MATTHEW CORBETT und die Hexe von Fount Royal (Band 2). Robert Mccammon
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Читать онлайн книгу MATTHEW CORBETT und die Hexe von Fount Royal (Band 2) - Robert Mccammon страница 5
Er hatte an diesem Morgen mit dem Gründer und Herrscher der Stadt zu reden. Matthew kehrte dem Quellsee den Rücken zu und ging zum Herrenhaus zurück, dessen Fensterläden bereits geöffnet waren, um die frische Luft hereinzulassen. Er merkte, dass die Haustür nicht verriegelt war, und da er sich nicht als bloßen Besucher sah, trat er ohne zu läuten ein und lief die Treppe hoch, um nach dem Richter zu schauen.
Obwohl entweder Mrs. Nettles oder eines der Sklavenmädchen bereits die Fensterläden seines Zimmers geöffnet hatte, schlief Woodward noch. Matthew trat ans Bett und betrachtete den Richter. Woodwards Mund stand halb offen; seine Atemzüge klangen wie das Rasseln eines verrosteten Mechanismus, der kurz vor dem Stillstand war. Auf dem Kopfkissen waren braune Blutflecken zu sehen – Dr. Shields Lanzette hatte letzte Nacht wieder zugestochen. Der Aderlass war inzwischen zu einem allabendlichen Ritual geworden. Woodwards nackte Brust war mit einer scharf riechenden Kompresse bedeckt, die Oberlippe und grün verkrusteten Nasenlöcher glänzten fettig. Auf dem Nachttisch zeugten drei niedergebrannte Kerzen davon, dass Woodward letzte Nacht versucht hatte, die Protokolle des Hexenprozesses durchzulesen. Die Papiere waren vom Bett gefallen und lagen auf dem Boden.
Matthew machte sich daran, die Papiere aufzuheben. Er legte sie in der richtigen Reihenfolge zusammen und packte den Stapel dann wieder in das Holzkästchen. Leider hatten die Seiten, die Matthew zuvor mit in sein Zimmer genommen und dort gelesen hatte, keine neuen Erkenntnisse gebracht. Er starrte Woodwards Gesicht an, die gelbliche Haut, die sich über den Schädel spannte, die violetten Augenlider, unter denen die Rundungen der Augäpfel zu sehen waren. Zu beiden Seiten von Woodwards Nase lag ein zartes Netz winziger roter Äderchen. Der Richter schien dünner geworden zu sein, seit Matthew ihn am Abend zuvor das letzte Mal gesehen hatte; wobei das auch am Licht liegen konnte. Er wirkte stark gealtert, die Falten in seinem Gesicht durch seine Leiden tiefer. Die Haut war blasser, und die Altersflecken auf seinem Schädel wirkten dunkler als zuvor. Er sah jetzt äußerst gebrechlich aus. Es machte Matthew Angst, den Richter in diesem Zustand zu sehen, aber er konnte den Blick nicht von ihm abwenden.
Es war nicht das erste Mal, dass er ein vom Tod gezeichnetes Gesicht sah. Er erkannte, wie es um den Richter stand. Woodwards Haut hatte sich zusammengezogen, der Totenkopf darunter lag wie zum Durchbruch bereit. Panische Angst durchfuhr Matthew und drehte ihm den Magen um. Er hätte Woodward am liebsten wachgerüttelt, ihn aus dem Bett und auf die Beine gezerrt, ihn zum Sprechen und Tanzen gebracht – alles, ihn nur nicht dieser Krankheit erliegen lassen. Aber der Richter brauchte Ruhe. Er musste lange und tief schlafen, die Heilsalben und den Aderlass wirken lassen. Und die frische Luft und der Sonnenschein gaben ja Anlass zur Hoffnung! Ja, das Beste war, den Richter schlafen zu lassen, bis er aufwachte, egal wie lange das sein mochte, und auf die Heilkräfte der Natur zu vertrauen.
Sanft berührte Matthew Woodwards Hand – und sprang sofort einen Schritt zurück. Denn obwohl die Hand des Richters warm war, fühlte sich die Haut beunruhigend feucht und wächsern an. Woodward stöhnte leise, seine Augenlider zuckten, aber er wachte nicht auf. Matthew ging rückwärts zur Tür. Die Angst wollte ihn nicht loslassen. Leise verließ er das Zimmer und schlich in den Flur hinaus.
