Metaphysik. Aristoteles
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Man sieht das schon daran: die Dialektiker und die Sophisten gebärden sich genau so wie der Philosoph. Denn die Sophistik ist eine wissenschaftliche Betätigung nur dem Scheine nach, und dasselbe gilt von der Dialektik. Sie reden über alles; gemeinsamer Gegenstand für sie alle aber ist das Seiende, und wenn sie darüber reden, so geschieht es offenbar aus dem Grunde, weil dies das eigentümliche Gebiet der Philosophie bezeichnet. Denn Sophistik und Dialektik drehen sich um dasselbe Reich der Objekte wie die Philosophie; den Unterschied macht nur bei der einen die Richtung, die das Erkenntnisvermögen einschlägt, bei der anderen das Lebensziel, das sie sich steckt. Die Dialektik ist eine bloße Übung der Erkenntniskräfte an den Gegenständen, die die Philosophie ernsthaft zu erkennen trachtet, und die Sophistik treibt die Wissenschaft nur zum Schein, nicht wirkliche Wissenschaft.
Von den Paaren von Gegensätzen ist nun weiter jedesmal das eine Glied die Privation; alle Gegensätze aber lassen sich zurückführen auf den Gegensatz des Seienden und des Nichtseienden, der Einheit und der Vielheit. So z.B. fällt die Ruhe auf die Seite des Einen, die Bewegung auf die Seite der Vielheit. Nun lassen so ziemlich alle übereinstimmend das Seiende und die Substanz aus Entgegengesetztem zusammengesetzt sein; wenigstens stellen alle die Prinzipien in Gegensätzen dar. Die einen bezeichnen als solche das Ungerade und das Gerade, die anderen das Warme und das Kalte, die dritten das Begrenzte und das Unbegrenzte oder die Liebe und den Haß. Aber auch alle übrigen Gegensätze sind offenbar auf das Eine und das Viele zurückzuführen, eine Zurückführung, die wir hier als vollzogen voraussetzen; die Prinzipien aber, und nun vollends auch die, die bei den anderen Denkern auftreten, fallen gleichfalls unter diese Gattungen: Einheit und Vielheit.
Auch daraus geht augenscheinlich hervor, daß es die Aufgabe einer einheitlichen Wissenschaft ist, das Seiende als Seiendes zu betrachten. Denn alles ist entweder entgegengesetzt oder besteht aus Gegensätzen, die Prinzipien aber für die Gegensätze sind das Eine und das Viele, und diese sind Gegenstände einer einheitlichen Wissenschaft, sei es, daß sie unter einen einheitlichen Gesichtspunkt gestellt werden oder nicht, welches letztere doch wohl der Wirklichkeit mehr entspricht. Aber gleichwohl, wenn auch die Einheit in mehrfacher Bedeutung aufgefaßt wird, so werden doch alle diese Bedeutungen in Beziehung auf das oberste Prinzip gedacht, und von dem Entgegengesetzten gilt dasselbe. Und deshalb, wenn auch das Seiende oder das Eine nicht allgemein und nicht in allem identisch noch etwas für sich Getrenntes ist, wie es doch wohl wirklich nicht ist, so ist es doch teils auf die Einheit bezogen, teils stufenweise davon abgeleitet; schon deshalb also ist es nicht die Sache etwa des Mathematikers zu untersuchen, was der Gegensatz oder was das Vollkommene oder das Seiende oder das Eine oder das Identische oder das Andere ist, sondern nur sofern es für sein besonderes Objekt von Bedeutung ist.
Daß also eine einheitliche Wissenschaft die Aufgabe hat, das Seiende als Seiendes und das was ihm als solchem zukommt zu betrachten, wird daraus klar geworden sein, ebenso, daß eine und dieselbe Untersuchung nicht nur die reinen Wesenheiten, sondern auch das, was an ihnen auftritt, zu betrachten hat, also zu dem oben Angeführten auch noch das Ursprüngliche und das Abgeleitete, die Gattung und die Art, das Ganze und den Teil und die anderen hierher gehörigen Begriffe.
Wir müssen weiter die Frage behandeln, ob die Wissenschaft, die von den Sätzen handelt, die den von der Mathematik her geläufigen Namen Axiome tragen, eine und dieselbe Wissenschaft ist wie diejenige, die von der reinen Wesenheit handelt, oder ob es zwei verschiedene Wissenschaften sind. Offenbar ist es eine und dieselbe Wissenschaft und zwar die des Philosophen, die auch diese Untersuchung über die Axiome zu führen hat. Denn diese Axiome gelten gemeinsam für alles Seiende und nicht bloß für eine besondere Gattung des Seienden ausschließlich im Gegensatze zu den anderen. Alle wenden sie an, weil sie für das Seiende gelten, sofern es ist, jede besondere Gattung aber ein Gebiet des Seienden bildet; aber man wendet sie an jedesmal soweit es zweckdienlich ist, und das bedeutet, soweit als es das Gebiet erfordert, auf das sich die wissenschaftliche Tätigkeit jedesmal erstreckt. Da nun die Axiome offenbar für alles, was ist, gelten, sofern es ist - denn sie sind für alles gemeinsam -, so ist auch die Untersuchung dieser Sätze gleichfalls die Aufgabe desjenigen, der das Seiende als solches zu erforschen hat. Daher kommt es, daß niemand, der eine Spezialwissenschaft betreibt, es als seine Aufgabe betrachtet, über sie zu handeln, ob sie zutreffend sind oder nicht, weder einer der Geometrie, noch einer der Arithmetik treibt. Wenn gleichwohl einige, die sich mit der Wissenschaft von der Natur beschäftigen, sich darauf eingelassen haben, so erklärt sich das daraus, daß sie meinten, sie seien die einzigen, die die Natur überhaupt und somit auch das Seiende zu ihrem Arbeitsgebiete hätten. In der Tat aber ist einer da, der auf höherer Warte steht als der Naturforscher; denn auch die Natur ist doch nur ein Gebiet des Seienden. Und mithin ist die Erforschung dieser Gegenstände die Aufgabe desjenigen, der das Allgemeine und die oberste Wesenheit zum Gegenstande seiner Betrachtung hat. Gewiß ist die Naturwissenschaft ein Zweig der Wissenschaft, aber sie ist doch nicht die höchste Wissenschaft selber. Wenn aber gewisse Leute, die Bücher über die »Wahrheit« schreiben, die Frage in die Hand nehmen, wie man sich zu den Axiomen zu verhalten hat, so ist der Grund einfach der, daß sie keine Logik gelernt haben. Wer an die Sache herantritt, muß über diese Dinge schon unterrichtet sein und nicht erst im Lauf der Erörterung der Sache sich danach umtun.
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