Hamburgische Dramaturgie. Gotthold Ephraim Lessing

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Hamburgische Dramaturgie - Gotthold Ephraim Lessing

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der in England persoenlichen Umgang mit Addison gehabt hatte, zog das Lustspiel desselben ueber einen noch franzoesischern Leisten. Wir spielen es nach seiner Umarbeitung; in der wirklich vieles feiner und natuerlicher, aber auch manches kalter und kraftloser geworden. Wenn ich mich indes nicht irre, so hat Madame Gottsched, von der sich die deutsche Uebersetzung herschreibt, das englische Original mit zur Hand genommen und manchen guten Einfall wieder daraus hergestellet.

      Den neunzehnten Abend (montags, den 18. Mai) ward "Der verheiratete

       Philosoph", vom Destouches, wiederholt.

      Des Regnard "Demokrit" war dasjenige Stueck, welches den zwanzigsten Abend (dienstags, den 19. Mai) gespielet wurde.

      Dieses Lustspiel wimmelt von Fehlern und Ungereimtheiten, und doch gefaellt es. Der Kenner lacht dabei so herzlich, als der Unwissendste aus dem Poebel. Was folgt hieraus? Dass die Schoenheiten, die es hat, wahre allgemeine Schoenheiten sein muessen, und die Fehler vielleicht nur willkuerliche Regeln betreffen, ueber die man sich leichter hinaussetzen kann, als es die Kunstrichter Wort haben wollen. Er hat keine Einheit des Orts beobachtet: mag er doch. Er hat alles Uebliche aus den Augen gesetzt: immerhin. Sein Demokrit sieht dem wahren Demokrit in keinem Stuecke aehnlich; sein Athen ist ein ganz anders Athen, als wir kennen: nun wohl, so streiche man Demokrit und Athen aus und setze bloss erdichtete Namen dafuer. Regnard hat es gewiss so gut als ein anderer gewusst, dass um Athen keine Wueste und keine Tiger und Baere waren; dass es, zu der Zeit des Demokrits, keinen Koenig hatte usw. Aber er hat das alles itzt nicht wissen wollen; seine Absicht war, die Sitten seines Landes unter fremden Namen zu schildern. Diese Schilderung ist das Hauptwerk des komischen Dichters, und nicht die historische Wahrheit.

      Andere Fehler moechten schwerer zu entschuldigen sein; der Mangel des Interesse, die kahle Verwickelung, die Menge muessiger Personen, das abgeschmackte Geschwaetz des Demokrits, nicht deswegen nur abgeschmackt, weil es der Idee widerspricht, die wir von dem Demokrit haben, sondern weil es Unsinn in jedes andern Munde sein wuerde, der Dichter moechte ihn genannt haben, wie er wolle. Aber was uebersieht man nicht bei der guten Laune, in die uns Strabo und Thaler setzen? Der Charakter des Strabo ist gleichwohl schwer zu bestimmen; man weiss nicht, was man aus ihm machen soll; er aendert seinen Ton gegen jeden, mit dem er spricht; bald ist er ein feiner witziger Spoetter, bald ein plumper Spassmacher, bald ein zaertlicher Schulfuchs, bald ein unverschaemter Stutzer. Seine Erkennung mit der Kleanthis ist ungemein komisch, aber unnatuerlich. Die Art, mit der Mademoiselle Beauval und La Thorilliere diese Szenen zuerst spielten, hat sich von einem Akteur zum andern, von einer Aktrice zur andern fortgepflanzt. Es sind die unanstaendigsten Grimassen, aber da sie durch die Ueberlieferung bei Franzosen und Deutschen geheiliget sind, so koemmt es niemanden ein, etwas daran zu aendern, und ich will mich wohl hueten, zu sagen, dass man sie eigentlich kaum in dem niedrigsten Possenspiele dulden sollte. Der beste, drolligste und ausgefuehrteste Charakter ist der Charakter des Thalers; ein wahrer Bauer, schalkisch und geradezu; voller boshafter Schnurren; und der, von der poetischen Seite betrachtet, nichts weniger als episodisch, sondern zur Aufloesung des Knoten ebenso schicklich als unentbehrlich ist.[1]

      ——Fussnote

      [1] "Histoire du Theatre Francais", T. XIV. p. 164.

      ——Fussnote

      Achtzehntes Stueck

       Den 30. Junius 1767

      Den einundzwanzigsten Abend (mittewochs, den 20. Mai) wurde das Lustspiel des Marivaux "Die falschen Vertraulichkeiten" aufgefuehrt.

      Marivaux hat fast ein ganzes halbes Jahrhundert fuer die Theater in Paris gearbeitet; sein erstes Stueck ist vom Jahre 1712, und sein Tod erfolgte 1763, in einem Alter von zweiundsiebzig. Die Zahl seiner Lustspiele belaeuft sich auf einige dreissig, wovon mehr als zwei Dritteile den Harlekin haben, weil er sie fuer die italienische Buehne verfertigte. Unter diese gehoeren auch "Die falschen Vertraulichkeiten", die 1736 zuerst, ohne besonderen Beifall, gespielet, zwei Jahre darauf aber wieder hervorgesucht wurden, und desto groessern erhielten.

