Anne & Rilla - Zum ersten Mal verliebt. Lucy Maud Montgomery

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Anne & Rilla - Zum ersten Mal verliebt - Lucy Maud Montgomery Anne Shirley Romane

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ucy Maud Montgomery

      Anne & Rilla – Zum ersten Mal verliebt

      Zum Gedenken an

      Frederica Campbell MacFarlane,

      die von mir ging, als der Tag anbrach,

      am 25. Januar 1919,

      eine treue Freundin,

      eine außergewöhnliche Persönlichkeit,

      eine treue und tapfere Seele.

      „Wer in jungen Jahren so Großartiges vollbracht hat, wird für uns immer jung bleiben.“ Sheard

      Notizen aus Glen und anderes

      Es war an einem sonnigen, angenehm warmen Nachmittag. Susan Baker, die schon seit sechs Uhr morgens auf den Beinen war, ließ sich erschöpft, aber zufrieden im großen Wohnzimmer von Ingleside nieder. Es war jetzt vier Uhr, und sie fand, daß sie sich eine Ruhepause und ein kleines Schwätzchen redlich verdient hatte. Eigentlich war sie mehr als zufrieden: In der Küche hatte heute alles wie am Schnürchen geklappt, und Dr. Jekyll hatte sich nicht in Mr. Hyde verwandelt und war ihr deshalb auch nicht auf die Nerven gefallen. Von ihrem Sitzplatz aus konnte Susan die Pfingstrosen sehen, die sie eigenhändig gepflanzt und gepflegt hatte. Sie waren ihr ganzer Stolz. Es gab in ganz Glen St. Mary kein zweites Pfingstrosenbeet, das so schön blühte wie ihres: dunkelrote Pfingstrosen, Pfingstrosen in schimmerndem Rosa und Pfingstrosen so weiß wie Schnee.

      Susan trug eine neue schwarze Seidenbluse, die war mindestens genauso vornehm wie alles, was Mrs. Marshall Elliott jemals trug. Und sie hatte eine weiße gestärkte Schürze mit aufwendig gehäkeltem Spitzenbesatz an, der mindestens zwölf Zentimeter breit war, vom dazu passenden Spitzeneinsatz ganz zu schweigen. Mit dem königlichen Gefühl einer wohlgekleideten Dame schlug Susan also die Daily Enterprise auf, um sich die Notizen aus Glen vorzunehmen, die, wie sie soeben von Miss Cornelia erfahren hatte, heute besonders ausführlich waren und so ziemlich keinen aus Ingleside ausließen. Auf der Titelseite der Zeitung stand in fetter Überschrift etwas von einem Erzherzog Ferdinand oder so ähnlich, der in Sarajevo – komischer Name – ermordet worden war; aber mit so uninteressanten Nebensächlichkeiten konnte Susan nichts anfangen. Sie interessierte sich nur für das, was um sie herum passierte. Aha, da war sie schon an der richtigen Stelle: Allerlei aus Glen St. Mary. Susan machte es sich gemütlich und fing wißbegierig an zu lesen, und zwar laut, damit sie um so mehr davon hatte.

      Währenddessen saßen Mrs. Anne Blythe und ihre Besucherin, Miss Cornelia (alias Mrs. Marshall Elliot) neben der offenen Wohnzimmertür draußen auf der Veranda und plauderten. Eine kühle, angenehme Brise wehte herein und brachte die verschiedensten Düfte aus dem Garten mit sich. Von der Weinlaube, wo Rilla, Miss Oliver und Walter zusammensaßen, drang das Echo ihres fröhlichen Lachens herüber. Wo auch immer Rilla Blythe sich aufhielt, da ging es fröhlich zu.

      Im Wohnzimmer lag, zusammengekuschelt auf dem Sofa, ein weiteres Lebewesen, das nicht unerwähnt bleiben darf. Es besaß nämlich einen ganz außergewöhnlichen Charakter. Und es war noch dazu die einzige Kreatur, die Susan auf den Tod nicht ausstehen konnte.

      Alle Katzen sind geheimnisvoll, aber Dr.-Jekyll-und-Mr.-Hyde – Kurzname Doc – war dreimal so geheimnisvoll. Doc besaß zwei Persönlichkeiten in einer, oder war, daran glaubte Susan felsenfest, vom Teufel besessen. Er hatte in der Tat vom ersten Tag seiner Existenz an etwas Unheimliches an sich.

      Vor vier Jahren hatte Rilla Blythe ein allerliebstes kleines Kätzchen besessen, weiß wie Schnee, mit einer vorwitzigen schwarzen Schwanzspitze. Rilla hatte es Jack Frost genannt. Susan konnte Jack Frost nicht leiden, obwohl sie keinen vernünftigen Grund für ihre Abneigung nennen konnte oder wollte.

      „Lassen Sie sich’s gesagt sein, liebe Frau Doktor, dieser Kater bringt Unglück“, sagte sie immer wieder mit drohender Stimme.

