Karin Bucha Staffel 4 – Liebesroman. Karin Bucha
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Nawarra starrte den Sprecher wie einen Geist an. Unbeherrscht stieß er hervor:
»Woher…«
Verächtlich maß Doktor Hellberg die Jammergestalt. Halb zu Michael und Harry, die gespannt mit vorgebeugtem Oberkörper die Szene verfolgten, halb zu dem Präsidenten gewandt, erklärte er mit stoischer Ruhe:
»Sehen Sie sich Nawarras Anzug an. Wer den Busch so gut kennt wie ich, weiß, daß dieser Mann die Spuren des Urwaldes an seiner Kleidung trägt.«
Ein Fluch fuhr über Nawarras Lippen.
»Sie sind ein Teufel!« stieß er, nunmehr die Maske fallen lassend, hervor.
Im Nu packte Hellberg den wie wild mit den Armen um sich schlagenden Mann und schüttelte ihn ohne große Anstrengung hin und her.
»Wo, frage ich zum letzten Mal, haben Sie Ihre Begleitung einem ungewissen Schicksal überlassen?«
Ein höhnisches Lachen war die Antwort. Frech grinste Nawarra den Doktor an.
Dieser griff langsam in seine Rocktasche. Blitzschnell richtete er den Lauf eines Revolvers auf Nawarra.
»Ich gebe Ihnen drei Minuten Zeit, dann knalle ich Sie wie einen tollen Hund nieder. Denn was Sie getan haben, ist dreifacher Mord.«
»Dann würden Sie schwerlich die Damen wiedersehen«, höhnte Nawarra, aber er zitterte am ganzen Körper.
»Na also, jetzt haben Sie sich verraten.«
In Santago brannte die Scham wie ein ätzendes Gift.
»Tatsächlich«, murmelte er und sank schwerfällig vor seinem Schreibtisch in den Sessel. »Er ist mitbeteiligt an der Entführung der Damen. Aber der Sache mit dem Schatz…«, zweifelte er, sein Gesicht mit der Hand beschattend.
Ein überlegenes Lächeln umspielte Hellbergs Mund.
»Nawarra«, fuhr er den Dicken barsch an und hielt abermals den Revolver auf seine Brust gerichtet, »wollen Sie so freundlich sein und Ihre Brieftasche dem Herrn Präsidenten aushändigen?«
»Gehen Sie zum Teufel!« schrie Nawarra mit kalkigem Gesicht.
»Hände hoch!« brüllte Hellberg und trat dicht an Nawarra heran. Mit einem geschickten Griff war dessen Brieftasche in seinem Besitz.
Er warf sie vor den Präsidenten, dessen Hände zitternd danach griffen.
»Bitte, überzeugen Sie sich, Herr Präsident. In der Mitteltasche muß sich der Vertrag befinden, der seinerzeit zwischen Professor Mayring, Bruckner und der peruanischen Regierung geschlossen wurde!«
»Verflucht«, knirschte Nawarra.
Michael und Harry waren fast gleichzeitig aufgesprungen und stützten sich auf die Schreibtischplatte, verfolgten aus weitgeöffneten Augen, wie der Präsident fast feierlich die Brieftasche öffnete und tatsächlich ein umfangreiches Schriftstück zutage förderte.
»Der Vertrag!«
Totenstille herrschte in dem weitläufigen, vornehmen Raum. Man hörte nur den keuchenden Atem Nawarras, der endgültig sein Spiel verloren gab. Aller Kraft beraubt, war er auf einen Stuhl gesunken und stierte aus glasigen Augen zu Boden.
»Verspielt«, sagte Doktor Hellberg kalt und ging wieder zurück zu seinem Platz.
Michael war keines Wortes fähig. Erschüttert wandte er sich ab, trat an das breite Fenster und stand dort lange regungslos.
Also hatte Gunhild richtig geahnt. Wo mochte sie sein?
Er fuhr herum.
»Herr Doktor«, sagte er, heiser vor Erregung, »wir dürfen keine Zeit verlieren, wir müssen auf die Suche gehen.«
»Sehr richtig.« Doktor Hellberg schnellte in die Höhe. »Wir werden uns später wieder bei Ihnen melden, Herr Präsident, wenn wir die anderen gefunden haben, Sie versprechen uns Ihre Unterstützung?«
»Ich stelle Ihnen bis zum Morgengrauen eine Hilfsexpedition zusammen und ein weiteres Flugzeug. Nawarra wird Ihnen als Wegweiser dienen. Vielleicht ziehen Sie sich indessen zu einer kurzen Nachtruhe zurück.
Den Piloten lasse ich mir selbst kommen. Er wird ohne weiteres gestehen, wenn er sieht, daß Exzellenz Nawarra endgültig gestürzt ist.«
Doktor Hellberg verneigte sich dankbar.
*
Ingrid fühlte sich derb geschüttelt. Gewaltsam riß man sie aus wirren Träumen in die Wirklichkeit zurück.
Langsam öffnete sie die schweren Lider und schaute in das angstverzerrte Gesicht Gunhilds. Auf den ersten Blick sah sie, das war wieder die alte Gunhild mit den ernsten, klaren Grauaugen, in denen das Entsetzen lag.
»Ingrid – mein Gott – was ist geschehen?«
Verwirrt löste Ingrid ihren Blick aus dem Gunhilds. Also war alles ein Traum gewesen? Um sie herum war Einsamkeit, eine üppig wuchernde Wildnis. Drüben lehnte Murphy an einem Baum, scharf hoben sich die Umrisse seiner Gestalt vom hellen Hintergrund ab.
Über sie geneigt war Gunhilds schreckensbleiches Gesicht – und sie selbst lag am Boden, hilflos, mit schweren Gliedern und einer wie Feuer brennenden Wunde auf der Stirn.
»Ingrid!« Gunhild schlang die Arme um das blonde Mädchen. Unwillkürlich fiel auch sie in das »Du« der Leidensgefährtin gegenüber. »Rede doch ein einziges vernünftiges Wort mit mir, wenn ich nicht wahnsinnig werden soll«, beschwor sie die Freundin.
Ingrid schluckte krampfhaft an den nachdrängenden Tränen.
»Komm, Gunhild, ich will dir alles erzählen«, sagte sie, und nun entrollte sie vor Gunhild ein Bild von den vergangenen Ereignissen.
Sie fühlte, wie Schauer über Schauer über Gunhilds Leib rannen. Sie endete wieder mit der mutlosen Äußerung:
»Wir sind verloren, Gunhild, wenn nicht ein Wunder geschieht.«
Gunhild legte die Hände wie im Gebet zusammen.
»Dann möge Gott ein Wunder geschehen lassen.«
Ein dumpfer Fall ließ beide Mädchen herumfahren.
Doktor Murphy war umgesunken.
Sie wagten nicht, sich zu rühren. In Gunhild lebte das Grauen vor dem Mann so stark, daß sie es nicht über sich brachte, sich um ihn zu kümmern.
Ingrid kroch auf allen vieren zu dem am Boden Liegenden.
Mit weitgeöffneten, fiebrigen Augen stierte Murphy ins Leere, seine Lippen bewegten sich mechanisch. Wirre, zusammenhanglose Reden brachen aus ihm hervor.
»Das Fieber – laßt mich liegen – das Fieber«, keuchte er. »Mein