Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band). Peter Rosegger

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Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band) - Peter  Rosegger

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verscharrt. Was hat damals Wahnfred’s Großvater, der alte Zimmermann auf der Krücke für ein Wort ausgesprochen? – Jedes Verbrechen, so sagte der Greis, kann verziehen werden, nur der Selbstmord nicht. Denn der Selbstmord kann nicht mehr gebüßt werden.

      Wahnfred blieb stehen und dachte über das Wort seines Vorfahren nach. Die ganze, unmeßbare Liebe, mit welcher einst der Knabe an seinem Großvater gehangen war, erwachte zu dieser Stunde und begann sein Herz zu wärmen. In schmerzlichen Leiden war der alte Mann dahingesiecht, jeden Tag den Tod vor Augen und jeden Tag seinem Gott für das Leben dankend. Wie war die Krankheit qualvoll! Verzehrend fraß sie an den Knochen seines linken Beines; und wie war er doch heiter, liebreich gegen seine Umgebung, wie machte er oft noch Scherze über die eigenen Schmerzen! Und in seiner letzte Zeit lag er still auf dem Bette, preßte die Lippen zusammen, verwand das Zucken seiner Glieder und lächelte mit den Augen. Als sie ihm diese Augen endlich zugedrückt hatten, sagte der Pfarrer: »Ihr wisset es Alle nicht, wie gräßlich er gelitten hat; ich ahne es. Der Dulder fährt vom Mund auf in den Himmel.« – Ja guter Pfarrherr der damaligen Zeit, das ist das rechte Wort gewesen. Dieser Dulder war ein Held. Auf die Freuden der Welt verzichten ist leicht, aber ihrer Leiden spotten, das ist das Trotzigste, das man dem Teufel entgegenstellen kann.

      So dachte Wahnfred, dessen Stimmungen wandelbar waren, wie Luft und Wetter unter den wandelnden Sternen. Da ihn der Himmel an diesem Tage verschonen zu wollen schien, nahm er dies für ein Orakel und war entschlossen, muthig weiter zu leben, sich wieder den Lehren seiner Vorfahren zuzuführen, in denselben Sühne und Rettung zu suchen und die Schriften des Einsiedlers zu verbrennen.

      Er wendete sich auf Umwegen, über Lichtungen, wo der Wind den Schnee theils weggefegt, theils geschmolzen hatte, seiner Thalung zu. Da war über die Blöße her plötzlich ein Schnoben, welches nicht vom Sturme kam; er wendete sich rasch und sah den Wolf – es war jener vom Baumsteg – in eiligem Sprunge auf sich zurasen.

      Kaum hatte Wahnfred noch Zeit, einen aus moderndem Strunke hervorragenden Ast zu brechen. Denselben mit beiden Armen schwingend – barmherziger Gott, wenn jetzt das gräßliche Bild aufsteigt, um ihn zu lähmen! Nein, die funkelnden Augen des Raubthieres hielten ihn gespannt, er erwartete die Bestie und hieb mit aller Kraft darauf los, beim ersten Schlage schon brach der Ast entzwei! Auf zu seiner Brust sprang das wüthende Thier und lechzte nach warmem Blut, eine einzige Wendung, und Wahnfred stieß ihm das gebrochene Stück Holz mit seinem scharfen Splitter tief in den Rachen. Noch bäumte sich die Bestie und schlug mit den Pfoten an die Schnauze, als wollte sie den Speer herausziehen, Blut schoß hervor und röchelnd wälzte sich der Wolf auf dem Boden.

      Wahnfred selbst sank erschöpft auf einen Strunk und sah dem Thiere zu, bis es verendet hatte. Dann lachte er auf; er lachte über sich, des ausgegangen war, um zu sterben. Das war ihm klar, selbst mit dem unerschütterlichstem Vorsatz, zugrunde zu gehen, hätte er sich gegen das Raubthier zur Wehr gesetzt. Da ist keine Zeit zum Denken: willst du, willst du nicht? Durch die Glieder fährt ein Blitz, die Arme ringen von selbst; und der sonst so träumerische Mann hatte in diesem Augenblicke der Todesgefahr, dem Ziel- und Ausgangspunkte all seiner Philosophie, nichts gedacht als: Bestie, ich wehre mich!

      Wölfegeheul, das vereint mit dem Brausen des Windes vom Walde her drang, bewog den Mann zu raschem Aufbruche. Mit einem schweren Aste bewaffnet, eilte er, so gut es ging, seinem Asyle zu, und die Arme des Windes hinter ihm drängten, schoben ihn vorwärts, bis er unterhalb des Christtagberges auf eine Höhung gelangt war. Hier drang ihm Brandgeruch entgegen. In der Mulde zogen sich Streifen Rauches, und einen Augenblick später sah Wahnfred seine Klause brennen.

      Der Sturm hatte eine der Schutztannen gebrochen und niedergeworfen auf das Haus, dessen Dach unter der stürzenden Last geborsten war. Die Trümmer waren auf die Gluth des Herdes gefallen, der Wind hatte das Feuer entfacht und nun flogen die Flammen hochauf in das Geäste und Gewipfel der rauschenden Baumgruppe.

