Erich Mühsam: Verse eines Kämpfers (151 Gedichte in einem Band). Erich Muhsam

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Erich Mühsam: Verse eines Kämpfers (151 Gedichte in einem Band) - Erich  Muhsam

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Liebt euch! Seid Freunde, Brüder! Haltet Frieden!

       Seid gut und widerstehet der Gewalt! – –

       Der Sterbende hat an die Bahnstation

       die ganze Menschheit vor sein Bett beschieden,

       65

      befiehlt ihr, Gottes Odem einzusaugen.

       Er atmet auf. Ein Todeshauch weht kalt

       um Herz und Stirne, – und der Menschensohn

       erkennt den Gott und seufzt und schließt die Augen.

       Sein Herzschlag hat sich dem der Welt vereint. –

       70

      Die Liebe ist verwaist. – Die Menschheit weint.

      Kain

       Inhaltsverzeichnis

      1911

      Eure geballten Fäuste schrecken mich nicht,

       noch eure strengen, satzunggebundenen Ruten.

       Ihr – ich erkenn’ es – seid die Gerechten und Guten,

       und nur euch strahlt lächelnd das Sonnenlicht.

       5

      Speit mich an! Verachtet mich! Werft mich mit Steinen!

       Zeigt euern Kindern mein häßliches Gottesmal!

       Lehrt sie, daß ich ihn erschlug, den vortrefflichen Abel,

       meinen Bruder, erkeimt an dem nämlichen Nabel!

       Lehrt sie mich hassen, um meine Niedrigkeit greinen!

       10

      Heißt sie Gott fürchten und seinen Rachestrahl! . . .

      Ach, wie war er so fromm, so zufrieden und brav!

       Betend kniet’ er inbrünstig vor Gottes Altar,

       dankend des Herrn allumfangender Güte.

       Aber ich, ein Zweifelnder ganz und gar,

       15

      sah, wie der Blitz in ragende Bäume traf,

       sah junges Leben zerknicken in hoffender Blüte,

       wanderte einsam und sann allem Werden nach. –

       Und ich sah, wie der Bruder Reiser vom Strauche brach,

       junge grünende Reiser vom sprießenden Strauch;

       20

      wie er sie zärtlich zum Scheiterhauf schichtete,

       wie er ein unschuldig Lamm zur Opferstatt trug,

       sah, wie aus Steinen ein Funk in das Reisigwerk schlug.

       Auf zum Himmel stieg säulengrade der Rauch,

       rot von der Glut, die zitternd die Erde belichtete.

       25

      Gräßlich hört’ ich des Lamms Blöken und Angstgeschrei. –

       Abel, mein Bruder, sang freudige Lieder dabei.

       „Sieh, wie mein Opfer gefällt!“ rief er mir zu.

      „Aufrecht lodert die Flamme zum Himmel. Sieh!

       Siehe den Lohn! Dem Herrn sei ewiger Dank!

       30

      Sieh meine fetten Weiden, mein munteres Vieh! –

       Deine Früchte sind welk, deine Lämmer krank.

       Spende dem Schöpfer! Kain, opfre auch du!“ – –

       Da sah ich Abels Feld üppig in Ähren stehn

       und seine Herde lustig im Grünen weiden.

       35

      Aber mein Acker war kahl und trocken und steinigt.

       Dürsten sah ich mein Vieh und Entbehrung leiden.

       Kann es – so dacht ich – durch Gottes Ratschluß geschehn,

       daß sich der Boden entsteint, daß das Wasser sich reinigt,

       40

      soll meines Feuers Rauch gleichfalls zum Himmel steigen.

       Kann Gott Gnaden verleihen, mag er sie zeigen! –

       Und ich sammelte mürbes Holz von der Erde,

       weil ich den lebenden Zweigen nicht wehtun wollte;

       45

      und dann wählt ich aus meiner armseligen Herde

       ein vom Leben zerbrochenes krankes Rind,

       daß es der Schöpfer als Opfer empfangen sollte.

       Schlafend lag es und träg. So stach ich es nieder,

       trug’s zum Altar und entflammte die trockenen Scheite.

       50

      Aber in meiner Kehle stockten die Lieder. –

       Knisternd bog sich das Holz. Da erhob sich ein Wind,

       fauchte mit boshaftem Zischen hinein in den Qualm.

       Unförmig wälzte der dicke Rauch sich zur Seite

       und erstickt meines Ackerlands dürftigen Halm. –

       55

      Abel, mein Bruder, stand nahe und sah mich knien,

       sah, wie mein glühendes Auge im Zorn sich weitete,

       weil das Opfer, das ich dem Herrn bereitete,

       nicht wie seines hinauf in den Äther drang,

       sah den schlängelnden Rauch sich kriechend verziehn.

       60

      „Kain," rief er, „mir ist um deine Seele bang.

       Bessere Opfer mußt du dem Gotte bringen!

      

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