      „Aber wieso glaubst du das?“ wollte Anne (Mrs. Blythe) dann wissen.

      „Ich glaube das nicht – ich weiß es“, behauptete Susan.

      Doch alle anderen auf Ingleside liebten Jack Frost heiß und innig. Er war so reinlich und gepflegt und duldete nicht einen Schmutzfleck auf seinem schönen weißen Fell. Es war so rührend, wie er schnurrte und sich an einen schmiegte. Und er war die Ehrlichkeit in Person.

      Doch dann passierte auf Ingleside das Unfaßbare: Jack Frost bekam Junge!

      Susans Triumph braucht man gar nicht näher zu beschreiben. Hatte sie nicht immer und immer wieder gesagt, daß dieser Kater sich eines Tages als trügerisches und hinterlistiges Wesen entpuppen würde? Das hatten sie jetzt davon!

      Rilla behielt eines der Jungen. Es war sehr hübsch und hatte ein merkwürdig glattes, glänzendes Fell, dunkelgelb mit orangen Streifen, und große, seidige goldfarbene Ohren. Sie nannte es Goldie, und kein Name hätte besser zu diesem kleinen vergnügten Wesen passen können. Solange es klein war, gab es nicht die geringsten Anzeichen von dem finsteren Charakter, der wirklich in ihm steckte. Susan warnte die anderen natürlich und sagte, von diesem teuflischen Jack Frost könne man nichts Gutes erwarten. Doch niemand hörte auf Susans düstere Prophezeiungen.

      Die Blythes hatten sich so daran gewöhnt, Jack Frost für ein Mitglied des männlichen Geschlechts zu halten, daß sie sich auch jetzt nicht umgewöhnen konnten. So redeten sie weiterhin von „ihm“, auch wenn das lächerlich war hinsichtlich dessen, was dabei herausgekommen war. Leute, die zu Besuch kamen, glaubten ihren Ohren nicht zu trauen, wenn Rilla wie selbstverständlich von „Jack und seinem Jungen“ sprach oder wenn sie Goldie befahl: „Geh zu deiner Mutter, und laß dir das Fell von ihm saubermachen!“

      „Das ist doch unanständig, liebe Frau Doktor“, jammerte dann die arme Susan. Sie selbst zog sich aus der Affäre, indem sie Jack einfach „es“ nannte oder aber „das weiße Ungeheuer“, und es gab zumindest eine Person, der es nicht leid tat, als „es“ im darauffolgenden Winter unglücklicherweise vergiftet wurde.

      Im Verlauf eines Jahres paßte der Name Goldie immer weniger zu dem orangen Kätzchen, so daß Walter, der gerade Stevensons Geschichte las, es in Dr.-Jekyll-und-Mr.-Hyde umtaufte. In seiner Dr.-Jekyll-Laune war es ein schläfriges, zärtliches, häusliches Tierchen, das am liebsten in den Kissen lag und sich hätscheln und tätscheln ließ. Es lag besonders gern auf dem Rücken und ließ sich seinen glatten zartgelben Hals streicheln, während es glückselig vor sich hin schnurrte. Sein Schnurren war schon bemerkenswert. Es hatte bisher noch keine einzige Katze auf Ingleside gegeben, die so beharrlich und schwärmerisch schnurren konnte.

      „Das einzige, worum ich Katzen beneide, ist das Schnurren“, sagte Dr. Gilbert Blythe einmal, als er Docs dröhnendem Gesang lauschte. „Es gibt keinen Laut auf der Welt, der soviel Zufriedenheit ausdrückt.“

      Doc war sehr hübsch, jede seiner Bewegungen war voller Anmut, seine Haltung erhaben. Wenn er seinen langen gestreiften Schwanz um seine Füße ringelte und sich auf der Veranda niederließ, um unbeweglich hinaus in die weite Ferne zu starren, dann fanden die Blythes, daß er aussah wie eine ägyptische Sphinx.

      Wenn ihn dann aber die Mr.-Hyde-Laune überkam – was immer dann passierte, wenn sich Regen oder Wind ankündigte –, dann wurde er zum Biest und bekam einen völlig veränderten Blick. Die Verwandlung vollzog sich urplötzlich. Eben noch vor sich hin dösend, schoß Doc wie der Blitz mit wütendem Geknurr hoch und biß nach jeder Hand, die ihn besänftigen oder streicheln wollte. Sein Fell schien sich zu verdunkeln, und seine Augen funkelten wie der Teufel. Er sah dann wirklich ganz unheimlich aus. Wenn sich die Verwandlung in der Abenddämmerung vollzog, dann bekamen es die Ingleside-Bewohner beinahe mit der Angst zu tun. Dann wurde Doc zur furchterregenden Bestie, und nur Rilla verteidigte ihn und sagte, was für ein netter Kater

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