Emotional gesund leiten. Peter Scazzero
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Ich hatte keine Theologie für das, was ich erlebte. Ich hatte auch keinen biblischen Bezugsrahmen für Trauer und Leid. Ein guter Pastor sollte doch seine Herde lieben und gern vergeben. Das konnte ich aber nicht. Ich wusste, ich war zornig und verletzt, aber was in der Tiefe in mir vorging und was sich in meinem Innenleben abspielte, entging mir.
Ich machte alles und jeden für meine Probleme verantwortlich – die Gemeinde war einfach zu komplex, Gemeindeaufbau verlangte zu viel von einem, Geri beanspruchte mich zu sehr, die Kinder kosteten zu viel Kraft, vermutlich waren gegnerische geistliche Kräfte am Werk, die Gemeinde betete zu wenig … Es kam mir überhaupt nicht in den Sinn, dass meine Probleme ihre Ursache in mir und meiner Person haben könnten.
Irgendwie gelang es mir, die Dinge noch ein ganzes Jahr am Laufen zu halten, bis der endgültige Schlag kam: Am 2. Januar 1996 teilte Geri mir mit, dass sie aus unserer Gemeinde aussteigen würde.1 Es war das Ende jeglicher Illusionen, die ich noch hegte, dass ich an dem Chaos unbeteiligt sei, das in meinem Leben herrschte.
Die Gemeindeleitung riet uns zu einer Auszeit von einer Woche, in der wir versuchen sollten, eine Lösung für uns zu finden. Also verbrachten wir fünf volle Tage miteinander und im Gespräch mit zwei Seelsorgern in einem geistlichen Zentrum. Mein Ziel für diese Zeit war klar: Ich wollte Geris Probleme lösen, sie zur Vernunft bringen, damit unser Beziehungsschmerz aufhörte und wir uns wieder dem wirklich Wichtigen zuwenden konnten: der Gemeindearbeit. Womit ich nicht rechnete, war, dass Gott uns in dieser Zeit begegnen würde. Er tat es – und es hat unser Leben verändert.
Was ich erlebte, nenne ich meine zweite Bekehrung. Und wie bei der ersten erlebte ich auch diesmal: Ich war blind gewesen und hatte plötzlich neuen Durchblick. Gott öffnete mir die Augen und ich erkannte: Ich bin nicht nur Arbeiter in Gottes Weinberg. Ich bin sein geliebtes Kind. Entscheidend ist nicht, was ich tue, entscheidend ist, wer ich bin. Mit dieser Erkenntnis kam die Erlaubnis, schwierige Emotionen wie Zorn oder Trauer zuzulassen.
Außerdem wurde mir klar, wie viel Einfluss meine Ursprungsfamilie auf mein Leben hatte, auf meine Ehe, auf die Weise, wie ich die Gemeinde führte. Anfangs erschreckte mich diese Entdeckung; aber bald fand ich darin eine neue Freiheit. Ich konnte aufhören, jemand zu sein, der ich nicht bin, und machte erste Schritte darin zu lernen, der echte Pete Scazzero zu sein – mit meiner einmaligen Kombination aus Stärken, Leidenschaften und Schwächen.2
Aber diese zweite Bekehrung konfrontierte mich auch mit schmerzhaften Wahrheiten, die ich nicht länger leugnen konnte. Ich war auf dem emotionalen Entwicklungsstand eines Säuglings, versuchte aber, andere zu Müttern und Vätern im Glauben heranzubilden. Es gab weite Bereiche in meinem Leben, die von Jesus Christus überhaupt noch nicht berührt waren. Ich konnte die einfachsten Dinge nicht: wirklich präsent und wach sein oder einem anderen wirklich zuhören.
Fast zwanzig Jahre lang hatte ich die emotionale Komponente in meinem geistlichen Wachstum und in meiner Beziehung zu Gott ignoriert. Ich mochte noch so viele Bücher lesen oder Tage im Gebet verbringen – solange ich nicht zuließ, dass Christus selbst mein Leben in der Tiefe weit unter der Oberfläche veränderte, würde ich in meinem Schmerz und meiner Unreife gefangen bleiben.
Ich entdeckte, dass mein Leben einem Eisberg glich – nur ein kleiner Teil war mir bewusst, aber unter der Wasseroberfläche gab es einen weitaus größeren und meist unerforschten Kontinent. Und dieser unerforschte Kontinent hatte sich höchst unheilvoll auf meine Ehe und auf meinen Führungsstil ausgewirkt. Erst als ich verstand, dass die verborgenen, unterirdischen Aspekte meines Lebens noch gar nicht in Kontakt mit Jesus gekommen waren, entdeckte ich auch, dass geistliche Reife untrennbar verbunden ist mit emotionaler Gesundheit – es ist unmöglich, im Glauben zu reifen und gleichzeitig emotional stehen zu bleiben.
