Abessinien, das Alpenland unter den Tropen und seine Grenzländer. Andree Richard
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Während der schwarze Pfeffer, die unentbehrliche Zuthat zu allen abessinischen Speisen, eingeführt und theuer bezahlt wird, kultivirt man den allerdings botanisch ihm fernstehenden rothen Pfeffer (Capsicum frutescens) in den Tieflanden sehr sorgfältig. Von den übrigen Solaneen wird der Tabak eingeführt; vom Umboistrauch (Solanum marginatum) benutzt man die Samen, um damit die Fische zu betäuben, welche nichtsdestoweniger eßbar bleiben; der rothe Saft einer Tollkirsche (Atropa arborea) dient zum Färben der Nägel bei den abessinischen Damen, und die narkotischen Eigenschaften des Stechapfels (Datura [pg 61]Strammonium) sind den Zauberern und Diebsentdeckern wohlbekannt, da sie durch Verbrennen des Laubes die Leute betäuben. Gefährlich für kleine Thiere ist eine giftige Asclepiadee (Kannahia laniflora), die an den Ufern der meisten abessinischen Gewässer vorkommt, nur mit dem Unterschiede, daß sie, je nach den verschiedenen Distrikten, in ganz entgegengesetzter Jahreszeit blüht. In den Küstenthälern unfern Massaua findet die Entwicklungsperiode ihrer vortrefflich duftenden Blume im Mai statt; bei Gondar dagegen blüht die Pflanze im Oktober. Merkwürdig ist die tödtlich-betäubende Eigenschaft, welche ihr verführerischer Geruch oder süßer Nektarsaft auf verschiedene Insekten ausübt; denn nur ihm kann man es zuschreiben, daß in dem Kelche der meisten Blüten sich todte Wespen, Käfer u. s. w. finden.
Durch zahlreiche Repräsentanten sind die Familien der Kontorten, Rubiaceen und Ligustrineen vertreten. Am hervorragendsten sind eine Aasblume (Stapelia pulvinata) und Calotropis gigantea. Die erstere hat einen fleischigen, viereckigen und zwei Fuß hohen Stengel, dem man, wenn er seine Blüten entfaltet, wegen des üblen Geruches jedoch nicht zu nahen vermag; die letztere liefert gute Kohle zu Schießpulver.
Die Deka nimmt ihrer Ausdehnung nach den größten Theil Abessiniens ein. Sie reicht von 7500 Fuß bis zur Vegetationsgrenze bei 13,000 Fuß. Bis zu 12,000 Fuß Höhe gedeihen noch mehrere Getreidearten und bis 11,000 Fuß findet man den Kussobaum (Brayera anthelmintica), der als Wahrzeichen des Landes gelten kann. Wegen der Schönheit seines Wuchses und seiner Brauchbarkeit wird er allgemein geschätzt; denn infolge des rohen Fleischgenusses sind die Abessinier sehr stark von Eingeweidewürmern (Taenia und Strongilus) geplagt, gegen welche sie sich regelmäßig und zwar meist allmonatlich einer Abkochung der Kussoblüten bedienen. Drei Loth der getrockneten Blüten mit Wasser gekocht und getrunken, reinigen den Körper auf eine merkwürdig schnelle und sichere Weise von den gefräßigen Schmarotzern; indessen ist die dadurch bewirkte Befreiung nur eine vorübergehende und keine Heilung des Uebels. Der Kussobaum erreicht eine Höhe von fünfzig bis sechzig Fuß und verleiht mit seinen weitausgedehnten und dichtbelaubten Zweigen dem Wanderer kühlen Schatten; jedoch soll es gefährlich sein, zur Blütezeit unter ihm zu schlafen; so berichtet wenigstens Isenberg.
In Schoa wird unter Kusso die Hagenia abessinica verstanden, die gleichfalls wurmtreibend wirkt. Als eine abessinische Charakterpflanze verdient die stachelige Kugeldistel (Echinops horridus), die bis zu zehn Fuß Höhe erreicht, hervorgehoben zu werden. Es ist eine stattliche Staude mit straff aufstehenden Stengeln, dornig gezähnten Blättern und runden Blütenköpfen, aus denen Dornen hervorragen. Neben ihr finden wir eine andere nicht minder auffällige Art, die riesige Kugeldistel (Echinops giganteus), deren kopfgroße Blüten auf 15 Fuß hohem Stengel stehen; beide Arten steigen bis zu 13,000 Fuß an.
