Metaphysik. Aristoteles
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II. Teil.
Grundlegung
1. Wesen und Aufgabe der Grundwissenschaft
Es gibt eine Wissenschaft, die das Seiende als Seiendes und die demselben an und für sich zukommenden Bestimmungen betrachtet. Sie fällt mit keiner der sogenannten Spezialwissenschaften zusammen. Denn keine der letzteren handelt allgemein vom Seienden als solchem; sie sondern vielmehr ein bestimmtes Gebiet aus und betrachten dasjenige, was dem diesem Gebiet angehörenden Gegenstande zukommt. So macht es z.B. die Mathematik. Da wir nun die obersten Prinzipien und Gründe suchen, so sind diese offenbar als Gründe einer an und für sich bestehenden Wesenheit zu denken. Wenn nun diejenigen, die die Elemente dessen was ist erforscht haben, gleichfalls diese Prinzipien gesucht haben, so ergibt sich mit Notwendigkeit, daß auch die Elemente, die sie meinten, Elemente sind des Seienden nicht als dessen was an anderem ist, sondern was schlechthin ist, und daß deshalb auch wir die obersten Gründe des Seienden rein sofern es ist ins Auge zu fassen haben.
Vom Seienden spricht man in mehrfacher Bedeutung, indessen immer unter Beziehung auf einen einheitlichen Gesichtspunkt und eine einheitliche Wesenheit, also nicht bloß so, daß nur das Wort dasselbe wäre, sondern in der Weise, wie man etwa das Wort »gesund« gebraucht. Denn alles was man gesund nennt, hat irgendwie auf die Gesundheit Bezug; es ist solches, was die Gesundheit schützt, oder was sie wiederherstellt, oder auch was ein Kennzeichen der Gesundheit oder was für sie empfänglich ist. Und ebenso verhält sich das Wort »medizinisch« zur ärztlichen Kunst. Medizinisch heißt das eine Mal der, der die ärztliche Kunst besitzt, das andere Mal, wer dafür die Anlage besitzt, oder wiederum was zu den Aufgaben der ärztlichen Kunst gehört. Und in gleicher Weise wie diese werden wir auch andere Ausdrücke zu deuten haben. So spricht man denn auch vom Seienden wohl in mehrfacher Bedeutung, aber jedesmal in Beziehung auf einen und denselben prinzipiellen Gesichtspunkt.Wir nennen das eine Seiendes, weil es Substanz, das andere, weil es Bestimmung an der Substanz, das dritte, weil es auf dem Wege zur Substanz ist: Untergang, Privation, Qualität, Herstellungs- oder Erzeugungsursache der Substanz oder dessen, was nach seiner Beziehung auf die Substanz benannt wird, oder was sich zu einem der Genannten oder zur Substanz als Negation verhält. Sagen wir doch auch vom Nichtseienden, daß es ein Nichtseiendes sei.
Wie nun die Wissenschaft von allem was unter die Benennung »gesund« fällt, eine einheitliche Wissenschaft ist, so gilt das Gleiche auch auf anderem Gebiete. Denn als die Aufgabe einer einheitlichen Wissenschaft ist nicht nur das zu betrachten, was nach einem und demselben Begriff benannt wird, sondern auch das, was nach seiner Beziehung auf eine einheitliche Wesenheit zu verstehen ist. Denn auch dieses letztere steht in gewissem Sinne noch unter dem einheitlichen Gesichtspunkt. Augenscheinlich also ist es die Sache einer einheitlichen Wissenschaft, alles was Seiendes als solches ist zu betrachten. Überall aber ist die Wissenschaft im eigentlichen Sinne Wissenschaft von dem obersten Prinzip, wovon das übrige abhängt und wonach es benannt wird. Ist nun dies Oberste die reine Wesenheit, so wird es die Aufgabe des Philosophen sein, die Prinzipien und Ursachen der reinen Wesenheit zu erfassen.
Von jeglicher Gattung von Gegenständen ist die sinnliche Wahrnehmung eine einheitliche als von einem Objekt und die Wissenschaft ebenso. So z.B. betrachtet die eine Sprachwissenschaft die Gesamtheit der Sprachlaute. Und ebendeshalb ist es auch eine einheitliche Wissenschaft, die alle Arten des Seienden als Seienden ebenso wie die Gattung selber, und dann auch weiter die Arten der Arten zu betrachten hat.
