Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band). Peter Rosegger
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Tief erschöpft vor Anstrengung und Aufregung sank er endlich in den Schlummer. –
So lebte er nun. Das fröhliche Feuer auf dem Herde, das er nicht verlöschen ließ, war sein einziger Genosse und Freund. Raben umkreisten die Baumgruppe, in welcher der Rauch emporstieg. In den Nächten heulten die Wölfe und nicht selten hörte der schlaflose Wahnfred die Sprünge und das Röhren der draußen durch Raubthiere vorübergejagten Hirsche. Mehrmals des Tages ging er selbst ins Freie, um Holz zu sammeln, oder um in einem roh ausgehöhlten Gefäße, das er vorgefunden hatte, vom Bächlein her Wasser zu holen, oder um die Gegend zu untersuchen, ging auch mit dem Gewehre auf Jagd aus und kam selten ohne Beute zurück. Der sonst so ahnungsreiche Mann, ahnungslos spielte er mit den Kohlen seines Feuers, während unten die Männer von Trawies verhängnisvolle Körner aus dem Kelche zogen. Er schlief ruhig zu jener Stunde, da unten in der Kirche der Tod, den er zum Altar gesandt hatte, dort die Opfer heischte. Nur einmal, als er auf dem Block vor seinem Hause saß und hinausblickte in das weite stille Schneegefilde und in den bleigrauen Himmel hinein, war ihm plötzlich, als höre er das Glockengeläute von Trawies. Es klang so wunderlich in der Luft, jede der drei Glocken ganz deutlich zu vernehmen, aber als Wahnfred aufsprang, um zu horchen, war es vorüber.
Die alte Schrift sagt: »Das seyn gewest die Klocken von Trawies, so verbannet worden, gleichsamblich in die Wildnussen entfleuchend.«
So nahte die Zeit, in welcher die Christenwelt das Weihnachtsfest begeht. Wahnfred mußte nicht einmal genau den Tag, im Verstecke bei Feuerwart und in der Wildniß war ihm die Zeitrechnung abhanden gekommen. Er sehnte sich so sehr danach, in jener Nacht, in welcher alle Christen zum Jesukinde beten, auch miteinzustimmen, wenngleich in der Einsamkeit und Verlassenheit. Auf dem Wege zu Gott treffen ja Alle zusammen und finden sich und umarmen sich geistig im Vaterunser, in diesem hohen Gebete, das allgemein wie Sturmgebraus und Vogelgesang um den Erdball schallt. – Und nun war Wahnfred so sehr in die Einsamkeit verstoßen, daß ihm nicht blos der Raum, daß ihn auch die Zeit von den Menschen trennen wollte. In jenen Tagen noch hielten die Gläubigen das Weihnachtsfest nicht wie heute für den willkürlich angekommenen und festgesetzten, sondern für den wahrhaftigen Jahrestag der Geburt des Herrn. Und so strenge schlossen sie sich an die Zeit, daß sie selbst in der Winternacht aufstanden, um genau die Stunde zu feiern, die uns den Heiland gebracht hat.
Und diesen Tag und diese Stunde wußte Wahnfred nicht mit jener Bestimmtheit, wie es sein religiöser Sinn verlangte. Nach vielfachen Erwägunen stellte er endlich einen Tag als den heiligen Abend fest. Und an diesem Tage ging er mit kräftigem Stocke bewaffnet aus dem Hause. Die Luft war kalt, der Himmel klar, der Schnee fest gefroren. Er schritt über die weiten Blößen hin, er stieg den felsigen Hang hinan zur Höhe des Donnersteins, von der er weit ins Land sah. Die Trawieser Gegend selbst lag zu tief, nur das Gewände des Trasank baute sich auf, und die Spitze des Johannesberges und ein Waldrücken des Tärn erhoben sich für das Auge. Darüber hinaus blaute das weite Land. Dort stehen die Kirchen und Klöster, die sich vorbereiten zur nächtlichen Feier, dort leben die Menschen, die an Weihgesängen sinnend, freudigen Herzens dem heiligen Feste entgegengingen. Jedes Haus wird ein Tempel, jede Familie umschlingt sich heute inniger als sonst.
So war es auch am Gestade gewesen, wo jetzt aus dem Schnee die Brandstätte ragt ...
Sonst war an diesem Tage, wenn die Sonne sich zu neigen begann, eine eigenthümliche Stimmung über die Gegend gebreitet. In den wachsenden Schatten lag ein wundersamer Zauber. Die Bäche unter dem Eise stellten ihr Flüstern ein und aus den Wäldern widerhallte die Stimme des Menschen nicht mehr. Es war, als ob in Erwartung des göttlichen Wiegenfestes die Natur den Finger an den Mund legte: Stille, stille!
