Die Kreuzzüge. Martin Kaufhold
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Der Handel vermochte allmählich manche Lücken zu füllen. So wuchs im nördlichen Europa kaum Wein. In einer christlichen Kultur, die es seit dem Ende des ersten Jahrtausends auch im Norden gab, war der Wein unverzichtbar, nicht nur in der Liturgie. Allmählich konnte man ihn importieren. Die Handelsnetze erstreckten sich von Island bis in das Mittelmeer. Noch wurden keine größeren Warenmengen gehandelt, aber um die Mitte des 11. Jahrhunderts bestanden weit gespannte Kontakte, die sich verstärken ließen. Zwei ganz unterschiedliche Ereignisse, die zunächst kaum etwas miteinander zu tun hatten, geben einen Hinweis auf die Verflechtung und das Potenzial des größeren Bildes, das Europa in der Mitte des 11. Jahrhunderts bot. Um das Jahr 1050 verließ der Isländer Isleif seine Insel, um auf dem Kontinent zum Bischof geweiht zu werden. Er reiste zum Kaiser und soll auch nach Rom gelangt sein, bevor er schließlich nach Island zurückkehrte, um dort als erster Bischof Islands sein Amt anzutreten. Isleif kam aus dem hohen Norden nach Rom, um dort dem Papst seine Aufwartung zu machen. Nur wenige Jahre später, im Jahr 1059, verlieh der Papst dem Normannen Robert Guiskard die Rechte eines Herzogs von Apulien, Kalabrien und Sizilien – wobei Robert Sizilien noch erobern musste. Island und Sizilien bezeichneten in etwa die Grenzen Europas im Norden und im Süden, und ein Zusammenhang ist zunächst nicht erkennbar. Tatsächlich aber waren sowohl die Bischofsweihe Isleifs, als auch die Belehnung des Normannen Robert durch den Papst die Fortführung einer Entwicklung, die gemeinsame Ursprünge hatte, und die nun ein Stadium erreicht hatte, in dem die Menschen nach neuen Herausforderungen Ausschau hielten.
Robert und Isleif waren beide Normannen. Die Männer aus dem Norden, die auch als Wikinger bezeichnet werden, hatten im 9. und 10. Jahrhundert England und das Frankenreich mit ihren Zügen in Unruhe versetzt, und sie hatten in dieser Zeit auch Island besiedelt (ca. 870–930). Zu der Zeit, in der die Normannen auf Island heimisch wurden, waren auf dem Kontinent erste Wikingerverbände heimisch geworden (um 911). Die Gegend, in der sie siedelten, war ihnen vom fränkischen König verliehen worden. Daraus wurde die spätere Normandie. Die Normannen hatten sich bei ihrer Ansiedlung taufen lassen, und im Laufe des 10. Jahrhunderts nahmen sie den neuen Glauben an. Die immer noch kampfbegabten, aber inzwischen christianisierten Normannen aus der Normandie suchten nun neue Ziele für ihre Fahrten und segelten zu christlichen Pilgerzielen im Mittelmeer, nach Rom und vereinzelt auch in das Heilige Land. Auf der Fahrt landeten sie in Sizilien, wo es für fähige Kämpfer lohnende Herausforderungen gab.
Im Süden Italiens stießen Kulturen und Herrschaftsbereiche zusammen. Das alte Byzantinische Reich war noch präsent, es gab viele sarazenische Ansiedlungen, und das erstarkende Papsttum hatte ein eigenes Interesse an einem friedlichen Nachbarn im Süden. Die normannischen Pilger berichteten zu Hause von ihren Erfahrungen und weitere Landsleute kamen nach Apulien und Kalabrien. Aus den vormaligen Söldnern wurde eine Herrscherschicht, und aus den Nachfahren der Heiden, die das Frankenreich der Karolinger überfallen hatten, wurden christliche Herzöge, die im Namen des Papstes im Süden Italiens eine eigene Herrschaft errichteten. Die Isländer hatten das Christentum etwas später, aber dann durch einen gemeinsamen Beschluss auf ihrer jährlichen Versammlung angenommen. Das war im Jahr 1000 gewesen. Und 50 Jahre später suchten auch sie den Anschluss an das christliche Europa, indem sie ihren Bischof mit den nötigen Weihen versehen ließen. Es waren unterschiedliche Vorgänge, und es waren Vorgänge verschiedener Größenordnung, aber es waren Aufbrüche, die auf gemeinsame Wurzeln und Erfahrungen zurückzuführen waren. Auf die Rolle, die die Christianisierung in dieser Entwicklung einnahm, kommen wir im nächsten Kapitel zu sprechen. Noch geht es um Eroberungen. Der folgenschwere normannische Aufbruch zur Gewinnung neuer Horizonte stand noch bevor. Im Jahr 1066 brach der normannische Herzog Wilhelm auf, um den Thron des angelsächsischen England zu erringen. Er machte geltend, dass der letzte angelsächsische König, Edward der Bekenner, der zeitlebens kinderlos geblieben war, ihm die englische Krone vermacht habe. Es gab Konkurrenten in England und in Norwegen, aber Wilhelm ging aus den Kämpfen um die englische Krone schließlich als Sieger hervor. Und in diesen Kämpfen treten uns erstmals die Akteure vor Augen, die das Bild der Kreuzzüge so entscheidend prägen sollten. Die Rede ist von den Rittern.
