Kapitalismus, was tun?. Sahra Wagenknecht
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Zwar hat SPD-Fraktionsvize Stiegler den allzu rührigen Herrn Rürup inzwischen mit einiger Grobheit zurückgepfiffen und Schröder, kaum freundlicher, die unbekümmert in FDP-Gefilden wildernden Grünen getadelt; immerhin stehen im ersten Quartal 2003 wichtige Landtagswahlen an, und die SPD-Umfragewerte geben Anlass zur Sorge. Dennoch kann man sich getrost darauf einstellen: Die nächste Rentenreform kommt noch vor 2006, und das von Rürup zu präsentierende Konzept dafür wird nicht allzu weit von jenen Ideen entfernt sein, mit denen er derzeit die Öffentlichkeit beglückt. Zudem gehört die SPD-Entrüstung über selbige weitgehend in die Rubrik Volksveralberung, denn als man sich Rürup ins Nest setzte, waren dessen Ansichten nicht unbekannt.
Also wird wohl das Rentenalter weiter angehoben, die gesetzliche Rente noch weiter abgesenkt und die Vorruhestandsregelungen werden drastisch verschlechtert; wer im Alter noch halbwegs menschenwürdig leben will, muss tüchtig privat ansparen – so er es kann und sich außerdem nicht den falschen Fonds von seiner Bank aufschwatzen lässt.
Selbstverständlich wird sich diese wie jede Untat mit guten Gründen wappnen: Nicht politischer Wille, ausschließlich die desaströse Einnahmesituation der Rentenkassen erzwinge solche Änderungen, wird es heißen. Schuld ist, wir wissen es seit Blüm, die demographische Entwicklung. Lothar Späth hat das Einmaleins des Rentenklaus vor wenigen Tagen im Handelsblatt erneut durchbuchstabiert: Die Leute fingen halt immer später an zu arbeiten, gingen immer früher in den Ruhestand und lebten dann zu allem Überfluss auch noch immer länger. Unter solchen Bedingungen könne »die jetzige kollektive Rentensystematik für die nächste Generation nicht aufrechterhalten werden«.
Leider funktioniert es immer wieder, dass ein absurder Fehlschluss nur oft genug wiederholt werden muss, bis er allgemein für logisch zwingend gilt. In Wahrheit besteht das Fundament der demographischen Renten-Lüge aus einer Ansammlung falscher Annahmen. Beispielsweise gibt es durchaus keinen Grund, weshalb in einem System, wo jeder privat vorsorgt, am Ende insgesamt mehr Geld zur Verfügung stehen sollte als in einem umlagefinanzierten. Die Rentner jeder Generation leben von dem, was die zu dieser Zeit Erwerbstätigen erwirtschaften; wenn das nicht ausreicht, wird die schönste Rendite privater Dividendenpapiere in dem Augenblick inflationär entwertet, in dem ihre Eigner sie ausgeben möchten. Wer ohne Umlage am Ende mehr hat, sind nicht alle, sondern einige: diejenigen nämlich, die dank hoher Einkommen viel ansparen können. Je breiter die private Säule, desto niedriger die Umverteilungskomponente, d. h. desto weniger müssen sie an jene abgeben, die wegen Niedriglöhnen, Arbeitslosigkeit, Kindererziehung, Krankheit oder was auch immer keine ausreichende Vorsorge betreiben können und dann eben ins Leere gucken. Kräftig profitieren natürlich auch die Unternehmen, denn zur privaten Vorsorge gibt es keinen »Arbeitgeberanteil«.
Bewusst ausgeblendet in der »Uns-gehen-die-Jungen-aus«-Debatte wird außerdem, dass wir schon sehr viel weiter wären, wenn wenigstens jeder, der erwerbsfähig ist, auch erwerbstätig sein könnte und dies nicht als Billigjobber, sondern in sozialversicherter Beschäftigung mit ordentlichem Einkommen. Weit über sechs Millionen Menschen in diesem Land wären vermutlich heilfroh, wenn sie Gelegenheit erhielten, auf diese Weise die Renten der Rentner mitzuerarbeiten. Der Verband deutscher Rentenversicherer hat mit Recht auf die zusätzlichen Gefahren hingewiesen, die der Rentenversicherung durch Umsetzung des Hartz-Konzepts drohen. Denn Niedriglohn und Leiharbeit bedeuten eben auch weiter sinkende Beitragszahlungen. Ignoriert wird schließlich, dass die von den Erwerbstätigen geleistete Arbeit von Jahr zu Jahr produktiver wird. In den Neunzigern ist die Produktivität in der Bundesrepublik um durchschnittlich 2 bis 2,5 Prozent pro Jahr angestiegen. Die Zahl der Rentner wird zwischen 2000 und 2040 um etwa 0,75 Prozent jährlich zunehmen. Selbst wenn das Produktivitätswachstum sich halbieren würde, wäre somit die demographische Veränderung durch die Produktivitätsentwicklung mehr als ausgeglichen.
