Die wichtigsten Werke von Leo Tolstoi. Leo Tolstoi
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Auf der Hauptwache, wohin Peter geführt wurde, benahmen sich der Offizier und die Soldaten feindlich gegen ihn, zugleich aber auch rücksichtsvoll, solange sie noch im Zweifel waren, ob er nicht vielleicht eine wichtige Persönlichkeit sei.
Aber als am folgenden Morgen die Ablösung kam, wurde Peter eine Veränderung fühlbar. Die Leute sahen in diesem großen, dicken Menschen im Bauernrock nicht mehr jenen energischen Mann, der so verzweifelt mit dem Marodeur und der Patrouille gekämpft und die feierlichen Worte über die Rettung des Kindes gesprochen hatte, sondern sie sahen in ihm nur noch den siebzehnten der auf Befehl verhafteten Russen. Nur durch sein schüchternes, nachdenkliches Wesen und seine Kenntnis der französischen Sprache war er von den anderen verschieden. Aber an demselben Tage wurde er zu den übrigen Gefangenen verwiesen, da das besondere Zimmer, das er einnahm, für den Offizier nötig war.
Alle verhafteten Russen waren Leute der niedrigsten Stände, alle erkannten in Peter einen Barin (Herrn) und hielten sich von ihm fern, um so mehr, weil er Französisch sprach. Am andern Tage erfuhr Peter, daß alle wegen Brandstiftung vor Gericht gestellt werden sollten. Am dritten Tage wurde Peter mit den anderen in ein benachbartes Haus geführt, wo ein französischer General mit weißem Schnurrbart, zwei Obersten und andere Franzosen saßen. Man stellte an ihn in scheinbar herablassendem Tone die gewöhnlichen Fragen, wer er sei, und so weiter, welche nur den Zweck hatten, die Schleuse zu öffnen, durch welche nach dem Willen der Richter die Antworten der Angeklagten herausfließen sollten, um zu dem erwünschten Ziel, das heißt zur Überführung zu führen. Peter empfand dasselbe, was alle Angeklagten vor irgendeinem Gericht empfinden, nämlich Verwunderung darüber, warum man ihm diese Fragen stellte. Er wußte, daß er sich in der Gewalt dieser Leute befand, daß nur die Gewalt ihn hierhergeführt hatte, daß nur die Gewalt ihnen das Recht gab, Antworten auf Fragen zu verlangen, deren einziger Zweck war, ihn zu überführen, und deshalb waren diese Fragen unnötig, da doch nun einmal der Wunsch, zu überführen, und auch die Gewalt dazu vorhanden waren. Auf die Frage, was er gemacht habe, als er ergriffen worden sei, erwiderte Peter in tragischem Ton, er sei im Begriff gewesen, den Eltern das Kind zu bringen, das er aus den Flammen gerettet habe. Warum er sich mit dem Marodeur geschlagen habe, fragte man, und Peter antwortete, er habe eine Frau verteidigt, und es sei die Verpflichtung jedes Mannes, eine beleidigte Frau zu verteidigen, und … Er wurde unterbrochen, das gehöre nicht zur Sache. Auf die Frage, warum er in dem Hof des brennenden Hauses gewesen sei, wo ihn Zeugen gesehen hätten, erwiderte er, er wollte nur sehen; was in Moskau vorgehe. – Wer er sei, fragte man wieder, und er antwortete wie zuvor, das könne er nicht sagen.
»Schreiben Sie das nieder! Das ist verdächtig!« sagte der General mit dem weißen Schnurrbart.
Am vierten Tage begann die Feuersbrunst am Subowschen Wall.
Peter wurde mit den dreizehn anderen nach der Krimschen Furt geführt, in die Wagenscheune eines Kaufmannshauses. Auf dem Wege dahin atmete Peter den Rauch ein, der über der ganzen Stadt lag. In verschiedenen Richtungen sah man Feuersbrünste. Peter begriff noch nicht die Bedeutung dieser Feuersbrünste, doch sah er sie mit Entsetzen. In der Wagenscheune des Kaufmannshauses brachte Peter noch vier Tage zu, und durch Gespräche mit französischen Soldaten erfuhr er, daß alle hier bewachten Leute mit jedem Tag die Entscheidung des Marschalls erwarteten, welches Marschalls, das konnte Peter von den Soldaten nicht erfahren, für welche ein Marschall augenscheinlich eine höchste und geheimnisvolle Gewalt bedeutete. Diese ersten Tage bis zum 8. September, an welchem die Gefangenen zu einem neuen Verhör vorgeführt würden, waren die schwersten für Peter.
