Kapitalismus, was tun?. Sahra Wagenknecht
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Ohnehin: Ob und wie viel Geld eine Vermögenssteuer tatsächlich einspielt, hängt von ihrer Ausgestaltung ab. Die Memorandum-Gruppe hat für die Bundesrepublik vorgerechnet, dass diese Steuer bei einem Satz von nur einem Prozent und der Freistellung von 350 000 Euro pro Haushalt (zuzüglich 75 000 Euro pro Kind) gut 16 Milliarden jährlich in die öffentlichen Kassen spülen könnte. Das DIW kalkuliert mit etwas höheren Freibeträgen, aber ähnlichen Aufkommenswerten. Die Gewerkschaft Verdi errechnet für einen Satz von 1,5 Prozent mit hohen Freibeträgen ein mögliches Aufkommen von 23 Mrd. Euro im Jahr. Von SPD-Seite dagegen war in der Regel nur von 9 Milliarden die Rede. Tatsächlich hat die Steuer, als es sie noch gab, nie mehr als 4,5 Milliarden Euro jährlich eingebracht. Einer der Gründe lag in einer massiven Unterbewertung von Immobilien- und Produktiveigentum. Diese Ungleichbehandlung war letztlich auch der Grund, den das Bundesverfassungsgericht rügte und der zur Aussetzung der Steuer führte. Selbst bei Wiedererhebung bestünde also die Gefahr, dass die Sätze hinreichend niedrig, die Freibeträge hinreichend hoch und die wohlwollend geduldete Steuervermeidung so umfassend wäre, dass das Projekt im Nichts verpufft. Dass die SPD es dennoch nicht wagt, trotz der offenbaren wahltaktischen Vorteile und des scheinbar nur geringfügigen Schadens einiger hundert vergrätzter Multimillionäre, zeigt einmal mehr, wer in dieser bundesdeutschen Parlamentsdemokratie die Zügel in der Hand hält.
Denn dass sie im Handelsblatt als »Unideologen« firmieren durften, haben die zwei SPD-Ministerpräsidenten just durch ihre Ankündigung erreicht, anstelle des Ärgernisses Vermögenssteuer künftig das Alternativprojekt »Zinsabgeltungssteuer« betreiben zu wollen. »Sehe die Bilanz im Vergleich beider Steuern positiv für die neue Abgeltungssteuer aus, wollen sie ihren Vorschlag [den, die Vermögenssteuer wiedereinzuführen] zurückziehen«, ließen sich beide in selbiger Zeitung zitieren.
Tatsächlich spricht alles für eine »positive Bilanz«. Die Abgeltungssteuer träfe zum überwiegenden Teil den gleichen Personenkreis wie die Vermögenssteuer, nämlich die reiche Oberschicht, sie hätte aber den immensen Vorteil, dass alle bekannten Lobbyclubs dafür sind: die CDU, der BDI, die Verbände der Kreditwirtschaft, auch Bundesbankpräsident Weltecke hat sich positiv geäußert. Das Projekt Zinsabgeltungssteuer hat gegenüber einer Wiedererhebung der Vermögenssteuer eigentlich nur einen einzigen kleinen Nachteil: Es handelt sich um eine Steuersenkung, nicht um eine Erhöhung. Während Zinseinkünfte oberhalb der Freibeträge bisher zum individuellen Einkommenssteuersatz versteuert werden mussten, in der Spitze also derzeit zu 48,5 Prozent, würde der Fiskus künftig generell nur noch 25 Prozent mitverdienen. Die Steuerschätzer vom Institut für Wirtschaftsforschung rechnen, vorsichtig kalkuliert, mit Mindereinnahmen von etwa drei Milliarden Euro. Aber welches politische Projekt hat schon keinen Haken? Immerhin erspart die neue Idee viel Ärger. Und die drei Milliarden kann man sich im Notfall ja auch wieder bei den Arbeitslosen holen.
21. Dezember 2002
Kampf ums Öl
Unsicher war nicht, ob die Bundesregierung umfallen würde. Unsicher war, wann und mit welcher Begründung sie dies tut. Fischers unfriedliche Weihnachts-Botschaft, eine deutsche Zustimmung im UN-Sicherheitsrat zum Krieg gegen den Irak zu erwägen, kam insofern nicht wirklich überraschend. Allenfalls, dass der grüne Kriegsfreund es nicht einmal der Mühe wert erachtete, eine Lüge zur Begründung der hundertachtzig-Grad-Wendung mitzuliefern, mag verblüffen. Aber auch das liegt im Trend, denn selbst die US-Propagandamaschine ist faul geworden. Kein CIA-Kollege, der den im afghanischen Bergland seltsam abgetauchten Erzfeind in Bagdad sichtet, kein unvermutet gefundenes Video, das bin Laden in trautem Gespräch mit Saddam zeigt … Wenn Bush seinen Landsleuten erzählt, ein irakischer Überfall bedrohe die Vereinigten Staaten, ist das so elend dumm gelogen, dass der Schluss naheliegt: Es ist ihm egal, ob ihm noch irgend jemand glaubt. »Es geht im Grunde nur noch darum, eine Art UNO-Legitimation für einen Angriff zum schaffen«, ließ sich ein »hochrangiger Mitarbeiter« des Pentagon im Handelsblatt zitieren. Nicht erst jetzt, sondern bereits am 16. September 2002.