Wie bei im Grunde allem, was sich heutzutage Reform schimpft, geht es also auch bei Riester-Rürup II nicht um die Lösung realer Probleme, sondern um Interessenpolitik. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes kann sich über ein Drittel der Bevölkerung wegen zu geringer Einkommen ohnehin keine private Altersvorsorge leisten. Diese Zahl einer Bundesbehörde dürfte auch Schröder kennen. Ohne Skrupel werden also Verarmung und soziale Not in Kauf genommen, mit Folgen, die man längst auf den Straßen von Los Angeles oder London besichtigen kann.
7. Dezember 2002
Weihnachtsgabe
Niedersachsens und NRWs Regierungschefs Gabriel und Steinbrück gäben sich »ganz unideologisch«, befand dieser Tage das Handelsblatt. »Unideologisch« ist natürlich im Sprachgebrauch dieser Zeitung – wie in gewissen linken Kreisen – positiv besetzt und lobend gemeint. Während unter Linken mit diesem Attribut zumeist einer bezeichnet wird, in dessen Weltsicht die klassen- und interessenlose Gesellschaft bereits existiert (und der sich seltsamerweise meist dennoch in der realen klassengeteilten ganz gut einzurichten weiß), begreift das Handelsblatt unter »unideologisch« offenbar eine noch eigentümlichere Verzerrung des Gesichtsfeldes: Denn hier ist die Rede von Leuten, die zwischen Einnahme und Ausgabe, zwischen Steuererhöhung und Steuersenkung nicht zu unterscheiden wissen.
Immerhin hatten unter anderem besagte zwei Landeschefs Schröder in den letzten Wochen durch Anheizen der Debatte über die Wiedererhebung der Vermögenssteuer auf Trab gehalten und auf diese Weise für Verstimmung gesorgt. Mancher meint auch, die Verstimmung sei nur gespielt gewesen und die Kakophonie zu weiten Teilen inszeniert, da Schröder die Wahl hinter sich, Gabriel sie aber noch vor sich hat. Das mag stimmen oder nicht, in jedem Fall ist die Forderung nach Reaktivierung dieser Steuer in SPD-Kreisen nicht neu – sie stand noch 1998 im SPD-Wahlprogramm –, und es gab und gibt eine Reihe von Gründen, die selbst aus SPD-Sicht dafür sprechen könnten, ihr nachzugeben.
Einer dieser Gründe ist, dass die Vermögenssteuer nur relativ wenige Leute wirklich träfe und zudem in erster Linie solche, die die SPD ohnehin nicht wählen. Das zeigen die Einnahmestatistiken aus der Zeit, in der es die Vermögenssteuer noch gab, also der Jahre vor 1997. Ein Drittel des damaligen Vermögenssteueraufkommens wurde von den dreißig reichsten Familien dieses Landes gezahlt, den Albrechts, Quants und Klattens, den Ottos, Mohns, Flicks und wie die Damen und Herren mit den überwiegend gut- und altbekannten Namen alle heißen. Allein diese noble Gesellschaft der dreißig reichsten Clans verfügt offiziell über ein Vermögen von 180 Milliarden Euro. Der tatsächliche Wert ihrer Besitztümer mag noch weit darüber liegen. Nun hätten diese Leute zwar vielleicht manchen Grund, Schröder zu wählen – jedenfalls mehr als abhängig Beschäftigte oder Arbeitslose –, aber Fakt ist, dass sie es zum überwiegenden Teil nicht tun.
Die Steuer würde die SPD also kaum Stimmen kosten, eröffnete aber die Chance, welche einzubringen. Denn angesichts der brachialen Einschnitte bei Arbeitslosen, der unerträglichen Zusatzbelastungen für sozial Schwache und des Totschlags tariflicher Standards, die Schröder gerade verbricht, bräuchte die SPD dringend wenigstens ein populäres Projekt, das sich als Gerechtigkeits-Nummer verkaufen ließe. Die geplante Steuer auf Aktienkursgewinne, die de facto eine Steuerentlastung für Spekulanten darstellt und allzu offensichtlich den Verwaltungsaufwand nicht einspielen wird, den sie kostet, sollte zwar genau diesem Zweck auch schon dienen, wurde und wird aber mit Recht von niemandem ernst genommen. Die Wiedereinführung der Vermögenssteuer ließe sich verärgerten Ex-Wählen weit eher als revolutionäre Tat vermitteln – was sie nicht wäre. Denn ähnliche Steuern gibt es in den meisten OECD-Ländern,