Er folgte dem Geräusch von auf Teller kratzendem Besteck nach unten und fand Bidwell am gedeckten Esstisch vor. Der Herrscher der Stadt machte sich über ein aus Maisfladen, Bratkartoffeln und Knochengelee bestehendes Frühstück her. »Aha, hier ist ja unser Gerichtsdiener an diesem wunderschönen Morgen Gottes!«, sagte Bidwell und stopfte sich mehr Essen in den Mund. Er trug einen pfaublauen Anzug, ein mit Rüschen besetztes Hemd, und eine seiner am üppigsten frisierten, lockigsten Perücken.
Mit einem Becher Apfelbier spülte er das Essen die Kehle hinunter und deutete mit dem Kopf auf den Platz am Tisch, der für Matthew gedeckt worden war. »Setzt Euch und esst!«
Matthew nahm die Einladung an. Bidwell schob ihm einen Teller mit Maisfladen hin, von denen Matthew zwei mit dem Messer aufspießte. Der Teller mit dem Knochengelee folgte.
»Mrs. Nettles hat mir gesagt, dass Ihr nicht in Eurem Zimmer wart, als sie klopfte.« Bidwell aß, während er sprach, und verlor dabei ein paar halbgekaute Brösel aus dem Mund. »Wo seid Ihr denn gewesen?«
»Draußen«, antwortete Matthew.
»Draußen«, sagte Bidwell sarkastisch. »Dass Ihr draußen wart, weiß ich wohl. Aber wo und warum?«
»Ich bin hinausgegangen, als ich sah, dass die Schule brannte. Und dann bin ich den Rest der Nacht draußen geblieben.«
»Aha. Drum seht Ihr so schlecht aus!« Bidwell wollte gerade eine Kartoffel mit dem Messer aufspießen, hielt aber mitten in der Luft inne. »Moment mal.« Er verengte die Augen. »Was für einen Unfug habt Ihr getrieben?«
»Unfug? Ihr vermutet gleich das Schlimmste, wie mir scheint.«
»Das mag Euch so scheinen, aber ich weiß es. In wessen Stall habt Ihr Euch dieses Mal herumgetrieben?«
Matthew schaute ihm in die Augen. »Ich bin natürlich wieder in den Stall des Schmieds gegangen.«
Ein tödliches Schweigen entstand. Dann lachte Bidwell auf. Sein Messer versenkte sich in der Kartoffel. Er nahm sie vom Teller und schob Matthew den Rest der gebratenen Erdäpfel hin. »Na, Ihr seid heute aber voller Witze, was? Ich weiß ja, dass Ihr jung und ein Narr seid, aber närrisch genug, um wieder in Hazeltons Stall zu gehen, seid Ihr nicht! Nein, Sir! Der Mann würde sich Euch vorknöpfen!«
»Nur, wenn ich eine Stute wäre«, sagte Matthew leise und biss in einen Maisfladen.
»Was?«
»Ich sagte … dass ich mich besser in Acht nehme. Vor Hazelton, meine ich.«
»Jawohl. Das ist das Klügste, das Ihr bisher von Euch gegeben habt!« Bidwell aß weiter, als würde es am nächsten Tag nichts mehr geben. »Und Euer Rücken. Wie geht es dem?«
»Tut noch etwas weh. Aber es geht.«
»Na dann, esst auf. Ein voller Bauch lässt alle Schmerzen verschwinden. Das hat mein Vater immer gesagt, als ich so alt war wie Ihr. Allerdings habe ich in Eurem Alter schon längst vierzehn Stunden am Tag im Hafen gearbeitet, und wenn ich mir eine Birne klauen konnte, war ich glücklich wie ein Lord.« Er verstummte, um einen Schluck zu trinken. »Habt Ihr jemals in Eurem Leben einen ganzen Tag lang gearbeitet?«
»Körperlich gearbeitet, meint Ihr?«
»Was für Arbeit gibt es denn sonst für einen jungen Mann? Natürlich körperlich! Habt Ihr jemals schweißgebadet versucht, einen Stapel schwere Kisten um zwanzig Fuß zu versetzen, weil der Bastard, der das Sagen hat, damit droht, dass es sonst was setzt? Habt Ihr schon mal an einem Seil gezogen, bis Euch die Hände geblutet und die Schultern geknackt haben, bis Ihr wie ein Säugling geheult habt – aber wusstet, dass Ihr weiter ziehen müsst? Habt Ihr jemals auf den Knien ein Schiffsdeck mit der Scheuerbürste geschrubbt und es gleich darauf noch mal geschrubbt, weil dieser Bastard, der das Sagen hat, draufgespuckt hat? Na? Habt Ihr das?«
»Nein«, entgegnete Matthew.
»Tja!« Bidwell nickte grinsend. »Ich aber. Und zwar oft! Und ich bin verdammt stolz darauf! Wisst Ihr, warum? Weil es mich zum Mann gemacht hat. Und wisst