Einen knappen Monat später folgte die von Washington diktierte UNO-Resolution 1441, die den Irak für jedes Versäumnis und jede Falschangabe mit Krieg bedroht. Seither versendet Saddam Berge von Akten und führt Inspektoren durch jeden rattenbewohnten Abwasserkanal, während die USA, demonstrativ uninteressiert an den Ergebnissen solcher Nachforschung, Kriegsschiff auf Kriegsschiff in die Golfregion verlegen. Analysten, Ökonomen und Leitartikler streiten in den Spalten der internationalen Wirtschaftspresse und – ehrlicher – in internen Papieren diverser Research-Abteilungen und Strategie-Klüngelrunden über den Zeitpunkt des Kriegsbeginns, über mögliche Verlaufszenarien sowie über Kosten und Rendite des Projekts. Über das Ob streitet kaum noch einer.
Eine überzeugende Rentabilitäts-Rechnung lieferte der Wirtschaftsberater des Weißen Hauses Lawrence Lindsey. Zwar setzt er die Kriegskosten bei 100 bis 200 Mrd. Dollar an, also deutlich höher als das Pentagon, das offiziell mit 61 Milliarden kalkuliert. Aber die Investition lohne, so Lindsey, denn: »Bei einem Regimewechsel im Irak können wir mit einer Erhöhung der Weltversorgung [mit Öl] um drei bis fünf Millionen Barrel rechnen.«
Zur Zeit produziert der Irak 2,4 Millionen Barrel pro Tag, in besseren Zeiten waren es 3,5 Millionen, die Reserven liegen bei 112,5 Milliarden. Nach Saudi-Arabien, das über ein Viertel der globalen Ölreserven verfügt, ist der Irak die Nummer zwei in Mittelost. Die Förderkosten am Golf liegen niedriger als in jeder anderen Region, nämlich bei ein bis fünf Dollar pro Barrel; verkauft wird die schwarze Brühe gegenwärtig für über dreißig Dollar. Allein mit einer Machtübernahme in Bagdad würden amerikanische und britische Ölkonzerne, die gegenwärtig am Golf nicht wunschgemäß zum Zuge kommen, elf Prozent der globalen Erdölkapazitäten direkt kontrollieren – zusätzlich zu ihrem bisherigen Reservoire.
Außerdem böte die Besetzung Iraks den Vereinigten Staaten eine militärische und politische Basis, von der aus US-hörige Regimes ebenfalls in Iran, Syrien und Jordanien installiert werden könnten. Profitieren würde davon nicht nur die US-Ölindustrie; Folgeaufträge und Extraprofite durch billigeres Öl winkten dem amerikanischen Großkapital fast aller Branchen. In einer Zeit, in der Wirtschaft und Gewinne stagnieren, ein Riesenloch in der US-Leistungsbilanz klafft und neuerdings auch noch der Dollar schwächelt, ist das ein Ausblick, für den ein von der Öl- und Rüstungsmafia an die Macht geputschter Präsident gern den Weltfrieden riskiert. »Eine erfolgreiche Kriegsführung«, schließt Lindsey, »wäre gut für die Wirtschaft.« Auch der Chairman der Beratungsgesellschaft Cambridge Energy Research Associates, Daniel Yergin, schwärmt: »Ein anderes Regime im Irak würde das Kräfteverhältnis in der ganzen Region verändern.«
Das amerikanische Interesse daran ist umso dringender, seit der alte Verbündete Saudi-Arabien, den Kissinger einst selbstsicher zum 52. Bundesstaat der USA gekürt hatte, bedingungslose Folgsamkeit aufgekündigt hat. Eine Reaktion auf wachsende Reibungen am Golf war bereits Cheneys »Neues Energieprogramm« vom Sommer 2001, das die Öl- und Gasreserven des Kaspischen Meeres ins Zentrum rückte. Am Hindukusch hat Bush seine Hausaufgaben zwar noch nicht ganz erledigt, aber immerhin: Amerikanische Soldaten stehen mit deutscher Unterstützung im Land, militärische Airbasen wurden errichtet. Mit dieser Bastion im Rücken lässt sich jetzt auch das Problem Golf neu angehen. Die hohe Kostenschätzung begründet Lindsey übrigens damit, dass die US-Truppen – anders als beim letzten Mal – nach dem Sieg stationiert bleiben müssten, damit die »Demokratisierung« des Irak sich auch wirklich für die Richtigen auszahlt.
Immerhin gibt es noch andere Interessenten. Schon 1997 hatte die russische Firma Lukoil einen Vertrag über die Exploration des größten Ölfeldes im Irak, West Querna 2 im Südirak, abgeschlossen und bereits vier Milliarden Dollar investiert. Die mittelgroße Firma Tatneft aus der russischen Teilrepublik Tatarstan hat 33 irakische Ölquellen unter Vertrag und schon über eine Milliarde Dollar verausgabt. Verträge mit russischen Ölgesellschaften über weitere 60 Quellen sollen unterschriftsreif sein. Der französische Konzern TotalFinaElf will 3,5