Wir sind nun allmälig hinaufgelangt in die höchsten Regionen der Deka. Die Hochbäume erscheinen immer spärlicher und finden sich vorzüglich noch längs [pg 62]den Ufern der Wildbäche und Schluchten, die dornigen Akazien und Pterolobien sind verschwunden. Vor uns liegen Alpenmatten mit tausenden von kleinen, schön blühenden Alpenpflanzen bedeckt, unter denen sich blaublühende Salbeiarten besonders auszeichnen. Daneben stehen Senecionen und der fiebervertreibende Celastrus obscurus, die Primula semiensis. Ueber diesen erheben sich Sträucher, besonders Hypericum und Cytisus. Den europäischen Eindruck, welchen diese Pflanzen etwa hervorbringen können, vertreiben die baumartigen Eriken oder Zachdi (Erica arborea), die bis zu 30 Fuß heranwachsen und einen 1½ Fuß im Durchmesser haltenden Stamm besitzen, dessen Holz eine vorzügliche Schmiedekohle liefert, während die reiche weiße Blütenfülle den süßesten Honigseim den Bienen darbietet. Jetzt aber entwickelt sich vor unsern erstaunten Blicken in der Höhe von 12,000 Fuß ein neues, überraschendes Bild, eine Pflanze tritt auf, die für den Charakter ihres Bereichs bestimmend ist, die Dschibarra (Rhynchopetalum montanum). Diese Lobeliacee überrascht den Wanderer in den kalten Hochgebirgen an der äußersten Grenze der Vegetation mit einer dort gewiß von ihm nicht gesuchten Form: nämlich der der Palme. Auf einem hohlen, etwa acht bis zehn Fuß hohen benarbten und armdicken Markstengel mit einer Krone von großen, überhängenden, lanzettförmigen Blättern erhebt sich eine fünf Fuß lange Blütenähre, deren einzelne bläuliche Knospen der Blüte des Löwenmauls ähneln. Für Feuerung oder sonstigen technischen Gebrauch untauglich, dient der lange hohle Markstengel der Jugend zur Anfertigung von Schalmeien. Sobald die Dschibarra abgeblüht hat, knickt der Stengel um und die Pflanze stirbt. Auf ihren Blütenschossen wiegt sich paarweise die einzige Glanzdrossel (Oligomydrus tenuirostris), die in diesen Gegenden lebt und die feinen Dschibarrasamen allen übrigen vorzuziehen scheint. Drei bis vier Stunden Marsch führen uns aus dem tropischen Walde auf diese mit Dschibarra bewachsenen Alpenflächen, über denen nur noch wenige kahle Felsgipfel auf etwa 1000 Fuß relative Höhe in die Wolken ragen; drunten haust die flüchtige Gazelle, Meerkatzen necken sich in den Hochbäumen; hier aber setzt kühn der Springbock (Oreotragus saltatrix) über die Felsen, grast friedlich der Steinbock (Ibex Walia) und warnt durch einen gellenden Ruf seine Herde vor der herannahenden Gefahr; Alpenkrähen umschwärmen geschwätzig und in rauschendem Fluge die höchsten Felsen und drüber schwebt in weiten Kreisen der König der Alpen, der Lämmergeier. Auch die gefleckte Hyäne steigt bis in diese Höhen, seltener der Leopard und ein Fuchs (Canis semiensis), der ausschließlich von den äußerst zahlreich hier hausenden Ratten und Mäusen lebt. Auch Tauben (Columba albitorques) schwärmen in großen Flügen in diesen höchsten abessinischen Alpengegenden umher.
Die Fauna Abessiniens. Fast noch reicheren Stoff als die Pflanzenwelt bietet dem Beobachter die Thierwelt Abessiniens dar. Nicht genügend erforscht sind die niederen Thierklassen, unter denen auch wenige Mitglieder ein allgemeines Interesse in Anspruch nehmen. Von der Plage der Eingeweidewürmer und ihrer Vertreibung durch Kusso war bereits die Rede; die höher [pg 63]stehenden Insekten treten im Hochlande nur in der wärmeren Jahreszeit in großen Mengen auf, werden aber durch die kalten Regen wieder in die tiefer liegenden Gegenden getrieben. Die Heuschrecken, amharisch Anbasa, richten oft großen Schaden an, wie in den andern Nilländern auch.
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