Emotional gesund leiten. Peter Scazzero
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Emotional gesund leiten lässt sich nicht schnell durcharbeiten. Lesen Sie langsam, machen Sie das Gelesene zum Gebet. Notieren Sie Ihre Gedanken und Fragen. Und wenn Sie den maximalen Nutzen von diesem Buch haben möchten, suchen Sie sich mindestens einen Lesepartner – oder nehmen Sie Ihr ganzes Leitungsteam – und lesen Sie es gemeinsam.
Mein Wunsch ist, dass dieses Buch die Tür öffnet zu einem ganz neuen Selbstverständnis und einer radikal anderen Weise, Leitung auszuüben. So wie Gott Abraham aus seinem vertrauten Umfeld herausrief, so, glaube ich, ruft er auch jeden von uns, vertrautes Gebiet zu verlassen und Gottes Ruf in unbekanntes, neues Territorium zu folgen – in ein Territorium voller Verheißung. Mein Wunsch ist, dass Sie auf diesen Seiten dem lebendigen Gott neu begegnen und wie Abraham entdecken, dass Gott vor Ihnen hergeht und Schätze und Erkenntnisse für Sie bereithält, die nicht nur Sie selbst verändern, sondern auch die Menschen, die Ihnen anvertraut sind.
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Der emotional unreife Leiter
Was fällt Ihnen zuerst ein, wenn Sie an einen emotional unrei fen Führungsstil denken? Oder besser: Wer fällt Ihnen zuerst ein? Ist es ein Vorgesetzter, ein Kollege, jemand aus Ihrem Team? Oder vielleicht sogar Sie selbst? Wie würden Sie eine emotional unreife Person beschreiben? Ist das jemand, der chronisch jähzornig ist? Oder aggressiv und kontrollierend? Oder eher jemand, der zögerlich, nicht authentisch und passiv ist? Ein emotional unreifer Führungsstil kann all das und noch viel mehr umfassen. Die grundlegende Definition ist vielleicht einfacher und zugleich facettenreicher, als man vermuten würde:
Der emotional unreife Leiter handelt aus einem andauernden emotionalen und spirituellen Defizit heraus. Es fehlt ihm an einer in Gott gegründeten Persönlichkeit, aus der sich sein Tun für Gott speisen könnte.
Emotionale und spirituelle Defizite beeinflussen nahezu jeden anderen Aspekt des Lebens. Unreife Leiter sind zum Beispiel nicht im Kontakt mit ihren Gefühlen, ihren Schwächen und Grenzen. Sie sind sich nicht bewusst, wie ihre Vergangenheit sich auf ihr gegenwärtiges Verhalten auswirkt und wie sie auf andere wirken. Ihnen fehlen die Fähigkeit oder entsprechende Techniken, um die Gefühle und Sichtweisen anderer mitempfinden oder nachvollziehen zu können. Und diese Defizite tragen sie in ihre Teams und in alles, was sie tun, hinein.
Die Folge ist, dass emotional unreife Leiter sich durchmogeln, wenn sie eigene Werke aufbauen. Um mit dem Apostel Paulus zu sprechen: Statt mit soliden und dauerhaften Materialien zu bauen – Gold, Silber und Edelsteine (1 Kor 3,10-15) –, begnügen sie sich mit Holz, Stroh und Lehm. Sie bauen mit minderwertigem Material, das sie selbst nicht überdauern wird, ganz zu schweigen vom letzten Gericht. Und so verdunkeln sie den Glanz Gottes und seine Herrlichkeit, die sie doch nach ihren eigenen Worten der ganzen Welt verkünden wollen. Das tut niemand, der irgendwo eine Leitungsfunktion wahrnimmt, bewusst. Und doch passiert es immer und überall.
Sehen wir uns ein paar Beispiele an, wie das konkret aussieht.
Sarah ist verantwortlich für die Jugendarbeit in der Gemeinde. Sie ist überfordert. Aber sie bringt es nicht fertig, erwachsene Ehrenamtliche zu gewinnen, die sie unterstützen und die Reichweite der Arbeit vergrößern könnten. Sie verfügt durchaus über Führungsqualitäten, aber sie ist defensiv und leicht gekränkt, wenn andere eine andere Meinung haben als sie. Die Jugendarbeit stagniert und es geht sogar langsam bergab.
Josef ist Lobpreisleiter. Er ist ein dynamischer Typ, aber er ist sehr spontan und häufig unpünktlich und dadurch verliert er immer wieder wichtige Band-Mitglieder. Er erkennt nicht, dass das, was er seinen „Stil“ nennt, Menschen abschreckt, die ein anderes Temperament haben. Er glaubt, er sei „authentisch“, und steht dazu, dass er eben so ist. Er ist nicht bereit, anderen und deren Bedürfnissen entgegenzukommen. Kaum verwunderlich, dass die Qualität der Musik und der Anbetung im Gottesdienst immer mehr abnimmt.