      Seine Stuecke, so reich sie auch an mannigfaltigen Charakteren und Verwicklungen sind, sehen sich einander dennoch sehr aehnlich. In allen der naemliche schimmernde und oefters allzu gesuchte Witz; in allen die naemliche metaphysische Zergliederung der Leidenschaften; in allen die naemliche blumenreiche, neologische Sprache. Seine Plane sind nur von einem sehr geringen Umfange; aber, als ein wahrer Kallipides seiner Kunst, weiss er den engen Bezirk derselben mit einer Menge so kleiner und doch so merklich abgesetzter Schritte zu durchlaufen, dass wir am Ende einen noch so weiten Weg mit ihm zurueckgelegt zu haben glauben.

      Seitdem die Neuberin, sub auspiciis Sr. Magnifizenz des Herrn Prof. Gottscheds, den Harlekin oeffentlich von ihrem Theater verbannte, haben alle deutsche Buehnen, denen daran gelegen war, regelmaessig zu heissen, dieser Verbannung beizutreten geschienen. Ich sage, geschienen; denn im Grunde hatten sie nur das bunte Jaeckchen und den Namen abgeschafft, aber den Narren behalten. Die Neuberin selbst spielte eine Menge Stuecke, in welchen Harlekin die Hauptperson war. Aber Harlekin hiess bei ihr Haenschen, und war ganz weiss, anstatt scheckicht gekleidet. Wahrlich, ein grosser Triumph fuer den guten Geschmack!

      Auch "Die falschen Vertraulichkeiten" haben einen Harlekin, der in der deutschen Uebersetzung zu einem Peter geworden. Die Neuberin ist tot, Gottsched ist auch tot: ich daechte, wir zoegen ihm das Jaeckchen wieder an.—Im Ernste; wenn er unter fremdem Namen zu dulden ist, warum nicht auch unter seinem? "Er ist ein auslaendisches Geschoepf", sagt man. Was tut das? Ich wollte, dass alle Narren unter uns Auslaender waeren! "Er traegt sich, wie sich kein Mensch unter uns traegt":—so braucht er nicht erst lange zu sagen, wer er ist. "Es ist widersinnig, das naemliche Individuum alle Tage in einem andern Stuecke erscheinen zu sehen." Man muss ihn als kein Individuum, sondern als eine ganze Gattung betrachten; es ist nicht Harlekin, der heute im "Timon", morgen im "Falken", uebermorgen in den "Falschen Vertraulichkeiten", wie ein wahrer Hans in allen Gassen, vorkoemmt; sondern es sind Harlekine; die Gattung leidet tausend Varietaeten; der im "Timon" ist nicht der im "Falken"; jener lebte in Griechenland, dieser in Frankreich; nur weil ihr Charakter einerlei Hauptzuege hat, hat man ihnen einerlei Namen gelassen. Warum wollen wir ekler, in unsere Vergnuegungen waehliger und gegen kahle Vernuenfteleien nachgebender sein, als—ich will nicht sagen, die Franzosen und Italiener sind—sondern, als selbst die Roemer und Griechen waren? War ihr Parasit etwas anders, als der Harlekin? Hatte er nicht auch seine eigene, besondere Tracht, in der er in einem Stuecke ueber dem andern vorkam? Hatten die Griechen nicht ein eigenes Drama, in das jederzeit Satyri eingeflochten werden mussten, sie mochten sich nun in die Geschichte des Stuecks schicken oder nicht?

      Harlekin hat, vor einigen Jahren, seine Sache vor dem Richterstuhle der wahren Kritik, mit ebenso vieler Laune als Gruendlichkeit, verteidiget. Ich empfehle die Abhandlung des Herrn Moeser ueber das Groteske-Komische allen meinen Lesern, die sie noch nicht kennen; die sie kennen, deren Stimme habe ich schon. Es wird darin beilaeufig von einem gewissen Schriftsteller gesagt, dass er Einsicht genug besitze, dermaleins der Lobredner des Harlekins zu werden. Itzt ist er es geworden! wird man denken. Aber nein; er ist es immer gewesen. Den Einwurf, den ihm Herr Moeser wider den Harlekin in den Mund legt, kann er sich nie gemacht, ja nicht einmal gedacht zu haben erinnern.

      Ausser dem Harlekin koemmt in den "Falschen Vertraulichkeiten" noch ein anderer Bedienter vor, der die ganze Intrige fuehret. Beide wurden sehr wohl gespielt; und unser Theater hat ueberhaupt an den Herren Hensel und Merschy ein paar Akteurs, die man zu den Bedientenrollen kaum besser verlangen kann.

      Den zweiundzwanzigsten Abend (donnerstags, den 21. Mai) ward die

       "Zelmire" des Herrn Du Belloy aufgefuehret.

      Der Name Du Belloy kann niemanden unbekannt sein, der in der neuern franzoesischen Literatur nicht ganz ein Fremdling ist. Des Verfassers der "Belagerung von Calais"! Wenn es dieses Stueck nicht verdiente, dass die Franzosen ein solches Laermen damit machten, so gereicht doch dieses Laermen

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