Das Eisberg-Modell
Was unter der Oberfläche ist
Es folgten Jahre, in denen Geri und ich unser Leben und unseren Dienst in der Gemeinde stark veränderten. Wir arbeiteten nur noch fünf Tage pro Woche, nicht sechseinhalb. In allem, was wir für Gott taten, war unser wichtigstes Anliegen, aus der Liebe und in Liebe zu handeln. Wir mussten lernen, was das heißt. Wir nahmen eine Menge Tempo aus dem Gemeindeleben in New Life heraus. Wir unternahmen unsere eigene Entdeckungsreise auf den unbekannten Kontinent unter der Oberfläche – und wir luden die Mitarbeiter der Gemeinde ein, uns dabei zu begleiten. Das Ergebnis war nichts Geringeres als eine kopernikanische Wende – im Blick auf meinen eigenen Weg mit Christus, auf meine Familie, auf meine Leitungsaufgabe. Die Gemeinde New Life Fellowship blühte wieder auf.
Bekehrung 3: Von Überaktivität zu entschleunigter Spiritualität
Als ich zum Glauben kam, verliebte ich mich in Jesus. Zeit mit ihm zu haben, Gebet und Bibellesen waren mir wichtig. Aber schon sehr bald überschattete meine Aktivität (was ich für Jesus tat) die kontemplative Seite meines Lebens (einfach da sein vor Jesus, bei Jesus). Und es dauerte nicht lange, da war ich in zahllose Aktivitäten für Gott eingebunden, die sich aber nicht mehr aus meinem Sein bei und vor Gott speisen konnten.
Meine dritte Bekehrung erlebte ich in den Jahren 2003 bis 2004, in einer viermonatigen Sabbatzeit. In dieser Zeit besuchten Geri und ich eine Reihe von Klöstern (protestantische, orthodoxe und römisch-katholische) und ließen uns ein auf den klösterlichen Lebensrhythmus von Einsamkeit, Schweigen, Schriftbetrachtung und Gebet. Am Ende unserer Sabbatzeit hatten wir einige radikale Veränderungen vorgenommen, um unser Leben zu entschleunigen. Unsere wichtigsten geistlichen Übungen wurden jetzt Zeiten des Alleinseins, Schweigen, das Beten des Stundengebets und eine bewusste Gestaltung des Sonntags. Die Freude und Freiheit, die wir darin fanden, waren so groß, dass wir uns fragten, ob Gott uns vielleicht aus dem intensiven Großstadtleben in New York City heraus und an einen ruhigeren und beschaulicheren Ort rief. Aber sehr bald wurde deutlich, dass eben diese geistlichen Übungen grundlegend dafür waren, dass wir in Queens bleiben und die Gemeinde weiterhin leiten konnten.
Ich hörte auf, darum zu beten, dass Gott segnete, was ich mir vornahm. Ich betete stattdessen, dass sein Wille geschah.
Ich lernte, Gott selbst und seine Nähe im Gebet zu suchen – nicht nur seine Segnungen.
Ich arbeitete weniger. Gott arbeitete mehr.
Mein Bild von Gott entwickelte sich: Ich sah ihn jetzt als immanent und transzendent und erkannte mehr und mehr, dass er ebenso in mir wie auch weit über uns hinaus am Werk ist.
Ich fing an, den Erfolg meiner pastoralen Arbeit nicht mehr am Spendenaufkommen und an der Zahl der Gottesdienstbesucher zu messen, sondern daran, ob es im Leben der Menschen Veränderungen zum Besseren gab. Diese neue Ausrichtung hatte enorme Auswirkungen, sodass es mich drängte, über unsere Erfahrungen zu schreiben. Das Ergebnis war mein Buch Glaubensriesen – Seelenzwerge. Die Gemeinde wuchs. Es gab spürbare Veränderung im Leben von Einzelnen. Ich fühlte mich persönlich und auch beruflich gestärkt. Aber noch immer war ein Territorium meines Eisbergs unberührt: die Frage der Leitung.
Bekehrung 4: Vom „Durchmogeln“ zu einem integren Führungsstil
Die Gemeinde gedieh in vielerlei Hinsicht, aber noch immer gab es eine deutliche Kluft zwischen dem, was ich über emotionale und geistliche Gesundheit gelernt hatte, und meinem eigenen Führungsverhalten als leitender Pastor. So bemühte ich mich im Hinblick auf mein persönliches Leben, unsere