Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band). Peter Rosegger

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Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band) - Peter  Rosegger

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Vor dem Feuerschein eines Blitzes hatten die Wimpern seines Auges noch gezuckt, dann waren sie starr geblieben.

      Nun ging Sela heim, um an der todten Gestalt zu wachen. Als sie an der Berghalde über einen Holzzaun stieg, sah sie die schwarze Gestalt nicht, die neben dem Zaune stand und die jetzt, da sie vorüber war, sich zu bewegen begann und ihr nachging. Sela eilte hastig und immer hastiger abwärts, als hätte sie es geahnt, daß sie verfolgt werde. Aber plötzlich stand sie vor der brausenden Trach und konnte nicht weiter. Das Wildwasser hatte den Steg fortgerissen und die Wellen schlugen zornig über das Ufer hinaus.

      Gegen das hin ist das Thal offen, geht der Himmel in seiner blaßgrauen Scharte nieder zwischen den schroffen Bergen. In dieser Scharte stand der Mond.

      Sela stand still und überlegte, was hier zu beginnen sei. Da nahte ihr die schwarze Gestalt vom Zaune und sagte den Namen: »Sela!«

      Sie erschrak nicht, sie kannte die Stimme wohl, konnte es aber doch kaum glauben, daß er nahe sei.

      »Sela,« sagte er, »fürchte Dich nicht vor mir, ich bin Erlefried.«

      »Wie kann es sein, daß Du da bist?« war ihre Frage.

      »Das ist kein Wunder, ich bin hierher gegangen. Nimm nur meine Hand, ich will Dir’s gleich erzählen, aber wir müssen ein wenig in den Wald zurückgehen, hier schreit das Wasser so sehr.«

      Er führte sie vom Bache hintan und sagte: »Das heutige Gewitter ist so mächtig gewesen, daß mir die Angst gekommen ist, es könnte Eurer Hütte was zustoßen. So bin ich in den Dürrbachgraben herabgestiegen und da sehe ich Dich des Wegs mit einem Laternenlicht gehen. Es wird schon dunkel und ich folge Dir. Zu Trawies kann sich keine Maid auf ihren eigenen Schutzengel verlassen. Ich habe gemeint, Dein kranker Vater hätte Dich zur Kofelarztin geschickt, aber Du bist auf den Johannesberg gestiegen und da habe ich Dich erwartet.«

      »Erlefried,« antwortete das Mädchen, »daß Du so zu mir bist – ich dank’ Dir’s allerwege, nur muß ich’s sagen, meine Angst ist jetzt zweifach. Du weißt doch, die Leute dürfen Dich nicht sehen.«

      »Deswegen gehe ich in der Nacht,« versetzte der Jüngling, »und wer mir begegnet, dem erscheine ich als Gespenst. Es ist ja noch ein Glück, daß es Gespenster giebt. Ich wollte für heute nur, wir wären welche, daß wir über dieses Wasser fliegen könnten. Herüben können wir nicht bleiben, wenn wir nicht unten am Gestade, auf dem Steingrunde, wo mein Vaterhaus gestanden ist, übernachten wollen. Nach Trawies dürfen wir nicht hinauf, und da, wo wir stehen, können wir uns nicht zu Schlafe legen.«

      Da schlug Sela vor: »Wir könnten zum Hause auf dem Johannesberg emporsteigen.«

      »Ich hasse die Leute,« antwortete Erlefried.

      »Da oben wohnt Dein Vater.«

      »Ich weiß es. Vor meinem Vater fürchte ich mich.«

      Sela schwieg. Sie dachte über das Wort nach, welches ein Sohn hier gesprochen hatte. Er fürchtet sich vor seinem Vater.

      »Mich däucht immer,« sagte Erlefried beklommen und brach sein Wort ab.

