Abessinien, das Alpenland unter den Tropen und seine Grenzländer. Andree Richard
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Somit kann der Weinstock, obgleich er den Namen für diese Region hergab, keineswegs als Charakterpflanze für die Woina-Deka gelten. Statt seiner übernimmt diese Rolle eine Menge anderer Gewächse, die an Zahl, Ueppigkeit und Reichthum der Entfaltung selbst jene der Kola übertreffen. Dahin gehört zunächst der Wanzabaum (Cordia abessinica), der das beliebteste Bauholz liefert. Der Wanza wird ein großer, starker Baum, dessen Stamm oft vier Fuß im Durchmesser erreicht. Seine Früchte stehen in Büscheln und nehmen zur Zeit der Reife eine hochgelbe durchsichtige Farbe an. Der Geschmack derselben ist sehr süß und oft sind sie die einzige Nahrung der Armen, wenn Hungersnoth eintritt.
Der Kuaraf (Gunnera spec.), eine Artocarpee, gewinnt während der Fastenzeit an Bedeutung, weil dann die geschälten Blattrippen, die ähnlich unserm Sauerampher schmecken, gegessen werden. Er wächst in Sümpfen und an Bächen, ist eine jährige Pflanze, die aus einer perennirenden Wurzel entspringt und einen laublosen Stengel mit einem Büschel kleiner Blüten trägt. Auch die häufig bis zu fünf Fuß hoch werdende Nessel wird in der Fastenzeit als Gemüse verspeist. An diese Pflanzen schließen sich an die reich vertretenen Polygonum-Arten, ein Ampher (Rumex arifolius), dessen fleischige Wurzel zum Rothfärben der Butter benutzt wird. Als eine Nutzpflanze dieser Region muß hier ein uns allen bekanntes Gewächs besonders hervorgehoben werden.
Nach der Tradition sollen die südabessinischen Landschaften Enarea und Kaffa die Urheimat des Kaffees sein, wie denn auch der Name desselben mit dem letztgenannten Distrikte sicher in Zusammenhang steht. In Schoa war der Anbau und Genuß des Kaffees untersagt, weil er das Lieblingsgetränk der Muhamedaner ist, und auch in Amhara trinken die Christen denselben in der Regel nicht, wenn er auch bei Korata (Kiratza) am Tanasee gebaut wird und dort auf basaltischem Boden und gewissermaßen ohne Pflege gedeiht. Allein dort ist er fast nur Handelswaare. In Kaffa und Enarea dagegen wächst er wie Unkraut weit und breit im Lande, dessen Bewohner ihn als Lieblingsgetränk betrachten und fast nur einen nominellen Preis für ihn zahlen; nur dem Mangel an Verbindungswegen ist es zuzuschreiben, daß er von dort aus nicht ganz Europa überschwemmt und alle übrigen Sorten dort durch Güte und Billigkeit [pg 58]vom Markte verdrängt. Der kurz vor der Regenzeit gepflanzte Samen erscheint bald als Setzling über der Erde, wird verpflanzt, bewässert und mit Schafmist gedüngt, um nach sechs Jahren als erwachsenes Bäumchen während der Monate März und April dreißig bis vierzig Pfund Kaffee zu liefern. Namentlich auf zersetztem vulkanischen Gestein, in geschützten Thallagen gedeiht der acht bis zehn Fuß hohe, mit dunkelglänzendem Laube und fruchtbeladenen Zweigen versehene Baum vortrefflich. Die dunkelgrünen Beeren werden zur Reifezeit roth und umschließen mit milchweißem Fleische die Samen. Nachdem sie geschüttelt und gesammelt sind, werden sie in der Sonne getrocknet, worauf der Wind das Geschäft des Reinigens von den dürren Schalen übernimmt, das gewöhnlich im Laufe eines Monats vollendet ist. Diejenigen Samen jedoch, welche zur Fortpflanzung dienen sollen, behalten ihre Schale. Theuer wird das Produkt nur durch den weiten Transport, die schlechte Beschaffenheit und Unsicherheit der Straßen, die nach dem Meere führen, und durch die Abgaben, welche an alle kleinen Häuptlinge im Danakillande gezahlt werden müssen, ehe die Karawane die Seehäfen Zeyla oder Tadschurra erreicht. Was den Geschmack des südabessinischen Kaffees anbelangt, so versichern Kenner, daß er dem feinsten arabischen, selbst dem edlen Mocha, noch vorzuziehen sei. Aber so wie die Lage Abessiniens jetzt ist und namentlich wegen der Unsicherheit der Karawanenstraßen ist so leicht nicht daran zu denken, daß Kaffa-Kaffee die arabischen, ostasiatischen und amerikanischen Produkte auf unsern Märkten verdrängen wird.
