Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band). Peter Rosegger
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Читать онлайн книгу Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band) - Peter Rosegger страница 180
Wenige Wochen vergingen nach dieser unseligen Weihnacht, und Wahnfred ging ernstlich mit dem Gedanken um, sich das Leben zu nehmen. Oft, wenn ihn das blutige Bild aus der Kirche zu Trawies beängstigte, fand er in diesem Vorhaben Beruhigung. Blut um Blut, so sagten ja auch die heiligen Schriften.
Nur seinem Erlefried hätte er noch gerne die Lehren des Vaters ans Herz, den Segen des Vaters aufs Haupt gelegt. Das konnte zu solcher nicht sein. Hinaus ging er, schrieb es mit dem Stabe auf den Schnee: »Mein Sohn! Sei liebreich gegen die Menschen und wahr, aber folge ihnen nicht. Ohne Wehmuth zerhaue das Band zwischen ihnen und Dir und wandle den einsamen Pfad durch Noth und Tod hinauf zu Deinem Herrn.« Wenn dieser Schnee zerrinnt und die Wasser niederbrausen, und wenn Deine Worte Häuser niederreißen und Städte zerstören, was dann?
Er grub mit dem Stabe über die Schrift hin und strich sie aus.
In den ersten Tagen des Februar wurde der Gesichtskreis so rein, daß Wahnfred, wenn er auf den Donnerstein, dem Christtagberge, stand, über die Waldkämme hin das Heideland mit den fünf Kiefern sah und dahinter das Hügelgelände mit den breiten Thälern und den vielen Ortschaften, die ganzen weiten Gaue mit dem zackigen Bergzug, der in der Ferne durchsichtig wie Glas erschien und den Wahnfred’s Auge bisher noch nie erreicht hatte. Eine laue Luft wehte aus jenen Gegenden her und die letzten Schneeschollen fielen von den Bäumen herab, so daß der Wald und die einzelnen Baumgruppen ganz schwarz dastanden auf dem weißen Grunde. Alle Waldrücken des Ritscher schienen näher geschoben, und es lag mitten im Tage über Allem eine matte Dämmerung. Der Himmel war gleichmäßig grau angelaufen und die Sonne nicht sichtbar. Die Luft war feucht, und wenn Wahnfred über den Schnee ging, so brach er ein bis auf den Grund.
In diesen Tagen ließen die Wölfe das heulen sein, denn sie litten keinen Hunger. Das Hochwild, das sie jagten, konnte nicht weiter und war leicht zu erjagen. Auch Wahnfred schoß einen großen Hirschen und war nun einige Zeit mit Fleisch versorgt.
Und in einer dieser Nächte war es, daß Wahnfred aus dem Schlafe geweckt wurde. Er hörte ein eigenartiges Tosen, daß davon das Haus erbebte. Er dachte an Wasser und sprang auf. Als er die Thür öffnete, um hinaus ins Freie zu sehen, ging ein vielstimmiges Pfeifen hin über das Dach. Er trat hinaus, betäubt noch vom Schlafe, da drang es wie ein Ruthenschlag an sein Haupt.
»Wer ist da?« Rief er laut, aber das Brausen und Pfeifen währte fort, und Wahnfred bekreuzte sich und sein Gedanke war: Die wilde Jagd fährt über mein Haus.
Als das Sausen und Brausen immer fortwährte, jetzt tosend in den Schutztannen des Hauses, jetzt rauschend dort in den Baumgruppen am Waldsaume, da wurde Wahnfred endlich gewahr, daß es der Sturm wäre. Er zog sich zurück unter das schützende Dach und machte Feuer an. Selbst die sonst so fröhlichen Flammen zuckten und zitterten, und in Wahnfred wurde die Erinnerung an seine That, das Bewußtsein seines Elendes von Neuem mächtig aufgerüttelt; in dem Getöse und Gezische des Windes hörte er winselnde Gespenster. Vom Trasank hernieder schwebten blasse Nebelgestalten, sie trugen Lichter, welche keinen Schein gaben, blaue zuckende Flämmlein. Eine der verschleierten Gestalten in den Wolken hielt einen Kelch empor, aus welchem Blut überfloß und vom Sturme hingepeitscht auf die Erde tropfte. Dann kamen Wesen in schwarzen Hüllen, sie trugen auf hoher Bahre den Erschlagenen.
Wahnfred sprang auf.