Martin leitet als Ehrenamtlicher die Kleingruppenarbeit seiner Gemeinde. Seitdem ist diese Arbeit aufgeblüht – in den letzten Monaten sind drei neue Gruppen entstanden. 25 bisher kirchenferne Menschen treffen sich 14-tägig, um mehr über den Glauben zu erfahren. Aber unter der glänzenden Fassade gibt es Risse. Der Leiter der Kleingruppe, die am schnellsten gewachsen ist, führt den Kreis in eine andere Richtung als die, die die Gemeinde vorgibt und ansteuert. Martin ist beunruhigt, aber er vermeidet es, das Problem anzusprechen, aus Angst, dass das Gespräch schwierig werden könnte. Ein anderer Hauskreisleiter hat durchblicken lassen, dass er familiäre Probleme hat. In einer anderen Gruppe gibt es Vielredner, die andere aus der Gruppe vergraulen, und der Leiter hat Martin um Unterstützung gebeten. Aber Martin geht einem Gespräch aus dem Weg. Er ist konfliktscheu und hofft, dass die Dinge sich irgendwie von selbst lösen werden. Nach sechs Monaten sind drei der vier neuen Hauskreise eingeschlafen.
Vier Kennzeichen eines emotional unreifen Leiters
Die Defizite emotional unreifer Leiter beeinträchtigen praktisch jeden Bereich ihres Lebens und ihrer Führungsverantwortung. In den folgenden vier Bereichen wirken sie sich aber besonders unheilvoll aus.
1. Geringes Maß an Selbstwahrnehmung
Emotional unreife Leiter sind sich in der Regel nicht darüber im Klaren, was in ihnen selbst vorgeht. Und selbst wenn sie eine starke Emotion wie etwa Zorn wahrnehmen, wissen sie nicht, wie sie damit umgehen sollen oder wie sie sie ehrlich und auf angemessene Weise zum Ausdruck bringen können. Sie ignorieren Körpersignale, die eine Gefühlsbotschaft tragen – Erschöpfung, Krankheit, die auf Stress beruht, Gewichtszunahme, Kopfschmerzen oder Depression. Sie erkennen nicht, dass Gott ihnen durch diese „schwierigen“ Gefühle vielleicht etwas sagen möchte. Meist fällt es ihnen schwer, Auslöser für eine emotionale Überreaktion zu erkennen und zu sehen, wie ihr Verhalten heute mit schwierigen Erfahrungen in der Vergangenheit zusammenhängen könnte.
Oft haben sie Persönlichkeitsmodelle mit Gewinn durchgearbeitet (etwa den Briggs-Myers-Typenplan, das Enneagramm oder das DISG-Modell). Aber wie ihr Verhalten mit den Mustern der eigenen Ursprungsfamilie zusammenhängt, bleibt ihnen meist verborgen. Das fehlende Bewusstsein für die eigenen Emotionen führt auch dazu, dass sie die emotionale Welt anderer oft nur schwer oder gar nicht verstehen und nachempfinden können. Oft sind sie blind dafür, wie ihre eigenen emotionalen Defizite sich darauf auswirken, wie andere sie wahrnehmen, ganz besonders in ihrer Rolle als Führungspersonen.
2. Dienst erscheint wichtiger als der private Lebenskontext
Egal, ob verheiratet oder nicht, die meisten emotional unreifen Leiter würden zustimmen, dass es wichtig ist, in guten und vertrauten Beziehungen zu leben, in denen man Intimität erfahren kann. Aber nur wenige haben eine Vorstellung davon, dass ihre Ehe oder ihr Singledasein die größte Gabe sein könnte, die sie in ihren Dienst für andere einbringen können. Viele betrachten ihre Ehe oder ihr Singleleben vielmehr als ein wichtiges und stabiles Fundament für etwas noch Wichtigeres – nämlich die Aufgabe, ein funktionierendes Werk oder Unternehmen oder eine attraktive Gemeinde aufzubauen. Das ist ihre oberste Priorität. Und so investieren sie den größten Teil ihrer Zeit und Kraft, um eine bessere Führungskraft zu werden, aber nur wenig, um eine gute Ehe zu führen oder ein eheloses Leben so zu gestalten, dass darin etwas davon deutlich wird, was die Liebe Jesu bedeuten kann.
Emotional unreife Leiter neigen dazu, ihr Privatleben – Ehe oder Single-Dasein – abzuspalten, sowohl von ihrer Führungsrolle als auch von ihrer Beziehung zu Jesus. So treffen sie etwa weitreichende Führungsentscheidungen, ohne zu berücksichtigen, wie sich diese langfristig auf die Qualität und Integrität ihrer Ehe oder ihres Lebens als Single auswirken. Sie verausgaben ihre besten Kräfte, Gedanken und kreativen Anstrengungen, um andere zu führen, aber sie investieren nichts, um ein erfüllendes und glückliches Leben