Die Lilien, welche weite Gebirgswiesen mit einem lieblichen Blütenschmuck überziehen, gelten als vorzügliche Charakterpflanzen Abessiniens. Aber nur die eßbaren Arten werden kultivirt, da Ziergärten den Eingeborenen ein unbekanntes Ding sind. Während die Spargelarten und die Aloë trockene, wüste Stellen aufsuchen, erfreuen auf sumpfigen Wiesen Commelina africana und Tradescentia das Auge, deren „Vogeleier“ genannte Knollen von den Abessiniern gegessen werden. An sie schließen sich Ixia-, Haemanthus-, Amaryllis- und Gloriosa-Arten an. Mit saftigen, hellgrünen Blättern und schöngestalteten Blütenähren leuchtet aus den grünen Wiesen Obitus abessinica hervor, während unter den Spargeln der kletternde Asparagus retrofractus Erwähnung verdient, dessen in das Haar des Vorderhauptes gesteckte Zweige anzeigen, daß der Träger ein wildes Thier erfolgreich bekämpft hat.
Orchideen giebt es nur wenige in Abessinien; ihr hauptsächlichster Vertreter ist das auf der Rinde des wilden Oelbaums schmarotzende Epidendrum capense. Aus der Gruppe der Pisange sind die gemeine Banane (Musa paradisica) und die kultivirte Ensete, sowie zwei Urania-Arten zu erwähnen, aus deren Fasern Seile und Matten bereitet werden. Die Palmen haben in Abessinien keinen Boden; sie kommen nur in den Küstenlandschaften des Danakil und Adal vor und auch dort in keineswegs besonderer Ausdehnung. Vertreter dieser Familie sind namentlich die Dattel-, Dum- und Fächerpalme.
Obitus abessinica. Nach Lejean.
Die Teich- oder Seerosen sind spärlich vertreten; ebenso die Aristolochien, von denen A. bracteata gegen die Wunden vergifteter Pfeile angewandt wird. [pg 59]Reichlich auftretend bilden die Nadelhölzer den Stolz der abessinischen Wälder; in den nördlichen Hochlanden gedeiht die Cederfichte, während weiter landeinwärts schöne Ded- oder Wachholderbäume (Juniperus excelsa) die Kirchen und Friedhöfe mit ihren düstern, aber hochaufstrebenden Kronen beschatten. Kaum einem Gotteshaus im ganzen Lande fehlt der Schmuck dieser bis zu 100 Fuß hohen Bäume, deren Stamm am Fußende vier bis fünf Schuh im Durchmesser erreicht. Fast in der Form einer Pyramide wachsend, wirft dieser Baum stets die unteren Aeste ab, die im rechten Winkel vom Stamme [pg 60]ausgehen, sodaß etwa zwei Drittel desselben des grünen Schmuckes beraubt sind; die Krone ist immer pyramidenförmig, wenn auch nie dicht. Das Holz, wenn auch keineswegs gut und dauerhaft, wird doch zu Balken bei Kirchenbauten und in Ermangelung anderer Holzarten als Brennholz gebraucht. Das Harz wird nicht benutzt; mit den Zweigen schmückt man jedoch die Leichen, bevor sie in die Gruft gesenkt werden.
Die niedrige, in den Hochgebirgslandschaften herrschende Temperatur verhindert keineswegs die kräftige Entwicklung der Feigenarten, die in ihrem ganzen Habitus den strengsten Gegensatz zu den Nadelhölzern bilden. Der Schoala, eine Art von Banyane mit breiten, eiförmigen, zugespitzten und gesägten Blättern, mit Fruchttrauben, die nur am Stamme und den Hauptästen sitzen, erreicht oft einen Durchmesser von sieben Fuß, bei einer Höhe von 40 Fuß. Seine Wurzeln ragen über den Boden empor; doch fehlen ihm alle Zweigwurzeln. Da er bei seiner Ausdehnung keinen geringen Raum einnimmt, steht er gewöhnlich allein oder am Rande der Wälder, in seinem tiefen Schatten alle andern Gewächse erdrückend. Die braunen, taubeneigroßen Früchte werden vom Volke in Zeiten der Noth gegessen.
Unter den polypetalen Gymnoblasten, in welchen das Pflanzenreich in Gestalt und Farbe den höchsten Grad seiner Vollkommenheit erreicht hat, fehlen gerade einige der wichtigsten Familien in der abessinischen Flora. Aepfel, Birnen, Mandeln – überhaupt die Pomaceen und Amygdaleen sind so schwach vertreten, daß man in der That einen höchst auffallenden Mangel an Fruchtbäumen, wilden und kultivirten, dort empfindet. Die Berberitze liefert gelben Farbstoff zu Trauerkleidern; das Hirtentäschchen (Thlaspi bursa pastoris), dieses kosmopolitische Unkraut, folgt der Agrikultur in Abessinien so gut wie in Europa; der schwarze Senf wächst wild und dient als Zusatz zu