Nun ist aber das Seiende und das Eine eines und dasselbe und macht eine einheitliche Wesenheit aus, sofern beide immer zusammen auftreten wie etwa Prinzip und Grund, aber doch nicht so, als fielen sie beide in einem einheitlichen Begriff zusammen. Freilich macht es auch nicht viel aus, wenn wir sie in letzterer Weise bestimmen; in mancher Beziehung könnte man es sogar als zweckdienlich bezeichnen. Denn ob ich sage: ein Mensch, oder: ein Mensch, welcher ist, oder bloß: Mensch, das ist dasselbe, und wenn man den Ausdruck verdoppelnd sagt: er ist Mensch, oder: er ist ein Mensch, so wird auch dadurch der Sinn nicht verändert. Demnach ist offenbar das Sein von dem Eins weder wenn etwas entsteht noch wenn etwas untergeht zu trennen, und ebensowenig das Eins vom Sein. Augenscheinlich bedeutet der Zusatz »seiend« dabei nur eben dasselbe wie »eins«, und »eins« nichts anderes als »seiend«. Ferner ist die Substanz jedes Gegenstandes ein Eines, und das ist sie nicht bloß nebenbei; und ebenso ist sie auch ein Seiendes, und auch dies wesentlich. So viele Arten von Einheit es gibt, so viele gibt es daher auch vom Seienden, und die Wesensbestimmtheit dieser Arten zu betrachten, ist die Aufgabe derselben Wissenschaft die auch die Gattung betrachtet; dahin gehört Identität, Gleichheit und dergleichen, sowie die Gegensätze davon. So ziemlich sämtliche Gegensätze lassen sich auf dieses Prinzip, den Gegensatz des Einen und des Vielen, zurückführen. Das aber mag in unserer Schrift über die »Auslese der Gegensätze« weiter nachgesehen werden.
Von der Philosophie gibt es demnach so viele Teile, als es Arten der reinen Wesenheit gibt, und es muß daher unter diesen eine die oberste und eine die abgeleitete sein. Denn das Seiende und Eine hat es an sich, daß es von vornherein Arten in sich befaßt, und eben aus diesen ergeben sich die einzelnen Zweige der Wissenschaft. Von dem Philosophen gilt in dieser Beziehung dasselbe, was vom Mathematiker gilt. Auch die Mathematik zerfällt in Fächer; auch unter den mathematischen Fächern gibt es eine grundlegende und eine abgeleitete Wissenschaft, und darunter wieder andere in bestimmter Reihenfolge.
Nun aber ist es die Aufgabe jeder einzelnen Wissenschaft die Begriffe zu betrachten, die einen Gegensatz bilden, und zu dem Einen bildet den Gegensatz die Vielheit. Ebenso ist es die Aufgabe jeder einzelnen Wissenschaft, auch die Negation und die Privation zu betrachten, weil Negation oder Privation dem Einen gilt, das in beiden Beziehungen betrachtet wird. Denn wir sagen entweder schlechthin, daß etwas nicht vorhanden ist, oder daß es an einer bestimmten Gattung von Gegenständen nicht vorhanden ist. In dem einen Falle wird außer dem was negiert wird, zu dem Einen nur die Negation hinzugesetzt, die den Unterschied bezeichnet; denn die Negation bedeutet bloß, daß das, was negiert wird, nicht da ist. Bei der Privation dagegen handelt es sich außerdem noch um eine Wesenheit als das Substrat, von dem die Privation gilt. Dem Einen steht nun die Vielheit gegenüber, und infolgedessen hat die bezeichnete Wissenschaft auch das dem oben Angeführten gegensätzlich Gegenüberstehende, das Andere, das Unähnliche und Ungleiche, zu erkennen, und alles übrige, was unter diesem Gesichtspunkte oder unter dem der Vielheit und des Einen ausgesagt wird. Dahin gehört nun auch der konträre Gegensatz. Denn unter den Begriff des Unterschiedes fällt auch der konträre Gegensatz, der Unterschied aber fällt unter den Begriff des Andersseins. Da nun von Einheit in mehreren Bedeutungen gesprochen wird, so wird auch dieses letztere in mehrfachen Bedeutungen ausgesagt werden; gleichwohl bleibt es die Aufgabe der einen Wissenschaft, alles dies zu erforschen. Denn nicht schon deshalb, weil es mehrere Bedeutungen hat, gehört es auch verschiedenen Wissenschaften an; das würde es erst dann, wenn diese Bedeutungen weder auf einen einheitlichen Gesichtspunkt hinausliefen, noch auf eine einheitliche Beziehung hindeuteten. Da aber alles auf das oberste Prinzip bezogen wird, z.B. alles was ein Eines heißt auf die oberste Einheit, so muß man dasselbe auch von dem Identischen, dem Verschiedenen und dem Entgegengesetzten gelten lassen. Darum hat man wohl zu unterscheiden, in wie vielen Bedeutungen jeglicher der genannten Begriffe ausgesagt wird, um sodann bei jeder Aussage anzugeben, in welcher Beziehung zu jenem obersten Prinzip sie gemeint ist. Das eine wird auf dieses Oberste bezogen sein in dem Sinne, daß dieses es an sich hat, das andere in dem Sinne, daß es dasselbe bewirkt, und ebenso wieder anderes in anderem Sinne.
Offenbar nun ist es, wie oben in der Abhandlung von den Problemen dargelegt worden ist, die Aufgabe