiven Strebens nach dem Wohl der eigenen Person, ein völlig objektives, auf eine der Person fremde Leistung gerichtetes Streben setzt und eben dieserhalb sehr treffend excentrisch genannt, mitunter wohl auch als Donquichottisch verspottet wird. Aber schon Aristoteles hat es gesagt: ου χρη δε, κατα τους παραινουντας, ανθρωπινα φρονειν ανθρωπον οντα, ουδε θνητα τον θνητον, αλλ΄, εφ΄ όσον ενδεχεται, αθανατιξειν, και παντα ποιειν προς το ζην κατα το κρατιστον των εν αύτω. (neque vero nos oportet humana sapere ac sentire, ut quidam monent, quum simus homines; neque mortalia, quum mortales; sed nos ipsos, quoad ejus fieri potest, a mortalitate vindicare, atque omnia facere, ut ei nostri parti, quae in nobis est optima, convenienter vivamus). (Eth. Nic. X, 7.) Eine solche Geistesrichtung ist allerdings eine höchst seltene Anomalie, deren Früchte jedoch, eben deswegen, im Laufe der Zeit, der ganzen Menschheit zu Gute kommen; da sie glücklicherweise von der Gattung sind, die sich aufbewahren läßt. Näher: man kann die Denker eintheilen in solche, die für sich selbst, und solche, die für Andere denken: diese sind die Regel, jene die Ausnahme. Erstere sind demnach Selbstdenker im zwiefachen, und Egoisten im edelsten Sinne des Worts: sie allein sind es, von denen die Welt Belehrung empfängt. Denn nur das Licht, welches Einer sich selber angezündet hat, leuchtet nachmals auch Andern; so daß von Dem, was Seneka in moralischer Hinsicht behauptet, alteri vivas oportet, si vis tibi vivere (ep. 48), in intellektualer das Umgekehrte gilt: tibi cogites oportet, si omnibus cogitasse volueris. Dies aber ist gerade die seltene, durch keinen Vorsatz und guten Willen zu erzwingende Anomalie, ohne welche jedoch, in der Philosophie, kein wirklicher Fortschritt möglich ist. Denn für Andere, oder überhaupt für mittelbare Zwecke, geräth nimmermehr ein Kopf in die höchste, dazu eben erforderte, Anspannung, als welche gerade das Vergessen seiner selbst und aller Zwecke verlangt; sondern da bleibt es beim Schein und Vorgeben der Sache. Da werden zwar allenfalls einige vorgefundene Begriffe auf mancherlei Weise kombinirt und so gleichsam ein Kartenhäuserbau damit vorgenommen: aber nichts Neues und Aechtes kommt dadurch in die Welt. Nun nehme man noch hinzu, daß Leute, denen das eigene Wohl der wahre Zweck, das Denken nur Mittel dazu ist, stets die temporären Bedürfnisse und Neigungen der Zeitgenossen, die Absichten der Befehlenden u. dgl. m. im Auge behalten müssen. Dabei läßt sich nicht nach der Wahrheit zielen, die, selbst bei redlich auf sie gerichtetem Blicke, unendlich schwer zu treffen ist.
Ueberhaupt aber, wie sollte der, welcher für sich, nebst Weib und Kind, ein redliches Auskommen sucht, zugleich sich der Wahrheit weihen? der Wahrheit, die zu allen Zeiten ein gefährlicher Begleiter, ein überall unwillkommener Gast gewesen ist, – die vermuthlich auch deshalb nackt dargestellt wird, weil sie nichts mitbringt, nichts auszuteilen hat, sondern nur ihrer selbst wegen gesucht seyn will. Zwei so verschiedenen Herren, wie der Welt und der Wahrheit, die nichts, als den Anfangsbuchstaben, gemein haben, lässt sich zugleich nicht dienen: das Unternehmen führt zur Heuchelei, zur Augendienerei, zur Achselträgerei. Da kann es geschehn, daß aus einem Priester der Wahrheit ein Verfechter des Truges wird, der eifrig lehrt was er selbst nicht glaubt, dabei der vertrauensvollen Jugend die Zeit und den Kopf verdirbt, auch wohl gar, mit Verleugnung alles litterarischen Gewissens, zum Präkonen einflußreicher Pfuscher, z. B. frömmelnder Strohköpfe, sich hergiebt; oder auch, daß er, weil vom Staat und zu Staatszwecken besoldet, nun den Staat zu apotheosiren, ihn zum Gipfelpunkt alles