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Am 8. September trat in die Wagenscheune ein hoher Offizier mit einer Papierrolle in der Hand. Es las die Namen aller Gefangenen ab, wobei er Peter »denjenigen, der seinen Namen nicht sagen will«, nannte. Gleichgültig betrachtete er alle Gefangenen und befahl dem wachthabenden Offizier, darauf zu achten, daß sie in reinlichem Aufzug vor dem Marschall erscheinen. Nach einer Stunde kam eine Kompanie Soldaten, und Peter wurde mit den anderen dreizehn abgeführt. Es war ein heller, sonniger Tag und nach dem Regenwetter war die Luft ungewöhnlich rein. Der Rauch lagerte sich nicht mehr über der ganzen Stadt, sondern stieg in die reine Luft empor. Nirgends sah man Flammen, aber von allen Seiten erhoben sich Rauchwolken, und ganz Moskau, soweit es Peter übersehen konnte, war nur eine einzige Brandstätte. Von allen Seiten sah man nur Ruinen und Brandstätten mit Öfen und Schornsteinen. Peter erkannte nicht mehr die ihm bekannten Stadtteile. Einige Kirchen waren noch unversehrt geblieben, und die weißen Mauern des Kreml schimmerten herüber mit seinen Türmen und dem Iwan-Weliki, dem höchsten Kirchturm im Kreml. In der Nähe funkelte und glänzte die Kuppel eines Klosters. Man vernahm Kirchengesang, der Peter daran erinnerte, daß es Sonntag war, und zugleich der Feiertag der Geburt der heiligen Jungfrau. Aber niemand schien daran zu denken, überall zeigten sich nur die Verheerungen der Feuersbrunst. Nur selten sah man abgerissene, scheue Gestalten, die sich beim Anblick der Franzosen verbargen.
Peter wurde mit den anderen in ein großes, weißes Haus mit großem Garten geführt. Das war das Haus des Fürsten Schtscherbatow, in welchem Peter früher oft zu Besuch gewesen war und in dem jetzt der Marschall Davoust, Herzog von Eckmühl, wohnte.
Sie wurden vor der Haustür aufgestellt und einzeln hineingeführt, Peter war der sechste. Durch eine Glastür kamen sie in die Galerie und die Vorräume, welche Peter bekannt waren, und in das lange, niedrige Kabinett, bei dessen Tür ein Adjutant stand.
Davoust saß am Ende des Zimmers an einem Tisch, mit einer Brille auf der Nase. Peter trat nahe auf ihn zu. Der Marschall suchte sich aus einem Papier zu unterrichten, das vor ihm lag, und ohne die Augen zu erheben, fragte er leise: »Wer sind Sie?«
Peter schwieg, weil er nicht imstande war, ein Wort zu sprechen. Davoust war für Peter nicht einfach ein französischer General, sondern ein Mensch, der durch seine Grausamkeit bekannt war. Während Peter das kalte Gesicht des Marschalls ansah, fühlte er, daß jede Sekunde der Zögerung ihm das Leben kosten konnte, aber er wußte nicht, was er sagen sollte. Noch ehe er einen Entschluß fassen konnte, hob Davoust den Kopf auf, schob die Brille auf die Stirn, kniff die Augen zusammen und blickte Peter durchdringend an.
»Ich kenne diesen Menschen«, sagte er mit kalter, gemessener Stimme, welche augenscheinlich Peter schrecken sollte.
»Das ist nicht möglich, General, ich habe Sie nie gesehen.«
»Das ist ein russischer Spion«, unterbrach ihn Davoust, indem er sich an einen andern General wandte.
»Nein, Hoheit«, sagte Peter, der sich plötzlich erinnerte, daß Davoust Herzog war, »Sie können mich nicht kennen. Ich bin Offizier vom Landsturm und habe Moskau nicht verlassen.«
»Ihr Name?« fragte Davoust.
»Besuchow.«
»Was beweist mir, daß Sie nicht lügen?«
»Hoheit!« rief Peter, nicht mit beleidigter, sondern bittender Stimme. Davoust schaute ihn durchdringend an. Einige Augenblicke blickten sie einander in die Augen, und dies rettete Peter. In diesem einen Augenblick