      »Was meinst?«

      »Mich däucht, in Trawies gehen Leute um, die sich dem Teufel verschrieben haben.«

      »Um Gotteswillen, Du wirst doch das von Deinem Vater nicht vermeinen!«

      »Wenn ich auch just das nicht sagen will: ich kenne Andere, die für solche Sach’ nicht zu gut sind.«

      »Erlefried,« entgegnete nach einer kleinen Weile das Mädchen, »daß ein Mensch sich dem bösen Feind verschreiben kunnt, ich glaub’ nicht recht d’ran.«

      »Ich glaub’s wohl. Wenn Einer nur will. Aber mit Ernst wollen muß Einer.«

      »Geh, wer wird denn das wollen!«

      »Wer? Leute genug, die es möchten, daß ihnen alles nach Wunsch ginge. Sie selber bringen es nicht zuweg; der Herrgott, gesetzt die Trawieser hätten einen, läßt sich auch nicht allemal brauchen. Sucht halt der Mensch nachher wen Anderen. Wir thäten auch Einen brauchen, der uns über die Trach trüge.«

      »Du hast ein sündhaftes Reden, Erlefried, wir können uns ja einen Steg legen.«

      Das Steglegen wäre ein unbedacht Beginnen gewesen, denn die Trach war noch immer im Wachsen; jetzt kamen erst die Wasser aus den hintersten Hochschluchten des Trasank, sie wälzten Gestein und Erdreich mit sich und manches Geräthe aus Häusern und Scheunen. Aber dort, wo zwei Felsenbänke den Fluß einengen, hatte der Sturm einen alten Lärchenstamm über quer geworfen und das war ein Steg. Das dichte Geäste bildete einen förmlichen Wald auf dem Stege, durch welchen sich die beiden jungen Menschen mit Gefahr und Mühe winden mußten. Sela schmiegte sich mit dem einen Arm an den Jüngling, während dieser sich wacker von Ast zu Ast griff und die Gefährtin zu stützen suchte. Wie lange war jener liebliche Sonnenwendmorgen schon vorbei, da Erlefried sie wie heute über die Trach geführt. Was war das für eine sonnige Stunde, für eine glückliche Zeit gewesen! Aber jenem Sonnenwendtage entkeimte der Dämon, der heute herrscht zu Trawies im Vereine mit den wilden Nächten der Natur, wüst und zerstörend wie die aus dem Hochgebirge niederfahrenden Fluthen, über welche das junge Paar nun schreiten mußte.

      Endlich waren sie am anderen Ufer, und als sie zur Freiwildhöhe hinanstiegen, erzählte Sela von dem Tode ihres Vaters. Erlefried wischte ihr mit seinen schlanken Fingern die Thränen aus den Wimpern. »Ich will Dir Deinen Vater bestatten helfen, so wie Du mit mir warst, da ich meine Mutter begrub. Wir legen ihn im Wald recht tief zur Erde und wälzen Steine auf sein Grab.«

      Sie schwieg. Wie dieser liebe Mensch so lieblos sein kann! Begraben, begraben!

      Dann gingen sie über die Höhe hin.

      Der Himmel war wolkenlos geworden, der Mond schien überaus hell und mild und warf schwarze Schatten, sein Schein war fast warm. Kein Thierchen rauschte in den Zweigen, keines zirpte im Grase. Selbst die Füße der zwei Menschen traten leise auf. Erlefried und Sela gingen nahe beisammen und ihr Schatten war wie ein einziges Wesen mit zwei Häuptern. Erlefried fühlte sein junges Leben.

      »Ich werde Dich nicht verlassen, Sela,« sagte er, »ich werde bei Dir sein in Deinem Hause und Dich hüten, wie Dich Dein Vater gehütet hat, und Dich liebhaben, wie Dich Erlefried bis auf diesen Tag lieb gehabt hat.«

      »Du wirst bei mir sein,« hauchte das Mädchen tief beklommen.

      »Ich werde heute bei Dir sein,« stieß er kurz und scharf heraus, »ich werde nimmer von Dir gehen. Ich werde in alle Ewigkeit bei Dir sein.«

      »Heute nicht,« flüsterte sie.

      »Heute, Sela, heute. Du zündest das Feuer an, ich verschließe das Haus, da gehören wir nicht mehr zu Trawies. Wir fliehen nicht hinaus ins fremde Land, wir fliehen in uns selbst hinein. Wir gehören unser. Sela! Sela!«

      Hastig riß er sie an sich und küßte sie auf die Stirne, auf das Auge; auf den Mund wollte er sie küssen, da preßte sie ihre Hand an seine Lippen und drückte ihn zurück. Er zog sie rasch mit sich fort gegen das Häuschen im Dürrbachgraben.

      Sela ließ sich ziehen. Einmal, zweimal schlug leise eine Ruthe auf ihre Achsel, Zweige der silbern schimmernden Weiden, die auf dem Moorboden standen und dem Paare nachsahen, nachwinkten.

      Erlefried

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