DIE ANFÄNGE DES RITTERTUMS
Mit der Eroberung Englands treten sie tatsächlich in unser Blickfeld. Das ist ganz bildlich gemeint. Denn eine der Hauptquellen für die normannische Eroberung Englands im Jahr 1066 ist der so genannte Teppich von Bayeux. Ein imposanter Wandteppich von fast 80 Metern Länge, der die Vorgeschichte der Eroberung und die Invasion bis zum Sieg bei Hastings in Form einer sorgfältigen und detailfreudigen gestickten Bildgeschichte zeigt. Er entstand etwa 20 Jahre nach dem Sieg der Normannen, und er stellt die Geschichte aus der Perspektive des Siegers dar, der sich um die Legitimation seiner Eroberung bemüht. Bemerkenswert ist die präzise Wiedergabe der technischen Ausrüstung. Die Bewaffnung und Ausstattung des normannischen Heeres ist sehr gut zu erkennen. Anders als die angelsächsischen Krieger, die zu Fuß kämpften, ritten die Normannen auf ihren Pferden in die Schlacht. Geschützt durch ein Kettenhemd, bewaffnet mit Lanze und Schwert, waren sie den Fußkämpfern überlegen, und die Schlussdarstellungen des Teppichs von Bayeux geben ein anschauliches Bild von den blutigen Realitäten dieser Schlachten.
Doch es ging um mehr als um technische Überlegenheit und um den Sieg. Erst durch eine besondere Ethik wurden die berittenen Kämpfer zu Rittern (milites), und erst durch die Verbindung von Kampfkraft und einem besonderen Verhaltenscodex wurde das Ideal des Ritters zu jener langlebigen, mitunter heroischen, mitunter fragwürdigen und komischen, Erscheinung in unserer Geschichte.
Berittene Krieger hatte es seit dem 9. und 10. Jahrhundert gegeben. Sie hatten in den Heeren Karls des Großen und in den Heeren der Ottonen gekämpft. In dieser Zeit war die materielle Grundlage für die ritterliche Kampfform zur vorherrschenden Form der sozialen Ordnung geworden. Ein Kriegspferd war ein wertvolles Gut. Ein Pferd für den Kampf und ein weiteres Pferd für die Ausrüstung, dazu die Rüstung und die Waffen – dafür benötigte ein Mann erhebliche Mittel. Geld spielte in dieser Ökonomie keine besondere Rolle. Reichtum drückte sich in Landbesitz aus. Der war sehr unterschiedlich verteilt, und es gab viele Menschen, deren Land keinen ausreichenden Ertrag abwarf. Das Rittertum war keine Erscheinung der bäuerlichen Schichten, die die große Mehrheit der Bevölkerung ausmachten.
Aber auch in der Schicht, die über einen gewissen Besitz verfügte, gab es mitunter mehr Kinder als Land. So konnte man von dem eigenen Boden nicht standesgemäß leben, und ein junger Mann konnte davon kein Kriegspferd unterhalten. Doch er konnte sich einem höhergestellten und wohlhabenderen Herrn als Mann zur Verfügung stellen. Das heißt, er wurde sein Vasall. Er war seinem Herrn künftig zu Rat und Hilfe verpflichtet und musste ihn durch seine Kampfkraft unterstützen. Dafür erhielt er ein Stück Land, das er durch Bauern bewirtschaften ließ, das so genannte Lehen. Der Vasall war seinem Herrn gegenüber zur Treue verpflichtet. Das sollten wir jedoch nicht modern interpretieren. Es bedeutete im Wesentlichen, dass der Vasall seinem Herrn nicht schaden durfte. Allerdings waren auch selbstlose Loyalitätsbeweise möglich. Diese Lehnstreue, die in jedem Fall ein besonderes Band zwischen dem Lehnsherrn und seinen Vasallen schuf, hat erheblich zum Rittermythos beigetragen.
Tatsächlich waren die Ritter Reiterkrieger, die in vielen Fällen für ihre nähere Umgebung ebenso gefährlich waren, wie für ihre potentiellen Gegner. Die Worte des Papstes beim Aufruf zum ersten Kreuzzug sprechen eine deutliche Sprache in Hinblick auf die Gewaltbereitschaft dieses Standes. Die Kirche hatte seit dem späten 10. Jahrhundert versucht, die Gewalt, die von diesen bewaffneten jungen Männern ausging, durch so genannte Gottesfrieden einzuschränken. Dies waren lokale und regionale Zusammenschlüsse, in die die möglichen Gewalttäter eingebunden wurden, und in denen sie sich durch eine Selbstverpflichtung zum Gewaltverzicht an bestimmten Tagen und an bestimmten Orten bekannten. Durch Kirchenstrafen (Exkommunikation) sollte die Verbindlichkeit dieser Absprachen erhöht werden. Dennoch blieb die Gewalt lange Zeit ein Problem.
Diese Versuche der Gewalteindämmung zeigen ein Bemühen