Kapitalismus, was tun?. Sahra Wagenknecht

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Kapitalismus, was tun? - Sahra  Wagenknecht

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der darauf reinfällt. Ein Betrüger wiederum, dem es gelingt, mit ein und derselben Masche ein und dieselbe Person immer wieder aufs Neue zu leimen, hat gute Aussichten, als Angeklagter in einem Strafprozess mildernde Umstände zugebilligt zu bekommen. Immerhin hat’s der Betrogene ihm dann ausgesprochen leicht gemacht. So gesehen ist Schröder ein Betrüger von der minderschweren Sorte. Die Masche ist immer wieder die gleiche, die Adressaten überwiegend auch, und sie spielen das Spiel trotzdem unverdrossen mit.

      Die Zustimmung zum Einstieg in den Ausstieg aus der paritätisch beitragsfinanzierten Rente ließen sich die Gewerkschaften 2001 abkaufen: mit Riesters Versprechen eines dubiosen »Eckrentenniveaus« von 67 Prozent im Jahr 2030. Abgesehen davon, dass die Zahl von Beginn an auf einem Rechenfehler beruhte – mit Rürup hat sie sich nun ganz erledigt und kein Mensch redet mehr davon. Der leise Tod der Umlagerente aber ist eingeläutet und kaum mehr zu stoppen. Dumm gelaufen, möchte man meinen, – aber offenbar noch längst nicht dumm genug, als dass Wiederholung ausgeschlossen wäre.

      Kurz nach den Wahlen 2002 passierte das Hartz-Konzept den Bundestag, gleichfalls mit dem stolzen Segen der Gewerkschaftsspitzen, diesmal erkauft mit dem Versprechen, die Arbeitslosenhilfe nicht abzusenken und die soziale Stellung der Leiharbeiter zu verbessern. Von letzterem ist längst keine Rede mehr, und inzwischen kann auch die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zum sogenannten Arbeitslosengeld II als beschlossene Sache gelten. Selbiges Arbeitslosengeld II wird allenfalls noch zehn Prozent über Sozialhilfeniveau liegen und sich ausschließlich an sogenannter »Bedürftigkeit« orientieren. Für mindestens ein Drittel der heute 1,66 Millionen Arbeitslosenhilfebezieher steht in Zukunft in jedem Fall Sozialhilfe pur an. Denn wer länger als vier Jahre arbeitslos ist, hat offenbar nach Meinung führender Sozialdemokraten seine Unverwertbarkeit im kapitalistischen Reproduktionsprozess so hinreichend unter Beweis gestellt, dass er den Arbeitsämtern nicht länger auf die Nerven gehen sollte und deshalb aufs Sozialamt abgeschoben wird. Die Zahlen zur Einsparsumme, die dieser neue brachiale Schnitt ins soziale Netz bringt, schwanken. Als Schätzung am unteren Rand kursiert ein Betrag von drei Milliarden Euro jährlich. Rechnen wir durch: Eine Kürzung um drei Milliarden ergibt bei 1,66 Millionen Betroffenen nach den kalten Regeln der Mathematik ein durchschnittliches Minus je Frau oder Mann von 1807 Euro pro Jahr. Die grausamen individuellen Folgen dieser Maßnahme lassen sich ahnen, wenn man bedenkt, dass es hier um Menschen geht, die im Schnitt kaum mehr als 600 Euro im Monat erhalten. Also wieder: dumm gelaufen.

      Und es läuft immer dümmer. Inzwischen plant Schröder, die Bezugsdauer von Arbeitslosengeld auf 18 oder gar 12 Monate zu reduzieren. Dies würde den Kreis der Menschen, die künftig auf besagtes Arbeitslosengeld II oder Sozialhilfe angewiesen sind, auf einen Schlag drastisch erhöhen und zugleich den sozialen Abstieg bei jener enorm beschleunigen, die als sogenannte »Nichtbedürftige« – weil beispielsweise der Ehepartner noch eine mittelmäßig bezahlte Arbeit hat – fürs erste überhaupt nichts mehr bekämen. Dass all diese Menschen sich dann noch viel verzweifelter als heute schon um neue Jobs bemühen werden, selbst um schlechtbezahlte und unsichere, ist nicht ein Nebeneffekt, sondern der eigentliche Sinn des Ganzen. Hans-Werner Sinn, der unermüdliche Lobbyist der Profithaie und in dieser Eigenschaft Präsident des Ifo-Instituts, nahm kein Blatt vor den Mund, als er Schröder vorab das Gerüst zur gestrigen Regierungserklärung lieferte: »Ich erwarte Vorschläge für Reformen, die den Marktkräften zum Durchbruch verhelfen. Am wichtigsten ist die Reform von Arbeitslosen- und Sozialhilfe … Die effektive Lohnuntergrenze, die in diesen Hilfen angelegt ist, muss fallen.«

      Dass die Konzernlobby immer tiefere und brutalere soziale Einschnitte mit derartigem Nachdruck fordert, rührt also mitnichten aus ihrer Sorge um die Staatsfinanzen, zu denen sie als Steuerzahler eh kaum noch beiträgt. Es rührt zum einen aus ihrem Interesse, die Beitragssätze zur Sozialversicherung, die wie die Nettolöhne auf der Sollseite der Unternehmensbilanz zu Buche schlagen, nach unten zu drücken. Vor allem aber rühren die Forderungen aus ihrem Wunsch nach genereller Absenkung des Lohnniveaus und Etablierung billigster Hire-and-Fire-Jobs in beliebiger Zahl. Tarifverträge muss man dann nicht mehr infrage stellen. Sie erledigen sich.