Heute aber? Heute war es, wie es zur Winterszeit in den Bergen immer ist. Wahnfred vermißte jene kindliche Stimmung, weil er sich, wie er glaubte, an dem Tage irren mußte.
Es war ihm noch nicht zum Bewußtsein gekommen, daß dem Unglücklichen, dem eine That zur schuld geworden, das kindliche Himmelreich auf Erden für immer dahin ist.
Während im weiten Lande schon das Meer der Dämmerung herrschte, lag auf der Kuppe, auf welcher Wahnfred stand, noch der lichte Sonnenschein. Da dachte er: Wenn Einer von den Menschen dort jetzt sein Auge erhebt, so wird er wohl im Hochgebirge das Alpenglühen sehen, aber er wird nichts dabei denken und er kann nicht wissen, daß hier in der kalten, leuchtenden Einsamkeit ein Verbannter steht. Daß ich diesem Feste, welches ich nun, wie es einem Einsiedler geziemt, andächtigen Herzens beginne und feiern will, daß ich ihm ein Denkmal setze, einen Altar, so nenne ich den Berg, auf den ich stehe, den Christtagberg.
Er schrieb mit dem Stocke das Wort in den Schnee und dann stieg er herab zu seinem Hause. In demselben ordnete er seine Geräthe, lichtete und reinigte die Stube so gut es ging und steckte in Ermangelung eines anderen Schmuckes Tannenreisig an das rohgeschnitzte Kreuz. Er wußte nicht recht, was er beginnen sollte, um dem Weihnachtsgefühle Genüge zu thun.
Er legte sich in derselbigen Nacht nicht zu Bette. Stets tat er frisches Holz ins Feuer, daß die Flamme lohte und leuchtete. Und dabei dachte er an Weib und Kind. Abseits von Herde zündete er jetzt auf einem Stein zwei Flämmchen an, das eine seinem Weibe, das andere seinem Kinde. Als sie im Verlöschen waren, wendete er sich ab, als wollte er nicht sehen, welches zuerst dahinging. So peinigte ihn selbst die Liebe. Er suchte auch die Bilder von Bethlehem in seinem Gedächtnisse wachzurufen, aber sein Herz blieb heute kalt. Ein anderes Bild, finster und blutig, umgaukelte die lieblichen Idyllen aus dem Morgenlande, und jene Engel, die in den Lüften schwebten und sonst bei den Menschen Frieden verkündeten, bliesen heute Posaunen.
Wahnfred sah, daß er nicht mehr denken und träumen konnte wie sonst, und nicht mehr selig sein in diesem Träumen. Er sehnte sich nach einem Liede, wie sie sein Weib in dieser Nacht gern gesungen hatte, nach einem Erbauungsbuche, nach seiner Bibel sehnte er sich. Hatte denn der Mann, der vor ihm in dieser Klause gewohnt, keine Seele gehabt? Hatte er denn die ganze Aufgabe seines Lebens darin gesehen, Wurzeln und Kräuter zu kauen, vor dem Kreuze zu knien? Hatte er den gar keine Spur eines geistigen Lebens hinterlassen?
Wahnfred durchsuchte noch einmal den Schrank, in welchem er sonst nur einen härenen Sack, ein paar Betschnüre und allerlei alltägliche Dinge gefunden hatte. Er wühlte heute das vertrocknete Moos auf, das sein Lager bildete und unter diesem Lager fand er zwischen zwei Holzbrettchen, die mit einer Schnur umwunden waren – Schriften. Nicht ein gedrucktes Buch, sondern ein Packet von Handschriften. Das war etwas Seltenes. Nicht viele Leute konnten lesen und die Schreibkunst war nur in Klöstern, Schlössern und Städten daheim. Trawies war eine wunderliche Ausnahme. Der Geist der Selbständigkeit, der in dieser Waldgemeinde seit jeher geherrscht hatte, wußte es wohl, daß die Kunst zu lesen, schreiben und rechnen eine Hauptnothwendigkeit geworden war für Jeden, der sein Stückchen Erde frei beherrschen wollte. und so stand ein des Lesens Kundiger vor den Schriften.
Wahnfred legte frisches Holz in die Gluth, setzte sich ans Feuer, durchblätterte die grauen Papierstücke und las sie. Der Inhalt zog seine ganze Seele an ; sein Auge begann seltsam zu leuchten, bis der plötzlich aufsprang und ausrief: »Das ist die Wahrheit!«
Wörtlich könnte es heute nicht mehr gegeben werden, was in diesen Schriften stand, denn die Blätter sind verbrannt worden. Der sie geschrieben hatte, war ein Phantast gewesen. In selbstverschuldetem