»Ein Ende, ein Ende!« rief er aus, »ich bin bereit, Wenn es Gottes Wille ist, er nehme mich. Nur die eigene Hand sträubt sich dagegen. O, möchte eine von euch, ihr Tannen, über mein Haupt niederbrechen! Jauchzend wollte ich sterben. Nur ich selbst kann nicht mehr tödten. Wohlan, über den Ritscherwald stürmt jetzt der Tod, ich höre die Äste krachen, die Stämme brechen. Ich will einen Spaziergang machen.«
Und als der Morgen graute und ein blasses Licht lag über den Blößen und über dem Gebäume, das heute alllebendig war, verließ Wahnfred das Haus. Er trug weder Stock noch Beil, noch andere Wehr mit sich. Oft brach er tief in den weichen Schnee, er rang sich wieder heraus und dem Walde zu. Oft wollte ihm der Wind, der lau über das Schneefeld fegte, den Athem verschlagen. Unweit von ihm, in einer Gruppe rüttelte der Sturm mit aller Macht, das Geäste schlug wie abwehrend auf und nieder, die Wipfel bogen sich wie ausweichend hin und her, nur einer stand inmitten, der größte, der älteste, der Ahn; er stand und – brach. Knisternd, schmetternd, krachend, dröhnend stürzte er in den Schnee, der wie Wasser hoch auffluthete und den Stamm in sich begrub. Nur wuchtiges Geäste ragte noch hervor, und an diesem rüttelte und zauste der Sturm.
Überall im Walde rauscht es, alle Wipfel wiegten sich beständig hin und her, jetzt mäßiger, gelassener, plötzlich wieder erfaßt zu heftigem Schwunge, sich stemmend dann und bäumend – der eine widerstand, der andere brach. Was war das für eine Aufruhr in der Wildniß! Die Bäume schienen sich gegenseitig zu jagen, zu peitschen. Die kleinen bogen sich leicht und duckten sich, aber die großen schleuderten ihre Äste auf sie nieder. Besäet mit Strünken, Zweigen und Zapfen war der Boden. Manches Rabennest war mit dem Wipfel herabgeflogen und die Thiere flatterten und kreischten zornig oder rathlos darüber hinweg.
Durch diesen Wald schritt nun Wahnfred, der Mann vom Gestade. Sein Haupt war entblößt, harrte willig des Streiches. Er ging nicht langsam, er ging nicht rasch, aber er ging seinen gleichmäßigen Schritt. Er sprang nicht hin dort, wo ein Baum brach, er wich nicht aus dort, wo ein Strunk stürzte. Oft streifte ihn das Reisig eines niederfahrenden Astes, oft flog ihm der aufspringende Schnee ins Gesicht, aber er blieb unversehrt. Je wilder der Sturm wüthete, desto freudiger brannte sein Auge. Mehrmals war sein Weg verlegt. Mit hochragendem Knie lehnte manch geknickter Stamm, manch anderer hing noch an seinem Strunk, kopfüber den Wipfel in den Schnee gestürzt. Manch anderer wieder, aus der Höhe niedergebrochen, war hängen geblieben im luftigen Geäste der niedrigeren, die ihn nun mit ihren Armen hielten und trugen wie eine Bahre.
Wahnfred, den Todsucher, hat keiner getroffen.
Er wand sich weiter durch das Gestrüppe und das Gefälle, er kroch darunter und kletterte darüber hin. Dort wo stürzende Bäume ihre Wurzelscheiben mit sich aufgerissen hatten, daß diese nun wie Bergmassen ragten, war das Weiterkommen am mühsamsten, und wenn auch noch die Grundlosigkeit des Schnees dazukam, in welchen Wahnfred, schon erschöpft und unbehilflich, oft bis an die Brust einsank, und wenn er sich umstrickt sah von dem Gewirre des zerrissenen Waldes und über all dies hin ungebändigt die Windsbraut raste, so wollte ihn doch das Schauern des Todes erfassen.
Als er so in den Schneemassen lehnte, als er sich den Schweiß vom Angesichte wischte und mit dem Schweiß eine Thräne über sein unglückliches Leben, stieg auf einem Baumstamme, der vor ihm hingeworfen lag, vorsichtigen Schrittes ein Wolf heran. Ein großes Thier, mager mit verfilzten Haaren und mit Hungersgier in den grünlich glühenden Augen. Als er denn Mann sah, blieb er auf seinem Wege stehen, drehte die gespitzten Ohren nach vorwärts, und aus seiner Schnauze blinkten die Zähne. Lange stand er unbeweglich da mit eingezogenem Schweife und kräftig gestemmten Vorderbeinen und ließ seine Augen glühen. Als er erwogen haben mochte, wie ganz wehrlos der Mann im Schnee stak, fing er an zu knurren und schon stand er auf dem Sprunge nach seinem Opfer, da rauschte ein buschiger Wipfel hernieder. Erschrocken sprang das Raubthier mit mächtigen Sätzen über das Gefälle hin.
Wahnfred, nun durch die Angst vor dem Wolf neu belebt, sichte sich aus seiner Lage allmählich wieder hervorzuarbeiten. Es gelang ihm; er ging weiter, sein Ohr war fast betäubt von dem steten Gebrause. Er hatte einen solchen Sturm noch nie erlebt. Zur Zeit, als er ein siebenjähriger Knabe gewesen, hatte auch ein Sturmwind die Wälder von Trawies verheert. Die Leute hatten damals nach altem Volksglauben gesagt, es müsse sich Jemand erhenkt haben, weil sich die Bäume so schüttelten. Und bald darauf erfuhr man es, daß sich im Trasankthale ein Holzknecht aus Verzweiflung darüber, daß sein vergrabenes