      Schröders diesbezügliche Pläne, verbunden mit der Aufweichung des Kündigungsschutzes und der geplanten Privatisierung von Leistungen im Gesundheitssystem, stellen einen derart rigiden Schnitt in das bisherige Gefüge des bundesdeutschen Sozialsystems dar, das sämtliche Kürzungen der Ära Kohl daneben als Marginalie verblassen. Gewerkschaften, die ihren Sinn und Anspruch ernst nähmen, müssten zur größtmöglichen Gegenwehr mobilisieren, ehe ihnen der Boden ganz unter den Füßen weggezogen wird. Doch was passiert?

      Guido Westerwelle hat wiedermal nichts begriffen. Die bundesdeutsche Kapitallobby braucht keine Lady Thatcher. Schröder und Sommer im Verbund tun’s auch.

      15. März 2003

      Deflationsgefahren

      Wer gerade seine Wochenendeinkäufe erledigt, eine Tankstelle aufgesucht oder in einem Restaurant die DM-kompatible Preisliste studiert hat, mag Ökonomen, die – und zwar zunehmend lauter – vor Deflationsgefahren warnen, einfach nur für weltfremde Idioten halten. Aber so berechtigt dieses Verdikt für viele Bereiche der Mainstream-Ökonomie sein mag, in dieser Frage stimmt es nicht.

      Tatsächlich galt Deflation jahrzehntelang als für die Entwicklung kapitalistischer Wirtschaften obsolet gewordenes Phänomen. Während vor dem Zweiten Weltkrieg nahezu jede Krise von fallenden Preise begleitet wurde, die sie ihrerseits verstärkten – eine Rückkopplung, die in der Weltwirtschaftskrise nach 1929 ihre bisher zerstörerischste, aber auch für lange Zeit letztmalige Dynamik entfaltete, stiegen die Preise in den Krisen der Nachkriegszeit in der Regel unverdrossen weiter, am krassesten in den siebziger Jahren. Damals wurde der Begriff der Stagflation geboren. Theoretische Erklärungen dieser neuen Erscheinung wurden gesucht und von unterschiedlicher ökonomischer Warte aus angeboten. Tatsächlich gab es Gründe für die Annahme, dass das Preisniveau im Spätkapitalismus nur noch eine Richtung – die nach oben – kennt. Dafür sprach vor allem die enorme wirtschaftliche Konzentration in den Kernbereichen der westlichen Ökonomien. Konzerne, die über hinreichende Marktmacht verfügen, um auf Nachfragerückgänge statt durch Preisnachlässe durch Verknappung des Angebots reagieren zu können, werden vermutlich diesen Weg wählen. Seit Aufhebung des Goldstandards gibt es zudem keinen im Wertgesetz verankerten Zusammenhang zwischen volkswirtschaftlicher Produktivität und Preisniveau mehr.

      All das gilt heute wie vor dreißig Jahren. Die sogenannte Globalisierung – die ja in erster Linie darin bestand, Konzerne über Megafusionen in riesige Global Player zu verwandeln, fit zur Ausbeutung aller ausbeutbaren Ressourcen dieser Welt – hat die Macht über Märkte und Staaten eher noch verstärkt. Wenn der Chef des weltgrößten Stahlproduzenten Arcelor, Guy Dollé, dem Handelsblatt die Strategie seines Konzerns mit den Worten erläutert: »Was mir aber Sorge macht, sind die schwache Nachfrage und die starke Aufwertung des Euros … Deshalb fahren wir schon jetzt unsere Produktion um fünf Prozent im Flachstahl zurück, mit dem Ziel, die Preise besser zu kontrollieren«, spricht er für viele und erübrigt einen Kommentar.

      Dass Deflation dennoch alles andere als ein Gespenst aus alten Tagen ist, zeigt das Beispiel Japan. Seitdem Ende der Achtziger jene gewaltige Spekulationsblase, die sich in den Jahren des japanischen »Wirtschaftswunders« auf dem Aktien- wie Immobilienmarkt aufgeblasen hatte, geplatzt ist, lebt das Land im Würgegriff einer Dauerdepression, die durch anhaltende Preisniveausenkungen verstärkt und verschlimmert wird. Die Arbeitslosigkeit, die Japans Wirtschaft vorher kaum kannte, ist erheblich angestiegen, die Einkommen sinken – und zwar überwiegend schneller als die Preise. Die Banken wälzen Abermilliarden fauler Kredite vor sich her; ohne Sozialisierung eines erheblichen Teils der Verluste wäre das japanische Finanzsystem längst kollabiert.

      Marktmacht und Preisverfall schließen sich offenkundig doch nicht aus. Ein Grund dürfte sein: Marktbeherrschende Konzerne besitzen nicht nur als Anbieter, sondern auch als Nachfrager gegenüber ihren Zulieferern erhebliches Druckpotenzial, und letzteres wächst noch in der Krise. Hinzu kommt: In den USA und Europa haben zwei Jahrzehnte gewerkschaftsfeindlicher

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