Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada
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Wenn wir nebeneinanderher gingen, er immer einen völlig schwarz geschmauchten Knösel1 im Mund, in dem er stets einen deutschen ungebeizten Tabak rauchte, den er sich gegen den guten Tabak einhandelte, der von der Anstaltsverwaltung von seiner Arbeitsbelohnung (vier Pfennig pro Tag!) eingekauft wurde – wenn Zeise also gewaltig stinkend neben mir herging, redeten wir eigentlich nur wenig miteinander, es sei denn, dass er in eine seiner Hasstiraden geriet.
Dieser Mann hatte nichts zu erzählen, nichts von seinem früheren Leben, nichts von Menschen, die er einmal gerngehabt, nichts von seinen Einbrüchen, nichts von seinen oftmaligen, manchmal erfolgreichen Fluchtversuchen, die ihn jetzt für den Rest seines Lebens in eine Einzelzelle geführt hatten. Nein, meist gingen wir stumm nebeneinanderher, wechselten ein paar Worte über den unzureichenden Schweinefraß und schwiegen wieder. Und doch ging ich gern mit diesem finsteren, verbitterten Mann. Wohl, weil ich fühlte, dass er jenes winzige bisschen Gefühl, ohne das wohl kaum ein Mensch leben kann, an mich gehängt hatte, in seiner finsteren Art natürlich. Bot er mir doch sogar von seinem Tabak an – und der war doch für ihn, den leidenschaftlichen Raucher, immer knapp!
Am Sonntag spielten wir beide manchmal Schach miteinander. Auch dabei war er zanksüchtig und rechthaberisch, wollte einen falschen Zug immer wieder zurücknehmen, erlaubte mir aber nicht, einen anderen Stein zu ziehen, wenn ich erst einmal eine Figur berührt hatte. Oft warf er in jähem Zorn die Figuren auf dem Schachbrett durcheinander, mich finster anfunkelnd und beschimpfend. Dann stopfte er sich eine neue Pfeife, stellte die Figuren wieder auf und begann gleichmütig, als sei nichts geschehen, eine neue Partie.
Genossen schon diese drei Spazierkameraden den schlimmsten Ruf bei der Verwaltung, so brachte mich mein vierter Gesellschafter, der Schuster Buck, erst recht in ein böses Licht. Oben sagte man sich: Aus denen, mit denen du umgehst, werden wir sehen, wer du bist – und das schlimme Urteil, das bald alle, vom Wachtmeister bis zum Medizinalrat, über mich fällten, habe ich nur meiner Ungeschicklichkeit bei der Wahl meiner Gefährten zu danken.
Zu meiner Entschuldigung kann ich nur anführen, dass diese vier wirklich die einzigen waren, mit denen man sich auf meiner Station wirklich einmal etwas erzählen konnte. Hätte ich auf sie verzichtet, hätte ich tagaus, tagein ohne ein menschliches Wort herumtrotten müssen, und das war mehr, als man von mir verlangen konnte. Ich habe nie gut in meinem Leben allein sein können, schon in den behaglichen Umständen draußen war ich beunruhigt, wenn Magda auch nur zwei Tage verreist war – wie hätte ich unter diesen so veränderten, schweren Lebensverhältnissen mein schweres Dasein ertragen können – ewig ganz allein?
Ich bin gewarnt worden, ich gebe es zu, aber keine Warnungen konnten mich von etwas zurückhalten, was mir lebensnotwendig erschien. Heute gelte ich im ganzen Bau auch als ein »Feind der Verwaltung« und werde entsprechend behandelt, obgleich ich nie etwas gegen diese Verwaltung getan habe. Freilich, dass ich nicht gerade wohlwollend über sie denke, geht aus dem Geschriebenen und noch zu Schreibenden hervor.
Was mich eigentlich zu dem Schuster Buck zog, weiß ich selbst nicht. Er war ein ungebildeter, selbstgefälliger, abstoßender Mensch, ein feiger Intrigant, alle hassten ihn. Aber auch alle, selbst meine anderen drei Spaziergefährten, die doch in ihrem Hass gegen die Verwaltung mit ihm eines Sinnes waren. Sie sprachen aber nie auch nur ein Wort mit ihm.
Schuster Buck – er war draußen Schuster gewesen und war es nun auch drinnen – versicherte immer wieder, dass er sich vollständig neutral verhalte, sich mit keinem abgebe, sich in nichts einmische. Aber trotz all dieser Versicherungen war er ständig in Streitigkeiten mit den anderen Kranken verwickelt, in wütende Schimpfereien, die schließlich in Prügeleien ausarteten, bei denen er stets den Kürzeren zog, denn er war trotz seiner kräftigen Figur feige und wagte nicht, zurückzuschlagen.
Stets schwärzte er die anderen oben an. Sah er nur jemanden außer der Zeit ein Stück Brot essen, so war’s auch schon gestohlen, und fünf Minuten später wusste er auch schon, bei wem, und trug’s brühwarm zum Oberpfleger. Bei jeder Arztvisite stand er vor der Tür des Behandlungszimmers, aber nicht eines Leidens, sondern einer Beschwerde wegen. Er kam aber nur selten vor.
Manche Stunde bin ich mit diesem grundschlechten Menschen spazieren gegangen und habe seinen gifterfüllten Erzählungen gelauscht, mit denen er jeden seiner Mitgefangenen verlästerte. Mit einer tiefen Schadenfreude schilderte er die Gemeinheiten der anderen und ihre Reinfälle. Er schien jedes Detail ihres Vorlebens zu wissen, und mit besonderer Wollust beobachtete er die Veränderungen in der Gestalt und im Wesen eines Sittlichkeitsverbrechers, der sich freiwillig hatte entmannen lassen, in der Hoffnung, einer Anstaltsverwahrung zu entgehen (eine Hoffnung, die ihn täuschen sollte).
Von sich selbst wusste er dagegen nichts Ungünstiges zu berichten. Er hatte von seinem Vater ein blühendes Schuhwarengeschäft übernommen, und es war ruiniert, weil die Menschen so gemein waren. Er hatte geheiratet und war geschieden, weil seine Frau auch »so eine« gewesen war. Er hatte Freunde und Verwandte besessen, und niemand beantwortete mehr seine Briefe, denn niemand will noch etwas wissen von einem Mann, der in einer Anstalt sitzt. Und natürlich unschuldig – wenn er je seine Straftaten auch nur von ferne streifte, murmelte er etwas von »Arbeitslosigkeit« und »Not kennt kein Gebot«.
Am amüsantesten fand ich diesen durchaus üblen Menschen aber, wenn er von seinen eigenen Erlebnissen in den Anstalten und mit ihren Ärzten berichtete. Er hatte unter anderem auch zwei Jahre in einer Universitätsklinik zugebracht und war in dieser Zeit viermal, in jedem Semester einmal, den Studenten des leitenden Professors vorgeführt worden. Ich höre noch die eitle Selbstgefälligkeit in der Stimme dieses Dummkopfes, wenn er die angeblichen Worte des Professors wiederholte: »Wie beurteilen Sie diesen Mann, meine Herren? Jawohl, wir wissen, dieser Mann hat Kenntnisse und weiß sich zu benehmen. Er macht Eindruck auf die Frauen, kurz gesagt, er ist ein Salonmensch …«
Und