      Als Wahnfred dieses sah, gerieth er in eine Art von Entzücken.

      »Nun weiß ich, o Herr,« rief er aus, »Du willst, daß ich leben soll. Während ich ausging, um den Tod zu suchen, hast Du mich vom Tode gerettet.«

      Nun aber?

      Nun wollte er leben und konnte nicht. Sein geringer Nahrungsvorrath war verbrannt, sein Schießgewehr, der Rest seiner Kleider war mitsammt dem Obdache verbrannt. Schutzlos stand er da und im Walde rüttelte der Sturm, heulten die Raubthiere. Ein Meer von weichem Schnee umgab ihn weit und breit und machte das Fortkommen selbst mittelst Fußscheiben unmöglich. Er fühlte sich hungernd und entkräftet und hatte nichts, um sich zu erquicken. Auf einmal bettelarm. Ja, wenn du das wärest, unseliger Mann, wenn du betteln könntest! Die Bäume werden dir mit schwingenden Armen ihre Zapfen zu.

      Wie unnöthig, Wahnfred, war alles, was du plantest! Der Himmel erhält dich, verdirbt dich, wann er will.

      Mit Schnee hatte er sich geatzt. Aus der Asche seines Hauses hatte er die halbverkohlten Reste von Hirschfleisch gegraben und sie verzehrt. Die nächste Nacht hatte er schlaflos auf der glosenden Brandstätte zugebracht.

      Der Sturm war vergangen, grauenhaft still lagen die tausend und tausend gebrochenen Stämme. Die laue Luft hatte den Schnee um ein gut Theil zusammengebeizt; wenn nun, wie es den Anschein hatte, wieder Kälte kam und der Schnee fror, so war an ein Entkommen aus diesem nun furchtbar unwirthlich gewordenen Hochthale wohl zu denken. Wohin, was dann? Deß fragte sich Wahnfred heute noch nicht. Vor Allem galt es, auf der Brandstätte das Feuer zu wahren und von den verbrannten Nahrungsresten so viel genießbar zu finden, als der Körper in äußerster Noth bedurfte. Der verbrannte Hirsch duftete weithin, und auch die Wölfe rochen den Braten. Lauernd kamen sie heran, in immer engeren Kreisen umschlichen sie die rauchende Stätte. Wahnfred rettete, was zu retten war, mit sich auf eine der dichtästigen Schirmtannen. Und so saß er nun oben im Astgeflechte einen Tag und eine Nacht. Während der Nacht hatte er sich mit einem zähen Zweig an den Stamm gebunden, daß er im Schlafe nicht hinabstürzen konnte. Wie war die Wohnung, deren Asche nun verglimmte, königlich gewesen gegen diesen Wohnsitz im Getanne! Aber Wahnfred war zufrieden, daß ihn der Baum noch schützte. In der Gefahr war seine Lust zum Leben gar wundersam erwacht, und seine Hoffnung, mit sich und den Menschen doch wieder ins Reine zu kommen, neu erstarkt.

      Die Nacht war kalt und still. Er hatte aus Reisig einen Mantel um seinen Leib geflochten. Die Füße stellten sich auf einen Ast, aber der Schlaf wollte nicht kommen. Es standen die Sterne am Himmel, und die Ruhe, die über dem weiten Walde lag, war so groß, daß sie in der Seele des Menschen fast Unruhe erzeugte.

      Als endlich nach Mitternacht, da sich das Gestirn schon gewendet hatte, die Augen des Baumbewohners sinken wollten, war es, als hätte dort drüben durch den Wald ein Schuß gehallt. Wahnfred fuhr empor. Da aber nichts mehr zu hören war, als das Schweigen der Nacht, da keine Wahrscheinlichkeit gedacht werden konnte, daß wirklich ein Mensch in der Nähe sei, beruhigte sich Wahnfred wieder und sank endlich in Schlaf.

      Als im Morgenschimmer schon die Ammern zwitscherten, als die Sonne aufging und ihr Flammengold goß über das Schneeland, schlief Wahnfred noch immer, aber die Füße waren losgerutscht und gängelten zwischen den Ästen frei herab. Die Reisighülle schützte den Schläfer, dem wohl zu sein schien, wie jenen Thieren, die sich zur Winterruhe in die Bäume verkriechen, und zur Frühlingszeit wieder fröhlich erwachen.

      Wahnfred lag in seiner erquickenden Ruhe wirklich dahin, wie in einem Winterschlafe, und vielleicht wäre er in den Frühling, in den ewigen, hinübergeschlummert, hätte ihn nicht eine laute Menschenstimme aufgeschreckt.

      »O Herrgot!« rief es unten, »hat sich Der auch erhenkt?«

      »Wer ist denn hier?« Fragte Wahnfred und suchte sich eilig von seinen Banden und Panzern freizumachen.

      »Lebst Du doch?« Hierauf die Stimme von unten.

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